AZ stellt vor: 150 Jahre "Deutsche Eiche"
Die "Deutsche Eiche" gilt in der schwul-lesbischen Szene schon seit Jahrzehnten als Institution. Heute ist sie viel mehr. Die AZ zeigt ein Lokal, das viele Münchner nur von außen kennen
Isarvorstadt - Reicht die „Deutsche Eiche“ unterirdisch bis zum Gärtnerplatz, wie schon mal spekuliert wurde. Ist die „Deutsche Eiche“ ein Treffpunkt für Rechtsradikale? Dürfen da nur Männer rein?
Um die „Deutsche Eiche“ gab es ja schon die abenteuerlichsten Theorien. Zu ihrem 150-jährigen Bestehen gilt es, einige Rätsel aufzulösen. Dabei stößt man auf viele unerwartete Kuriositäten.
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1864 – gerade hatte Ludwig II. den Thron erklommen – entstand in der Reichenbachstraße 13 das Haus „Deutsche Eiche“. Damals hieß die Straße allerdings noch „Verlängerte Utzschneiderstraße“, und Bayern war noch selbstständiger Staat – übrigens mit moderner Verfassung, ohne jegliche Paragrafen gegen Homosexualität.
Ausgerechnet unter Ludwig II. kam Bayern dann zum Deutschen Reich, fortan war auch in Bayern Homosexualität strafbar! Trotzdem: „’s blüht manches warme Freundschaftsband, auch an dem schönen Isarstrand!“ (Koch-Hillebrecht aus dem Buch: „Homo Hitler“, Goldmann Verlag).
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Es waren wohl die Tänzer des Gärtnerplatztheaters, die die schwulen Wurzeln der „Deutschen Eiche“ bildeten. Und angeblich waren diese wiederum der Grund, warum sich ausgerechnet Adolf Hitler hier in den Jahren 1921 bis 1923 aufhielt, war doch damals seine Parteizentrale ums Eck in der Corneliusstraße 12.
Ob Hitler wirklich auch homophile Neigungen hatte, wie im obigen Buch behauptet? Bewiesen wurde das nie.
Ein paar Jahre später, kurz vor der Währungsreform, beantragte Emil Reichenbach – schon in dritter Generation Wirt in der „Deutschen Eiche“ – dass er zwei Zimmer in seinem Haus als Pensionszimmer vermieten durfte. Dass einmal das ganze Haus ein Hotel werden sollte, hätte er sich wohl nicht träumen lassen.
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Im Krieg gingen die Geschäfte immer schlechter, schließlich fiel 1944 auch noch eine Phosphorbombe ins Haus und brannte bis zum ersten Stock durch. Notdürftig wurde das Haus wieder hergerichtet.
Nach dem Krieg übernahm Emils Schwester, Ella Reichenbach, das Regiment, musste aber kurzzeitig ins Frauengefängnis wegen „Schleichhandels“: Man hatte mal wieder Schnaps vom Bodensee besorgt, um ihn in der Badewanne mit Eiern zu Eierlikör zu verarbeiten.
Überhaupt war Ella, die nun zusammen mit Schwägerin Tony und Tochter Sonja die Kneipe führte, ein Unikum. Dem Wein sprach sie sehr gerne zu, in der Küche hatte sie wegen Rutschgefahr Zeitungen ausgelegt, die sie beim Kochen allerdings auch las. So verbrannte manches Essen, was ihr den Spitznamen „Brandlhuberin“ einbrachte.
Eines Tages schrieb eine Zeitung von der „Deutschen Eiche“ als Schwulentreff. Ella entrüstete sich und sah das ganz anders: „So ein Schmarrn! Bei mir verkehren 90 Prozent Künstler und zehn Prozent von Frauen enttäuschte Männer!“
Aus dieser Zeit gibt es viele Anekdoten – etwa wie der Schauspieler des Gärtnerplatztheaters, Ernst Craemer, die Faschings-Tradition dieser heutigen Faschings-Hochburg ins Leben rief. Selbst inszenierte Parodien – mit den Wirtinnen als Hauptfiguren. Zum Beispiel „Schwanensee“.
Craemer und seine Freunde dekorierten tagelang und übten Gesang und Schauspiel des Stückes. Dass sowohl Ella als auch ihre Schwägerin Tony den weißen Schwan spielen wollten und nicht den schwarzen, war ja klar.
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Einsamer Höhepunkt war allerdings am Faschingsdienstag „die Beerdigung des Faschingsprinzen“: Die dicke Tony wurde auf einen langen Tisch gelegt, Craemer spielte den Pfarrer, der mit einer Klobürste die Leute „segnete“, vier kräftige Männer hoben die „Bahre“ und trugen sie, gefolgt von etwa zweihundert betrunkenen Gästen, die mit großer Klagelitanei dem „Pfarrer“ antworteten, zum Gärtnerplatz, einmal herum und wieder zurück ins Lokal. Hinterher halfen alle beim Aufräumen mit.
John Cranko, weltberühmter Ballett-Choreograf am Nationaltheater, zog seinen edlen Premierenfeiern eher die „Deutsche Eiche“ vor. Durch ihn kamen viele neue Künstler ins Lokal – und „von Frauen Enttäuschte“, wie Ella Reichenbach gesagt hätte.
