Der Trambahn-Aufstand am Kieferngarten
Freimann - Wer an der U-Bahn Kieferngarten im Münchner Norden aus der U6 aussteigt, sieht erst mal nichts Spektakuläres. Ein Busbahnhof, eher von grauer, weiter Ödnis geprägt. Auf der Ostseite drei ebenso graue Alten- und Studentenheim-Hochhäuser im 70er-Jahre-Stil und ein Parkhaus-Klotz. Auf der Westseite ein paar unscheinbare kleine Häusl, es ist der Randbereich der Nachkriegssiedlung der "Siedlerschaft Kieferngarten".
116 Münchner protestierten am Samstagmittag
Eigentlich ideal viel Platz für eine Trambahn-Wendeschleife, wie die Stadt sie plant, weil die 23er-Tram von Schwabing-Nord übers Neubaugebiet Bayernkaserne bald bis hier heraus zum U6-Bahnhof verlängert werden soll. Möchte man denken. Und dann das. Samstagmittag, bei schönstem Ausflugswetter, versammeln sich hier 116 grimmig schauende Bürger. "Keine laute Tram!" ist da auf Protestschildern zu lesen. Oder: "Keinen Euro für die überflüssige Tram!" Ein weißhaariger Mann mit rotem Megafon, der Chef der Siedlerschaft Walter Hilger (77), macht seinem Ärger Luft über die Pläne für ein "Millionengrab", die es absolut nicht brauche, und gegen die man sich zur Wehr setzen wolle.
"Die Wendeschleife gehört an die Bayernkaserne"
Fast drei Viertel der Pendler aus der Stadt würden nämlich laut einer Analyse der Münchner Verkehrsgesellschaft MVG gar nicht nach Osten zum Kieferngarten fahren, sondern von der Bayernkaserne aus nach Westen, zur U2 Am Hart. Die Linie würde also kaum genutzt. "Dafür, dass eine halb leere Tram ihre Kreise ziehen kann", sagt Walter Hilger, "wollen wir das Scheppern und Beben vor unseren Schlafzimmerfenstern nicht in Kauf nehmen." Es gebe genug Busse, mit denen man überall hinkommt. Die "Monsterwendeschleife" sei ein Schmarrn an dieser Stelle, und sie gehöre woanders hin, nämlich an die Bayernkaserne.
Die Siedler werden angefeindet
Seit die Siedler ihren Protest eröffnet haben gegen die Tram vor ihrer Tür, sehen sie sich Anfeindungen ausgesetzt. Ob man in ihrer Dorfidylle nicht verstanden habe, dass man in einer wachsenden Großstadt mit permanentem Neubau lebt? In der es nun mal mehr öffentliche Verkehrsmittel brauche? Ob man sich abschotten wolle gegen den Rest der Stadt? Woher ihr Unwohlsein rührt gegen die drohende Veränderung, erklärt sich, wenn man einmal mit Walter Hilger durch die Häuslsiedlung spaziert ist. Hier geht kaum einer hinein, der nicht hier wohnt. Aber wer hier wohnt, der kennt sich, oft seit Jahrzehnten.
Die Schwarzbausiedlung wurde erst nach 15 Jahren legalisiert
Hilger erzählt dann, wie sein Vater aus dem Krieg heimgekehrt ist und hier neben dem militärischen Schießplatz der Amerikaner an der Fröttmaninger Heide mit Pickel und Schaufel einen Keller ausgehoben hat, um aus dem Nichts ein Haus zu bauen. Wie Vertriebene und ausgebombte Münchner in größter Nachkriegsnot zusammenhalfen, um rund um die Munitionsbunker irgendwie bewohnbare Unterkünfte zu zimmern. Wie die ärmliche Schwarzbausiedlung erst nach 15 Jahren legalisiert wurde und die Siedler den Grund und Boden haben kaufen dürfen.
Alte Häuser mit märchenhaften Gärten
500 Siedlergrundstücke sind da nun, mit märchenhaft bewachsenen Gärten und alten Kiefern. Etliche der alten Häusl mit den Spitzdächern der ersten Generation stehen noch. 405 Grundstücke (mit 2.000 Bewohnern) sind noch in der Siedlerschaft Kieferngarten organisiert. Man kommt keine 20 Meter weit mit ihrem Chef Walter Hilger, ohne dass ihn ein Nachbar über den Gartenzaun herwinkt oder auf der Straße anspricht, und Fragen hat zur kaputten Schaukel am Spielplatz oder wie hoch ein neues Mäuerchen werden darf oder eben wie es ausschaut mit dieser depperten Tram.
"Der macht mir meine ganze Siedlung kaputt"
Und als ein Immobilienunternehmer des Weges kommt, der ausschaut wie ein gartelnder Nachbar, der aber alles aufkauft, was er kriegen kann von den Erben verstorbener Altsiedler, um neue, große Klötze in die alten Gärten zu trümmern, murmelt Hilger leise: "Der macht mir meine ganze Siedlung kaputt."
Schlimm genug, dass nicht alle Kinder und Enkel der Altsiedler bleiben, die man kennt, seit sie geboren wurden. Dass sich lauter Zuagroaste einkaufen in die Neubauvillen. Dass die nicht mehr grüßen auf der Straße und einem "die Vorfahrt nehmen mit ihren riesigen SUVs", ist da in der Nachbarschaft zu hören. Und dass die Kinder der Sozialsiedlung weiter drüben "kein Gefühl dafür haben, dass man Müll nicht auf die Straße schmeißt".
Und jetzt auch noch dieser nutzlose Tramlärm vor der Siedlung, "der Oberbürgermeister sollte eine Woche zum Wohnen herkommen, damit er sieht, was kaputtgemacht wird", sagt Joseph Wohlfart (73), dessen Haus bald nah an der Lärmschneise liegen wird. Dass auch noch das Parkhaus weg soll für die Tram, das den Lärm von der oberirdischen U-Bahn dämpft, und das man sowieso brauche, weil viele kleine Siedlungsstraßen überhaupt keine Parkplätze haben, ach mei. Das Neue bringe eben nicht immer nur Gutes.
Option: Eine Verlängerung bis Fröttmaning?
Am 3. März soll der Stadtrat die Tramverlängerung absegnen, die Grünen und Teile der SPD wollen sie. Die CSU wird wohl für eine Endstation mit Wendeschleife an der Bayernkaserne plädieren. Die ÖDP, deren Stadtrat Tobias Ruff selbst in der Kieferngarten-Siedlung wohnt (sein Großvater gehörte zu den Altsiedlern), wird fordern, dass die 23er ohne Wendeschleife um die Siedlung herum weiter zur U-Bahn Fröttmaning fährt, um die Pendler von der Autobahn zu erreichen - das findet die MVG aber unwirtschaftlich. Man wird sehen, wer sich durchsetzt.
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