Interview

Ehrenamt bei der Sicherheitswacht: "Unsere Waffe ist die Sprache"

Siegfried Hofmann ist für die Sicherheitswacht in Sendling unterwegs. Hier spricht er über amüsante Bürgerfragen, Bayern-Fans an Lockdown-Abenden - und Momente, in denen die Polizei alles stehen und liegen lässt.
von  Irene Kleber
Sicherheitswachtler Siegfried Hofmann (64) geht ehrenamtlich Streife in Sendling.
Sicherheitswachtler Siegfried Hofmann (64) geht ehrenamtlich Streife in Sendling. © Daniel von Loeper

Sendling - Siegfried Hofmann im AZ-Interview: Der Diplomingenieur (64) aus Forstenried arbeitet ehrenamtlich für die Sicherheitswacht bei der Polizeiinspektion Sendling.

Sicherheitswacht - nicht zu verwechseln mit privatem Sicherheitsdienst

Zu Fuß auf Streife im Stadtviertel gehen, schauen, ob jemand Hilfe braucht, dafür sorgen, dass Müllschweinderl ihren Dreck wegräumen und auch mal beherzt eingreifen, wenn jemand belästigt wird: Für solche Einsätze auf der Straße nutzt die Münchner Polizei die Unterstützung von ehrenamtlichen (und freilich unbewaffneten) Helfern: Männer und Frauen von der "Sicherheitswacht". Sie sind nicht zu verwechseln mit einem privaten Sicherheitsdienst (der etwa Objektschutz macht) oder der U-Bahnwache. Ehrenamtler der Sicherheitswacht sind an eine der Münchner Polizeiinspektionen angebunden, bekommen eine Basisausbildung (40 Stunden), vierteljährlich Fortbildungen - und sind immer zu zweit unterwegs.

Ein Diplomingenieur geht ehrenamtlich auf Streife

Ein solcher Ehrenamtler ist der Diplomingenieur Siegfried Hofmann (64), der in seiner Freizeit in Sendling zu Fuß auf Streife geht - ein bis zwei Mal die Woche, für drei Stunden. Er mache das, weil er hier aufgewachsen sei, studieren und ein erfolgreiches Berufsleben haben durfte. "Unsere Gesellschaft hat mir das ermöglicht", sagt er, und dass er nun etwas dazu beitragen möchte, dass die Stadt friedlich und sozial bleibt. Was also erlebt man auf Streife im Viertel?

AZ: Herr Hofmann, welche Route gehen Sie, wenn Sie Dienst haben?
SIEGFRIED HOFMANN: Das hängt davon ab, welchen Streifen-Auftrag wir von der Polizeiinspektion Sendling bei Dienstbeginn bekommen und worauf wir ein Auge werfen sollen, etwa weil Bürger sich über etwas beschwert haben. Das Gebiet ist jedenfalls groß, mit vielen Parkanlagen und Plätzen, das geht vom Waldfriedhof bis runter zur Isar und vom Westpark bis zum Südpark.

"Belästigungen? Sendling ist ja nicht Chicago"

Worüber beschweren sich die Sendlinger denn so zum Beispiel?
Das kann eine Ecke sein, an der Grüppchen oft Lärm machen oder ein Platz, wo viel Alkohol getrunken oder Müll verteilt wird oder wo man sich unwohl oder auch belästigt fühlt. Solche Fälle sind aber der kleinste Teil unserer Arbeit, und überhaupt ist Sendling ja nicht Chicago. 90 Prozent der Zeit verbringen wir damit, selber achtsam durchs Viertel zu gehen und zu schauen, ob es irgendwo ein Problem gibt.

Was sehen Sie also, wenn Sie die Augen aufmachen im Viertel?
Man lernt sein Viertel ja unheimlich gut kennen, wenn man zu Fuß unterwegs ist und hin- statt wegschaut. Am Harras sahen wir kürzlich einen älteren Rollstuhlfahrer, bepackt mit Einkaufstüten aus dem Supermarkt, der hat einen völlig erschöpften Eindruck gemacht. Wir haben ihn angesprochen, und da kam heraus, dass auf dem halben Nachhauseweg der Akku seines Rollstuhls ausgefallen war. Er wusste niemanden, den er zur Hilfe anrufen kann.

