Die Angst vor dem Messer-Mörder
Isarvorstadt Sie hat Blumen mitgebracht für den Mann, den sie gar nicht gekannt hat. Behutsam legt sie den Strauß in die nasse Erde vor den Baum, an dem schon einige Rosen lehnen. Es ist kalt und der Wind drückt die Regentropfen durch die Baumkronen auf die Frau hernieder.
Evelyn F. trauert um Domenico L., das Mordopfer vom Isarradweg. Die 43-Jährige wohnt ganz in der Nähe und ist von der Bluttat geschockt. „Es ist ganz schrecklich“, sagt sie. „Er tut mir so leid.“ Sie ist den Tränen nahe. „Und ich habe Angst.“
Sie fahre gerne mit dem Radl, auch oft auf diesem Weg: „Das lasse ich aber jetzt und fahre mit dem Bus.“ An der Isar macht sich Unbehagen breit, viele Münchner spüren hier Angst vor dem Messer-Mörder.
Am Dienstag wurde an dieser Stelle auf dem Radlweg in der Erhardstraße der 31-jährige Italiener Domenico L. von einem Unbekannten erstochen. Der Messerstecher hatte zuvor Domenicos Verlobte angespuckt. Als der Mann den Täter zur Rede stellen will, zückt der ein Messer und rammt es dem Italiener ins Herz. Domenico L. stirbt kurz darauf.
Seither fürchten sich die Anwohner rund um die Erhardtstraße. Der 53-jährige Werner Lässer sagt: „Meine Frau und ich haben jetzt immer den Hund dabei, wenn wir hier nachts mit dem Radl oder zu Fuß unterwegs sind.“ Auch Rosemarie Kirsch-Muhammad (49) macht sich Sorgen: „Ich meide jetzt solche Wege, wenn nicht viel los ist.“ Womöglich kehre der Mörder ja an den Tatort zurück oder treibe sich öfter hier herum.
„Der Gedanke ist unheimlich“, meint die 30-jährige Nina, die in der Nähe wohnt. „Hoffentlich können sie den Täter bald festnehmen“, sagt ihr Freund Steffen. Die beiden schauen noch einmal zu dem rot-weißen Absperrband, das im regennassen Wind flattert. Dann gehen sie weiter Richtung Kohlstraße.
Dort hat das „München 72“ bereits geöffnet. In der Bar duftet es nach Schnitzel und Kaffee, Betreiber Tom sitzt an der Bar und unterhält sich. „Es erschreckt mich, dass das direkt vor unserer Haustür passiert ist“, sagt er. „Wir passen abends jetzt noch besser auf und schließen zum Aufräumen ab.“
Ebenfalls nahe am Tatort liegt das Café Maria in der Klenzestraße. Dort sagt Felix: „Als es passiert ist, saß ich mit unseren Mitarbeitern gerade auf der Terrasse bei einem Feierabend-Bier. Und wenige hundert Meter weiter wird ein Mann ermordet.“ Er findet das gruselig. „Es hätte jeden treffen können.“ Mit seinen Kollegen redet Felix viel über die grausame Tat. „Was uns alle beunruhigt, ist die Frage, ob er etwa hier im Viertel wohnt. Oder ob er mal vorm Laden steht, wenn ich in der Früh aufsperre und Geld will.“
Maria von der Gaststätte Faun in der Hans-Sachs-Straße hat „ein wirklich ungutes Gefühl“. Im Faun werde viel über den Messer-Mord gesprochen. „Die meisten meinen jetzt, dass sie sich in Zukunft nicht mehr einmischen werden und dass sie niemanden mehr zur Rede stellen wollen“, sagt sie. „Das ist zwar schlecht und auch feige, aber wer will gleich sein Leben aufs Spiel setzen?"
Noch näher an der Todesstelle liegt der Kulturstrand an der Corneliusbrücke, der am Dienstag geöffnet war. Obwohl der Strand der Urbanauten nur gut 100 Meter vom Tatort weg ist, haben die Gäste von dem Mord kaum etwas mitbekommen. „Die Leute an der Bar haben es entweder gar nicht gesehen oder gedacht, das ist ein Radlunfall", sagt Urbanaut Benjamin David. Auf Facebook haben die Urbanauten einen Aufruf gestartet, sich zu melden. „Vielleicht hat ja jemand auf dem Heimweg doch was gesehen“, sagt David. „Es ist ein komisches Gefühl, ich radele selbst ständig diesen Weg entlang."
Auf dem Radweg steht jetzt eine Familie aus Bad Tölz und sieht sich um. Der 52-jährige Christoph Kitterle aist oft beruflich in München, heute sind seine Frau Eva (49) und sein Sohn Luis (11) dabei. Der Familienvater meint: „Ich bin sehr erschrocken. In Zukunft werde ich wohl eher mal was auf mir sitzen lassen, anstatt Streit mit einem Unbekannten anzufangen.“
Dann tritt eine Frau an den Baum heran. Sie ist Italienerin und sagt: „Er war ein Landsmann von mir, deshalb ist der Schmerz umso größer. Der arme Mann tut mir so leid.“ Sie überlegt, welche Blumen sie jetzt für Domenico L. holt: „Ich habe ihn noch nie gesehen, aber es tut weh, als sei es mein eigener Sohn gewesen.“
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