"Abgewrackt, abgerockt und kaputt": An diesem Ort in München gibt es Hoffnung für alte Möbel

Abgerockte Polstermöbel von anno dazumal – seit über 60 Jahren werden in einer einfachen Werkstatt in München-Neuhausen verschlissene Sessel und Sofas in Liebhaberstücke verwandelt.
von  Eva von Steinburg
Neues Leder braucht der geschwungene Stuhl mit dem roten Sitz: Enrico Kämpfe vor seiner Werkstatt in einem Hinterhof in Neuhausen.
Neues Leder braucht der geschwungene Stuhl mit dem roten Sitz: Enrico Kämpfe vor seiner Werkstatt in einem Hinterhof in Neuhausen. © Petra Schramek

Neuhausen - Mintgrüne Samtbezüge, goldene Lüster, Fototapeten. Das plüschige Café Jasmin hat eine nostalgische Einrichtung aus den 50er-Jahren. Bei Studenten ist das Lokal beliebt. Darum werden die altmodischen Sofas, Sessel und Bänke im Oma-Style sehr oft neu bezogen – immer in Neuhausen, immer vom "Polsterer im Hof". Der Handwerker, das ist Enrico Kämpfe (53), der Polsterer aus der Volkartstraße 4a.

Das Schild vom Polsterer im Hof. Hier ist Werkstattbetrieb seit den 50er Jahren – ganz in der Nähe vom Rotkreuzplatz.
Das Schild vom Polsterer im Hof. Hier ist Werkstattbetrieb seit den 50er Jahren – ganz in der Nähe vom Rotkreuzplatz. © Petra Schramek

In seiner Werkstatt in Neuhausen lehnt eine Rolle mit mintgrünem Samtstoff für das Jasmin neben der Tür. Die einfache Hinterhof-Werkstatt ist gleich um die Ecke vom Rotkreuzplatz. Aus antiken Hockern oder Ohrensesseln, die Kunden bringen, quillt manchmal die 100 Jahre alte Seegras- oder Rosshaarfüllung. In seiner bescheidenen "Pumuckl-Werkstatt", wie er sagt, landen echte Möbel-Ruinen: "Abgewrackte, total abgerockte und kaputte Sofas. Traurige Stücke, die viele Jahre in Kellern und Scheunen standen", erzählt Kämpfe. Bei ihm werden sie repariert statt weggeworfen.

Die Ecke mit den Stoffmusterkollektionen. Zu den edelsten Bezügen für Stühle gehören die aus Rosshaar.
Die Ecke mit den Stoffmusterkollektionen. Zu den edelsten Bezügen für Stühle gehören die aus Rosshaar. © Petra Schramek

"Polsterer im Hof" in München: So werden abgenutzte Möbel zu neuen Lieblingsstücken

Zuerst werden in einer Restaurierungswerkstatt die Holzlehnen, Oberflächen und Stuhlbeine aufgemöbelt. Restaurator Thomas Langenholt reinigt das Holz und trägt per Hand Schellackpolitur auf, damit das Holz weich schimmert. Danach kommt Enrico Kämpfe als Mann für die Farben und das Polster ins Spiel. Er sucht den geeigneten Schaumstoff im Lager, schneidet das Material in Form. Dann sucht der Polsterer mit dem Kunden aus der atemberaubend üppigen Muster-Kollektion den passenden Stoff aus. Abgenutzte Möbel aus Wohnzimmern, von Dachböden, vom Sperrmüll oder Ebay werden in der Werkstatt zu neuen Lieblingsstücken – und das seit mehr als 60 Jahren.

Vom Baumwollleinen hat Kämpfe unglaubliche 360 Farben zur Auswahl. Vom Leder – 1300 Farbtöne. "Ich mag auch ausgefallene Stoffe. Und ich arbeite sehr gerne mit Leder, obwohl Leder mir keine falsche Naht verzeiht. Stoff kann ich wieder auftrennen, doch die Löcher im Leder bleiben", erklärt der Profi. Privat sei er nicht so die "Deko-Queen", scherzt der Polsterer. In seinem Zuhause gebe es "nur schwarzes Leder!". Denn in seiner Patchwork-Familie leben drei Kinder. "Über die Couch wische ich feucht drüber. Das ist unkompliziert", sagt Kämpfe lachend. Der gut gelaunte Handwerker stammt eigentlich aus Weimar. Kurz nach der Wende fing er 1993 in der Volkartstraße als Polsterer an.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war hier eine Autowerkstatt. Danach übernahmen nacheinander drei Polsterer die Hinterhofwerkstatt: Ab den 50er Jahren war das Polstermeister Georg Gensheimer. Sein Nachfolger, Handwerksmeister Ernst Schmid, hatte noch bis 2010 im Vorderhaus repräsentative Büroräume. Heute ist an der Straße ein Goldschmiede-Atelier. "Mit meiner einfachen Meister-Eder-Werkstatt sind wir ein Stück altes München", findet Enrico Kämpfe.

Die Nähmaschinen in der "Pumuckl-Werkstatt" sind so alt wie der Polsterer selbst

Auf zwei Pfaff-Nähmaschinen, die so alt sind wie er selbst, näht der 53-Jährige edle Bezüge, darunter auch welche aus teurem Rosshaar oder Angora-Wollstoff von der Mohair-Ziege. "Antiquitäten sind seit 20 Jahren leider nicht mehr aktuell. Wer viel Geld hat und stylish wohnen will, kauft heute neu: Sitz-Garnituren von Rolf Benz oder von Roche Bobois." Dem Trend entsprechend, bringen Kunden in seine Wunderwerkstatt vermehrt Sessel aus den 30er-, 40er- oder 60er-Jahren – seltener sind wertvolle geschnitzte Stühle von 1870.

Kult-Objekt: Diese Pfaff-Nähmaschine ist über 50 Jahre alt und eines der wichtigsten Arbeitsmittel des Handwerkers.
Kult-Objekt: Diese Pfaff-Nähmaschine ist über 50 Jahre alt und eines der wichtigsten Arbeitsmittel des Handwerkers. © Petra Schramek

Sein Handwerk steht gegen die Wegwerfmentalität. "Wir sind ein Nischenprodukt", sagt Kämpfe, dessen ressourcenschonende Recyclingarbeit Müll vermeidet. Auch wenn er mit den früheren Polsterern in der Volkartstraße nicht verwandt ist, sagt Enrico Kämpfe: "Ich sehe mich als Polsterer der dritten Generation hier am Ort." Repariert und aufgehübscht verlassen die ehemals ramponierten Liebhaberstücke seine Hinterhofwerkstatt – ein nachhaltiger Ort in München.

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