Also haben Sie ihn heimgeschoben?
Natürlich. Wir haben auch schon jemandem seine Brieftasche nach Hause gebracht, der sie beim Radlfahren verloren hat, der hat sich vielleicht gefreut. Oder gestürzte Radfahrer angetroffen. Oder deeskalierend ein Mädchen hinter uns genommen, als in einer Gruppe Jugendlicher gestritten wurde. Das Schlimme ist ja oft die Gleichgültigkeit der Leute. Selten, dass mal ein Passant hingeht und fragt, ob er helfen kann.

Die Sicherheitswacht: Ein wandelndes Auskunftsbüro

Spricht Sie mal jemand an?
Na laufend! Wir sind ein wandelndes Auskunftsbüro. Das geht von "Wo bitte ist die nächste öffentliche Toilette" über "Darf ich hier meinen Hund von der Leine nehmen" bis zu jeder erdenklichen Corona-Regelfrage, da muss man manchmal schon schmunzeln.

Was erheitert Sie denn da?
Neulich hat jemand gefragt: Heute Abend spielt Bayern, aber das dauert bis 22 Uhr. Gilt das als triftiger Grund, wenn ich dann nach der Ausgangssperre noch heimfahre von meinem Spezl?

Aha, und?
Ich habe die Regel erklärt und geantwortet, dass er nach drei Bier sowieso besser bei seinem Spezl übernachtet, wenn er das Spiel unbedingt zu zweit anschauen muss.

Zu den Uneinsichtigen zählen meist Jugendliche

Was machen Sie, wenn Sie auf eine Gruppe Betrunkener treffen, die Lärm machen, Obdachlose zum Beispiel?
Man sieht und spürt das ja, ob das eine entspannte oder vielleicht aggressive Situation ist, in der schon ein Streit tobt. Im letzteren Fall würde ich eine Streife rufen, aber das braucht's selten. Man sagt ja, wir sind unbewaffnet, aber das stimmt nicht ganz. Unsere Waffe ist die Sprache.

Was also sagen Sie? Grüß Gott, wir sind die Sicherheitswacht?
Natürlich. Wir schauen uns die Situation an, und wenn die Leute da friedlich sitzen, laut sind und Müll wegschmeißen, sagen wir "Griaß eich, wie geht's? Passt's a mal auf mit euren Kronkorken oder den Flaschen - wenn da Kinder vorbeilaufen, wird's für die gefährlich, das wollts ihr doch auch nicht, oder?"

Was kommt als Antwort?
80 Prozent sehen das ein und räumen auf. Oft gehen sie dann auch woanders hin, wo sie vielleicht keinen stören.

Und die anderen 20 Prozent?
Darunter sind oft mal Jugendliche, die sagen: Das geht Sie gar nix an! Oder die herumflegeln - da kommt alles zwischen "Kaschperl" und "Polizeistaat".

Die Uniform hilft dabei, ernstgenommen zu werden

Wo stecken Sie das hin?
Ich lasse es nicht an mich ran. Oft ist beim Beleidigen Alkohol im Spiel, die bereuen das nach zwei Minuten Gespräch.

Hilft Ihre Uniform?
Die macht enorm viel aus, im Hinterkopf der meisten Leute ist verankert, dass hinter der Uniform eine Gesetzeslage steht. Wenn jemand überhaupt nicht für Gespräche zugänglich ist, sprechen wir auch schon mal einen Platzverweis aus.

So sehen die Uniformen der Sicherheitswacht aus.
So sehen die Uniformen der Sicherheitswacht aus. © Gebert/dpa

Wie oft machen Sie das?
Verschwindend selten. Wenn Kinder partout nicht von einer gesperrten Eisfläche im Westpark runtergehen wollen. Oder wenn jemand immer wieder an selber Stelle Anwohner nervt.

Respektieren Betroffene Platzverweise?
Klar. Weil der nächste Schritt wäre, dass die Polizei kommt, dass es eine Anzeige gibt, und das kostet dann Geld.

Wie schnell kommen die Kollegen von der Polizei?
Sehr, sehr schnell. Und für den Fall, dass wir den Notruf-Knopf auf unserem Funkgerät drücken würden, weil eine Situation gefährlich wäre - da würde ein Beamter sofort alles stehen und liegen lassen, da können Sie sicher sein.

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