Drei Tote in Neubiberg - nur ich habe diesen Unfall überlebt
Am 3. März 2013 rast ein Renault bei Neubiberg gegen eine Betonwand. Drei Männer sterben, Markus Danilow (26) überlebt als einziger. Seine unglaubliche Geschichte.
Moosach/Neubiberg - Bruch der Schädelplatte. Multiple Brüche am 1. Halswirbel. Brüche an den Brustwirbeln 1 bis 7. Komplexe Brüche im Gesicht. Blutungen im Brustraum, dazu hoher Blutverlust. Lungenquetschung. Komplette rechtsseitige Lähmung.
Der Arztbericht ist zwei Seiten lang: Zeile für Zeile eine lebensgefährliche Verletzung nach der anderen. Alles genügend Gründe, um zu sterben. Aber nicht genug für Markus Danilow (26).
Die Brüche, Quetschungen und die Lähmung hat er bei einem Autounfall in Neubiberg vor einem Jahr erlitten. Am 3. März 2013 starben drei seiner Freunde – Markus Danilow kann sich nicht mal daran erinnern.
Am Abend davor ist der Einzelhandelskaufmann aus Moosach in einer Bowlinghalle in Fürstenried: Betriebsfeier seines Supermarkts. Markus Danilow spielt „relativ schlecht“, das weiß er noch. Sie trinken viel.
Seine letzte Erinnerung an diesem Abend: Er steigt mit drei Kollegen in ein Auto. Bruno F. (26) setzt sich ans Steuer. Auf dem Beifahrersitz hockt Valon B. (31), hinten rechts sitzt Christian A. (24). Markus Danilow muss auf den Sitz hinter dem Fahrer. „Da will ich nicht sitzen“, denkt er in diesem Moment.
Am Morgen des 3. März rast der blaue Renault Mégane auf Neubiberg zu. Hier wohnt Valon B. Der Renault kommt von Ottobrunn. Auf diesem Stück der Staatsstraße 2078 ist Tempo 70 erlaubt, Bruno F. fährt eher 100, glaubt die Polizei. Viel zu schnell für jemanden, der betrunken ist – und Kokain geschnupft hat.
Die Polizei vermeldet den Tod von Bruno F. und Valon B. am nächsten Tag unter Punkt 316 des Presseberichts: „Tödlicher Verkehrsunfall in Neubiberg“ steht darüber. Kurz vor der Unterführung unter dem Landschaftspark ist der Renault nach links von der Straße abgekommen. Der Wagen rast die steile Böschung hinauf und prallt gegen die Betonmauer – das Dach voraus.
Valon B. stirbt sofort. Bruno F. stirbt im Krankenhaus, zwei Tage später auch Christian A.: Der Münchner war frisch verheiratet, Vater eines kleinen Sohnes und ein enger Freund von Markus Danilow. Der weiß noch, dass Christian A. beinahe nicht mitgefahren wäre. „Unser Chef wollte ihn heimbringen. Er hat kurz gezögert.“
Danilow ist nach dem Unfall als einziger kurz ansprechbar. „Ein Polizist hat meiner Mutter erzählt, ich sei sogar selbst auf die Trage des Krankenwagens geklettert“, sagt er heute.
Die Ärzte im Klinikum Großhadern versetzen ihn ins künstliche Koma und sägen ihm den Schädel auf, um den Druck in seinem Gehirn zu senken.
Markus Danilow träumt im Tiefschlaf: Er sitzt mit zwei Freunden in einem Tuk-Tuk in Thailand. Plöztlich hat der Roller einen Unfall, ihm reißt es dabei den rechten Arm und das rechte Bein ab.
Nach zehn Tagen wacht Danilow auf. Es sieht schlecht aus: Er ist rechtsseitig gelähmt, kann nicht richtig sprechen und nicht richtig essen. Er hat furchtbare Angst und wehrt sich, doch die Ärzte haben ihn am Bett festgebunden.
Seine Ärztin hält ihn für einen „Rollstuhlkandidaten“, und die Neurologen glauben nicht, dass er sich je an sein früheres Leben erinnert. Oder an seine Familie. Einige Tage später ist alles wieder da – bis auf den Unfall. Als Markus seine Mutter sieht, fragt er sie, wie es den Jungs aus dem Tuk-Tuk geht. Als sie ihm sagt, was wirklich passiert ist, ruft er nach Schmerzmitteln.
In den nächsten Wochen wacht er jede Nacht alle zwei Stunden auf.
Am 26. März setzen ihm die Ärzte das Stück Schädel wieder ein und nähen es mit 35 Stichen fest.
Der 3. April ist sein letzter Tag in Großhadern. Die Ärzte nennen ihn „Wunderkind“.
Am 4. April, einen Monat und einen Tag nach dem Unfall, verlässt Markus Danilow das Krankenhaus in Großhadern. Er geht zu Fuß. Bei seinen Eltern setzt er sich erstmal auf die Terrasse, streichelt die zwei Katzen und „genießt die Ruhe“.
3. März 2014: Markus Danilow hat weiche Knie. Er steht vor der Betonmauer in Neubiberg. Das Auto hat große Striemen in den Beton gekratzt. Weiße von der Reibung. Blaue vom Autolack. Gelbe von der Unfallanalytik. Der Tod hat Markus Danilow ein Bild gemalt.
Dass man die Spuren noch sieht, wundert ihn. Bei ihm sind sie fast verschwunden. Nach dem Krankenhaus hat Danilow viel über den Unfall gesprochen. Seine Freunde könnten das Thema seit langem nicht mehr hören, sagt er heute. „Aber das war wohl meine ganz persönliche Sprachtherapie.“ Zur echten Therapeutin geht er drei Mal, dann schickt sie ihn heim.
Er spricht mit seinem Vater, zu dem er lange ein schlechtes Verhältnis hatte. Er besteigt einen Berg, den er als Gebirgsjäger in Mittenwald nie erklimmen konnte. Den Namen hat Markus vergessen, nicht aber den Schnee, die Kälte und die Höhenangst, die er da oben verspürte. Zwei Monate nach dem Crash ist er da oben – und fühlt sich quicklebendig.
Markus Danilow ist praktizierender Buddhist. Auch das habe ihm geholfen. „Hauptsache, keine Sorgen“, so beschreibt er sein Leben heute: Den harten Job im Supermarkt hat er aufgegeben, jetzt arbeitet er beim Tüv. In den ersten zwei Wochen musste er sich um Unfallwagen kümmern – da ging er zum Chef und erzählte ihm alles.
Körperlich sieht man dem gebräunten Kerl heute nichts mehr an. Seine Wirbel sind wieder ganz. Sein Gesicht ist verheilt. Seine Lunge arbeitet normal. Markus Danilows einzige sichtbare Verletzung ist eine Narbe am Schienbein. Sie ist dunkelrot. Schmal.
Nur ein Kratzer.