Schließlich erwählte Rainer Werner Fassbinder ab 1974 die „Deutsche Eiche“ zu seinem zweiten Wohnzimmer, nachdem er sich in den Schankkellner Armin verliebt hatte (der sich allerdings nur wenige Jahre danach umbrachte). Die „Eiche“ kommt als Reminiszenz übrigens in einigen Filmen Fassbinders auch als Location vor.
Ella hatte allerdings so ihre Probleme mit dem Star. Als er mal wieder sein Kokain im Verteilerkasten vor einer drohenden Razzia versteckt hatte, nahm sie das Zeug und schüttete es in die Toilette.
Dass sie soeben mal locker ein paar Tausend Mark vernichtet hatte, ließ sie sich danach gerne vorhalten: „Des Zeig kummt ma ned ins Haus!“
Auch Freddie Mercury von der Band „Queen“ war in den Achtzigern häufiger Gast des Hauses, was wohl auch an seiner Busenfreundin Barbara Valentin lag, die hier zusammen mit Elisabeth Volkmann schon lange als „Geschwister Fürchterlich“ residierten.
Mit Aids und der daraus resultierenden Kampagne des damaligen KVR-Chefs Peter Gauweiler erlebte die „Eiche“ einen Niedergang; es war beinahe das Ende (nicht nur) dieser Institution. Gauweilers Maßnahmenkatalog führte dazu, dass die schwule Szene kaum mehr ausging. Die Besitzerin des Hauses wollte ein Bürohaus aus der „Eiche“ machen, stieß auf großen öffentlichen Widerstand – und verkaufte das Haus schließlich.
So bekam die fast gefällte „Deutsche Eiche“ 1993 neue Triebe. Gekauft hatten den ziemlich herunter gekommenen Traditionsbetrieb der Gastronom Niki Holzapfel, sein Sohn Dietmar und dessen Partner Sepp Sattler, letztere als Lehrer und Werbe-Filmer ohne jegliche Ahnung oder Gastro-Erfahrung. Das schien zunächst fatal, als Niki Holzapfel schon 1994 starb.
Aber dann starteten die Quereinsteiger eine unerwartete Erfolgsgeschichte: Aus der Kneipe wurde ein vergrößertes Restaurant, das inzwischen vom Hotel- und Gaststättenverband busseweise bei deren „Trend-Tour“ als Vorzeigebetrieb besucht wird. Das komplett modernisierte Hotel mit seinen 36 Zimmern glänzte zuletzt bei der Doku-Soap „Mein himmlisches Hotel“ auf „Vox“ als erstes Münchner Hotel mit einem Sieg.
Gerade wird der dritte Eiche-Zweig erweitert: Das Badehaus, das schon jetzt über vier Grundstücke auf 1500 Quadratmetern Lust und Erholung für Männer anbietet. 10 000 Männer aus aller Welt besuchen diesen Freudentempel jeden Monat. Seit 1999 vertritt die „Deutsche Eiche“ auch die Stadt München bei internationalen schwul-lesbischen Messen oder auch als Partner auf der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin.
Die „Deutsche Eiche“ gilt manchem als Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung: Waren in der Nachkriegszeit noch Schutzräume für Schwule und Lesben wie die „Eiche“ nötig – schließlich konnte einen der Paragraf 175 noch ins Gefängnis bringen oder auch das Leben, die Karriere vermasseln – heute kommen immer mehr Hetero-Gäste – etwa im gleichen Umfang, wie andererseits Schwule und Lesben heute in Hetero-Läden gehen, schätzt Wirt Sepp Sattler: „Das ist eigentlich die Integration, die wir wollten.“
Die Wirte engagieren sich für ihre Szene und darüber hinaus: Das Klenze-Denkmal haben sie erforscht und finanziert, aktuell kämpfen sie für die Wiedererrichtung des Ludwig-II.- Denkmals auf dem Balkon der Corneliusbrücke. Allerlei Gruppen – von der Evangelischen Akademie übers Bildungswerk der Gewerkschaft und die VHS – werden durch Sauna und Haus geführt. Die Wirte wollen falsche Vorstellungen korrigieren und Fans gewinnen. Oft entstehen dabei tiefgehende Diskussionen über Sexualität oder auch Politik, die Dietmar Holzapfel so schätzt.
Seit kurzem lockt eine der schönsten Dach-Terrassen der Innenstadt immer neue München-Liebhaber ins Haus (AZ berichtete). Holzapfel sagt es so: „Mancher muss sein Vorurteil gegen Schwule erst überwinden, dann aber zeigt die fantastische Aussicht symbolhaft, dass man über den Tellerrand hinausschauen muss.“
Die neueste Erwerbung der Eiche-Wirte ist ein Rückgebäude in der Klenzestraße. Dorthin wird sich der Saunabereich – mehr unter- als überirdisch – um rund 150 Quadratmeter erweitern. Die „Deutsche Eiche“ wächst also tatsächlich – wenn auch nicht bis zum Gärtnerplatz.