Cornelius Gurlitt: Wann bricht er sein Schweigen?
Der Rentner ist verreist – wohin, ist unklar, doch angeblich will er sich bald zum Kunstfund äußern. Derweil verrät ein Schwabinger Urgestein: „Ich war der Sammlung ganz, ganz nah“
Schwabing - Er ist weg. Schon wieder. Mit großem schwarzen Rollkoffer, grauschwarzem Mantel, schwarz-weiß-rot kariertem Schal und Regenschirm stieg Cornelius Gurlitt (79) am Dienstag in ein Taxi vor seinem Haus in Schwabing. Und düste los.
Wohin? Unklar. Er selbst sagte „SZ“-Reportern vor Ort: „Ich bin auf dem Weg nach Würzburg, zum Arzt“ – Gurlitt gilt als herzkrank. Reporter der „New York Times“ aber meldeten an jenem Tag: Gurlitt fährt zum Münchner Flughafen, zusammen mit einer Journalisten eines Hamburger Nachrichtenmagazins. Dort tauchte er aber nicht auf.
Der Kunstsammler ist wieder inkognito – und jeder fragt sich: Bricht er endlich mal sein Schweigen?
Was dafür spricht: Am Dienstag hing Augenzeugen zufolge ein Zettel mit der Handschrift an Gurlitts nussbrauner Wohnungstür. Darauf soll er angekündigt haben, sich bald zum Kunstfund zu äußern. Was dagegen spricht: Als die AZ im Haus nachfragt, will der Hausmeister nichts von einem Zettel wissen – ebenso die Nachbarn.
Rolf Nikolaus Cornelius Gurlitt ist eh nicht besonders gesprächig. Der Protestant lebte jahrzehntelang allein, ist nicht verheiratet, hat keine Kinder, keine Arbeit. Er meldete nicht einmal der Stadt, dass er in München lebt.
Selbst für seine weit verzweigte Familie ist er „ein Fremder“, sagt ein Verwandter aus Baden-Württemberg. „Ich habe ihn nie gesehen“, sagt ein anderer in Frankfurt. „Er war nie auf Familienfeiern.“ Ein dritter Verwandter aus Heidelberg hat ihn nach eigener Aussage auch „noch nie getroffen“.
Ein Vetter zweiten Grades traf Gurlitt zwei Mal – 1939 und 1945, als Cornelius fünf und zwölf Jahre alt war. „Mit fünf kam er mit seinen Eltern (Hildebrand und Helene, Anm.) zu uns nach Freiburg“, sagt Dietrich Gurlitt der AZ.
Als Cornelius zwölf war, floh die Familie im März 1945 von Dresden nach Aschbach – dort wohnten sie nach eigener Aussage von Hildebrand Gurlitt eine Woche im Schloss des Barons Pollnitz. Dort traf Dietrich Gurlitt Cornelius und dessen Schwester Renate (damals 10) wieder. „Die Kinder waren lustig, wir hatten viel Spaß zusammen. Wir haben Blödsinn gemacht.“ Damals schon mit dabei: 134 Kunstwerke des Vaters, von denen viele Jahrzehnte später in der Schwabinger Wohnung gefunden wurden.
Dietrich Gurlitt hörte nach dem Krieg von Cornelius’ Restauratorlehre – und dann erst wieder rund 50 Jahre später, als der Kunstfund bekannt wurde: „Jetzt kann ich mir gut vorstellen, warum er mit keinem Kontakt hatte“, sagt Dietrich Gurlitt. „Er wollte nicht, dass es jemand erfährt.“
Auch das Altschwabinger Original Wolfgang Roucka erfuhr nie von den 1406 Bildern – dabei war er ihnen mehrere Male ganz, ganz nah: „Ich war oft über der Wohnung von Herrn Gurlitt“, sagt der Fotograf. Dort, im sechsten Stock, wohnte der mittlerweile verstorbene Neffe des Dichters Eugen Roth, der selbst eine große Kunstsammlung besaß.
Dass unten eine viel größere lag, konnte Roucka ja nicht ahnen. „Wir haben von der Dachterrasse oft runter auf seinen Balkon geschaut und uns gefragt, wer da unten wohnen mag. Da war ja immer alles zu“, sagt Roucka. „Weiter gedacht haben wir natürlich nicht.“
Wo auch immer Cornelius Gurlitt jetzt steckt – reden muss er nicht. Er könnte es einfach aussitzen. Viele Bilder darf er wohl behalten. Und sollte er welche zurückgeben müssen, könnte er sogar etwas dabei verdienen: So appellierte etwa der Berliner Rechtsanwalt und Kunstexperte Peter Raue gestern an die Bundesregierung, mit Gurlitt eine Vereinbarung zu treffen.
Ein Deal hält auch die Berliner Kunstrechtsexpertin Katharina Garbers-von Boehm für eine praktische Lösung: Eine Rückgabe der Werke sei rechtlich kein Selbstläufer, „aber sie ist nicht aussichtslos“. In der Praxis fände man in solchen Fällen ganz häufig eine Einigung.
Etwa, indem man ein Bild verkauft – und den Gewinn teilt.
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