Der Herr der Schrauben: Warum ein Denninger Laden nach 100 Jahren schließen muss

Max Mächtlinger führt in Denning einen einzigartigen Laden - nach 99 Jahren schließt er jetzt. Die AZ auf Abschiedsbesuch in einem ganz besonderen Fleckerl München.
von  Lutz Bäucker
Rund 30.000 Artikel hat Max Josef Mächtlinger in seinem Geschäft geführt. Doch jetzt muss alles raus.
Rund 30.000 Artikel hat Max Josef Mächtlinger in seinem Geschäft geführt. Doch jetzt muss alles raus. © Bernd Wackerbauer

Denning - Es fällt ihm schwer, sehr schwer: "Ich konnte nächtelang nicht schlafen," erzählt Max Mächtlinger. "Ich habe mich immer wieder gefragt, ob die Geschäftsaufgabe richtig ist."

Kein Wunder, dass der bald 77-Jährige an seinem Laden hängt: Im Mai kommenden Jahres hätte er sein 100. Jubiläum feiern können. Jetzt werden es eben "nur" 99 Jahre: "Ja mei, der Mächtlinger macht halt immer was Besonderes," sagt der Geschäftsmann und lächelt.

Traditionsgeschäft in Denning: "Der Mächtlinger hat alles!" 

Sein Sortiment sei einzigartig, die Kundschaft komme von weit her. Alle wissen: "Der Mächtlinger hat alles!" Haushaltswaren von der Pfanne bis zum Spezialmesser aus extrahartem japanischen Stahl.

Tausende von verschiedenen Schrauben und Nägeln. Die ausgefallensten Glühbirnen - "200 Varianten, mindestens", sagt Mächtlinger stolz. Hinzu kommen jede nur erdenkliche Batterie, Werkzeuge, Geschirr und und und.

Wenn die Leute bloß immer so viel gekauft hätten wie jetzt am Schluss!
Wenn die Leute bloß immer so viel gekauft hätten wie jetzt am Schluss! © Bernd Wackerbauer

"Wir haben rund 30.000 Artikel geführt", ergänzt Ehefrau Renate. "Genau wissen wir es aber nicht." Vor 50 Jahren kam die gebürtige Niederländerin als Kundin zu Max Mächtlinger in den Laden an der Ostpreußenstraße - und ist bis heute an seiner Seite: "Wir sind ein gutes Team."

Mächtlinger lacht und sagt: "Aber ich bin der Chef!" Seine Frau kennt diesen Spruch, bleibt gelassen. "Ich bin froh und traurig zugleich, dass es bald vorbei ist", meint sie.

Der Online-Handel war wohl der Anfang vom Ende

Der Ausverkauf laufe hervorragend, die Leute holen sich alles: "Wenn sie das bloß immer so gemacht hätten." Der Ur-Münchner Max Mächtlinger seufzt. "Dann hätten wir den Laden vielleicht noch länger gehalten."

Das Aufkommen des Online-Handels bedeutete den Anfang vom Ende für eines der ältesten Münchner Traditionsgeschäfte. Mit etwa 20 Jahren musste Max Mächtlinger den Laden in Denning vom Vater übernehmen. Der verkaufte früher bis zu 1000 Fahrräder im Jahr, später auch Motorräder von "Viktoria", "DKW" oder "Hercules". Es gab Heizöl in Blechkannen, eine Tankstelle und "Weißware", also Waschmaschinen und andere Elektrogeräte.

Die verschwanden nach und nach aus dem Sortiment, denn der junge Mächtlinger, an der Handelsschule in der Einsteinstraße und in einer Klosterschule ausgebildet, hatte sich etwas in den Kopf gesetzt: "Ich will von bestimmten Waren möglichst alles anbieten, was es auf dem Markt gibt!" Glühbirnen zum Beispiel, sein Lieblingsbereich. "Da hatte keiner ein größeres Angebot als wir", da sei er sich bis heute sicher. Die Wünsche der Kunden habe er praktisch immer erfüllen können.

Das sprach sich schnell herum. Zuerst in Denning, dann in Bogenhausen, in ganz München und Oberbayern, sogar in Österreich wusste man bald: "Beim Mächtlinger kriegst du alles." Auch die Prominenz bekam das mit.

Stars gingen ein und aus - sogar Ex-Kanzler Schröder war Kunde

Sein Freund und Schlagersänger Gus Backus kaufte fast täglich bei ihm ein, Stars und Moderatoren vom Bayerischen Rundfunk gingen ein und aus.

Schauspieler Walter Sedlmayr schätzte die kompetente Beratung offensichtlich ebenso wie Ex-Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf: "Die hat sogar mal den Bundeskanzler mitgebracht, inklusive Leibwächter", sagt Mächtlinger amüsiert. "Der Schröder stöberte einen ganzen Samstagvormittag durch unsere Angebote!" Sein Fotoalbum ist voll mit Autogrammen und Bildern bekannter Menschen, er selbst ist längst auch "bekannt wie ein bunter Hund", gibt er lächelnd zu.

Wie ein Spürhund war er stets den neuesten Trends bei Gartenartikeln, Werkzeugen oder Batterien auf der Spur, fuhr ins Ausland, um die beste Qualität zu finden, oder jettete zu den einschlägigen Fachmessen. Noch jetzt liegen dicke Spezialkataloge in seinem Büro über den sich langsam leerenden Geschäftsräumen.

Mächtlinger studiert täglich drei Tageszeitungen (darunter auch die AZ) und die aktuellen Fernsehsendungen, um auf der Höhe der Zeit und des Geschmacks zu bleiben.

"Wenn ich ein bisserl jünger wäre und ein bisserl fitter, dann würd ich noch mal einen Laden aufmachen", sinniert er, "mir gefällt das einfach, mit den Leuten zu ratschen, ihnen weiterzuhelfen, Tipps geben zu können, immer wieder was Neues zu entdecken!" Max Mächtlinger ist trotzdem froh, jetzt einen Schlussstrich unter drei Generationen Haushalts- und Eisenwaren-Handel zu ziehen: "Es war mein Leben, ja, aber nix ist ewig!"

Max Mächtlinger: Rund 60 Jahre im Dienst

Seine älteste Tochter hätte er gern als Nachfolgerin gesehen, doch die orientierte sich anderweitig. "Was willst machen?", fragt er. Rund 60 Jahre lang stand er vor den unzähligen Schubladen, beriet Generationen von Hobbygärtnern, dekorierte nachts die Schaufenster, organisierte tagsüber den Einkauf, baute immer wieder um und wurde zur Anlaufstelle der Münchner bei allen Nöten und Fragen zu Haushalt, Heimwerken und Hobby.

Erholung fanden Renate und Max Mächtlinger auf ihren Reisen in ferne Länder: "Einmal sind wir in 14 Tagen um die ganze Welt," erzählt der Herr der Schrauben und Glühbirnen. "Auf Tahiti hat uns der dortige Konsul eingeladen, der kannte mich, er war Kunde bei mir in Denning gewesen!"

Als junger Bursche war Max oft mit dem Rad unterwegs, bis nach Budapest: "Heute bin ich froh, auf dem Ergometer strampeln zu können." Im Mai ist alles vorbei, nach 99 Jahren. "Dann kommt sicher das große Loch", mutmaßt Ehefrau Renate. Vielleicht aber auch nicht: Die beiden planen schon Neues für ihre dann verwaisten Räume, Denning darf gespannt sein.

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