Das Geisterhaus von Bogenhausen

Seit gut einem Jahr steht das denkmalgeschützte Wohnhaus an der Ismaninger Straße so gut wie leer. Nur noch ein Mieter wohnt hier. Alle anderen sind herausgekauft worden.
von  Myriam Siegert
Die Fassade bröckelt, der weiße Putz um die Fenster fällt herunter.
Die Fassade bröckelt, der weiße Putz um die Fenster fällt herunter. © Daniel von Loeper

Bogenhausen  - Ein stattlicher Altbau ist das Haus Ismaninger Strasse 126. Baujahr 1901, Deutsche Renaissance, denkmalgeschützt. Die Fassade türkisgrün, die Fenster mit weissem Stuck umrandet. 1973 gab's mal einen Fassadenpreis der Stadt. Heute bröckelt die Fassade, ein Gerüst schützt vor herabfallendem Putz. Die Fenster sind leer, bei manchen ersetzt eine Spanplatte die Scheibe. In anderen sind Sprünge notdürftig mit Klebeband geflickt. Die Balkone rosten. Im Treppenhaus riecht es muffig. Auch hier bröckelt's.

Das Haus ist schon seit längerem unbewohnt. Zumindest fast. Nur ein Mieter harrt noch im Vordergebäude aus, einer im Rückgebäude. Nachbarn berichten, dass immer wieder Fenster offen stehen - auch im Winter oder bei starkem Regen. Bei so manchem im Viertel regt sich der Verdacht: Der Besitzer will das Haus absichtlich vergammeln lassen. Trotz Denkmalschutz.

Ein Nachbar sagt: "Für mich ist dieser Leerstand eine Zweckentfremdung!" Schon mehrmals hat er sich deswegen an die Behörden gewandt - ohne Ergebnis.

Klara Huber (Name geändert) hat 18 Jahre lang in diesem Haus gewohnt. Hier hat sie ihren Sohn grossgezogen. Als eine der Letzten zog sie im Herbst vergangenen Jahres aus. Ihre Stimme klingt wehmütig, als sie von damals erzählt. "Mein Herz hängt bis heute an dem Haus", sagt sie.

Die Nummer 126 gehörte früher einer alten Dame. Als sie starb, erbte die Tochter das Haus. Die verkaufte das Anwesen mit Vorder- und Rückgebäude vor etwa sieben Jahren. Seitdem gab es mindestens zwei weitere Besitzer. Darunter eine Projektentwicklungsgesellschaft, die das Haus mitsamt Baugenehmigungen an einen Investor weiterverkaufte.

Klara Huber: "Nach dem letzten Verkauf hat man uns massive Modernisierungen angekündigt. Bäder, Fenster, Heizung, Grundrisse - alles sollte neu gemacht werden", sagt sie. "Es wurde ein ziemliches Horrorszenario gemalt, wie das werden würde."

Ausserdem teilte man den Mietern die neuen Mietpreise mit. "Keiner von uns hätte die zahlen können", sagt Klara Huber. 900 Euro Kaltmiete hatte sie zuletzt für ihre 4,5-Zimmer-Wohnung mit 130 Quadratmetern gezahlt. Nach der Modernisierung sollten es über 2000 Euro sein.

Wie die meisten ihrer Nachbarn entschied sich Klara Huber schweren Herzens, auszuziehen. Ein Anwalt handelte eine Abfindung aus. Doch nicht alle Nachbarn wussten sich zu helfen. "Einige - vor allem die alten Leute - haben ziemlich wenig Geld bekommen."

Warum das alles so kommen musste, versteht Klara Huber bis heute nicht. "Die Wohnungen sind tip top, mit wunderschönen alten Türen und Parkettböden", sagt Huber. "Es wären höchstens mal neue Fenster angestanden, die alten sind undicht."

Ein Anwohner aus einem Nachbarhaus bestätigt: "Ich hatte Bekannte dort und war oft in dem Haus. Das sind absolute Traumwohnungen. Dass das Haus jetzt so verfällt, ist eine Schande. Zu meiner Zeit hätten wir so etwas besetzt."

Manche Mieter wohnten seit Generationen hier, man kannte sich, half sich gegenseitig. Viele haben über die Jahre und Jahrzehnte ein kleines Vermögen investiert. Alleine Klara Huber hatte 30.000 Mark in ihre Wohnung gesteckt.

"Die frühere Besitzerin konnte sich nicht mehr so gut kümmern", sagt Klara Huber. Deshalb machten die Mieter so viel wie möglich selbst. "Wir hatten immer ein sehr gutes Verhältnis mit der Vermieterin."

Jetzt sind fast alle Mieter draußen, und man fragt sich, wofür.

"Warum da nichts passiert, wissen wir auch nicht", sagt Karla Schilde vom Planungsreferat. Seit 2010 gibt es eine Baugenehmigung für das Vorderhaus: Ein Dachgeschossausbau wurde erlaubt und der Anbau eines Aussenliftes. Erst jetzt, nach einem Jahr Leerstand, scheint es, dass Sanierungsarbeiten in Gang kommen. Laut Sozialreferat soll Anfang 2014 ein neuer Bauantrag gestellt werden.

Wohnraum leer stehen zu lassen gilt eigentlich als Zweckentfremdung, für die Hausbesitzer belangt werden können. "Ob ein Leerstand gerechtfertigt ist oder ein mutwilliges Verzögern vorliegt, muss im Einzelfall geklärt werden", sagt Sozialreferats-Sprecher Andreas Danassy. Bei der Ismaninger Strasse 126 liege noch keine "zweckentfremdungsrechtliche Beanstandung" vor.

Wegen des Denkmalschutzes hat die Untere Denkmalschutzbehörde seit November 2012 Kontakt mit dem Eigentümer. "Wir sind dran", sagt Sprecher Thorsten Vogel. Wer ein denkmalgeschütztes Gebäude besitzt, ist eigentlich verpflichtet, es zu erhalten. Die Stadt kann entsprechende Maßnahmen anordnen.

Das kleine Hinterhaus, ganz früher mal ein Stall, ist nicht denkmalgeschützt. Ex-Mieter und Nachbarn glauben, dass hier neu gebaut werden soll. Das niedliche Häusl ist arg mitgenommen. Zunächst gab es hier eine Umnutzung von Gewerbe zu reinem Wohnen. Mittlerweile wurde die Wohnnutzung von der Stadt aufgehoben - obwohl ein Teil des Häuschens bewohnt ist. Eine Instandsetzung sei nicht rentabel. Jetzt kann abgerissen werden. "So etwas sieht man kaum mehr in der Stadt", sagt Klara Huber. "Das gehört das auch unter Denkmalschutz."

Im Frühjahr berichtet die AZ über das Gerüst vor dem Haus, das umgestürzt war. Eine Verwandte des Eigentümers meldet sich: Weil die Mieter nicht ausziehen, konnte man nichts am Haus machen. Der Besitzer nahm ein Gesprächsangebot der AZ leider nicht wahr.

Klara Huber bewegt nur eines: "Es wäre eine Schande, wenn das ganze Haus irgendwann so kaputt wäre, dass es abgerissen wird."

 

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