Ausstellung: Einblicke in das alte, wilde Haidhausen

Das Kulturzentrum Einstein zeigt in der Ausstellung "Rund ums Einstein" die bisweilen vergnügliche Historie eines gar nicht normalen Münchner Blocks.
Eine Szene auf dem Gelände der ehemaligen Unionsbrauerei.
Eine Szene auf dem Gelände der ehemaligen Unionsbrauerei. © Haidhausen-Museum

Haidhausen - Auf so eine Idee muss man erst mal kommen: Die halbe Stadtgeschichte in eine vergnügliche, nicht große, aber mit 15 Kapiteln informative Ausstellung über ein von vier Straßen begrenztes Stadtquartier zu packen. Und dazu noch einen Blick auf Institutionen und Persönlichkeiten zu werfen, die dort wirken und wirkten.

Hermann Wilhelm vom Haidhausen-Museum widmet sich in der in Halle 3 im Kulturzentrum Einstein gezeigten Schau "Rund ums Einstein" dem Areal hinter dem Max-Weber-Platz, das von Einstein-, Seerieder-, Kirchenstraße und einem Fußweg bestimmt ist. Kaum mehr als ein Großer Block (plus direkte Nachbarschaft).

In dem sich heute das 1998 vom Theater rechts der Isar, vom KiM-Kino, dem Jazzclub Unterfahrt und dem Freien Musikzentrum gegründete in den ehemaligen unterirdischen Kellern der Unionsbrauerei beheimatete Einstein-Kulturzentrum befindet. Die Unionsbrauerei (die 1921 von Löwenbräu geschluckt wurde) produzierte einst im Hof ihr Haidhauser Bier. Und in den 70er und frühen 80er Jahren tobte dort täglich das Flohmarkt-Leben: auf dem "Münchner Trödelmarkt", Zugang von der Kirchenstraße.

Eine Szene auf dem Gelände der ehemaligen Unionsbrauerei.
Eine Szene auf dem Gelände der ehemaligen Unionsbrauerei. © Haidhausen-Museum

Vogelwilde, windschiefe Häuser entstehen "in der Grube"

Auch die (Sub-)Kultur war vertreten: Mit der einstigen Kleinkunstbühne "Song Parnass", in der Reinhard Mey in jungen Jahren für angeblich 10 Mark Abendgage auftrat und Peter Maffay seinen ersten Plattenvertrag erhielt.

Oder mit dem "Birdland", das in den 60ern als Jazz-, Blues-, Soul-Lokal für viele schwarze US-Boys zum Stammlokal und den Liebhabern amerikanischer Avantgarde-Musik zum Geheimtipp wurde. Heute befindet sich in diesen Räumen das griechische Restaurant Paros. Angefangen hat die Gastro-Kultur an der Ecke Kirchen-, Seeriederstraße wohl mit dem 1846 erstmals erwähnten Gasthaus "Zum Lenzbauern".

Nicht weit davon: Das Haidhausen-Museum oder das Mietshaus, in dem der zu seiner Zeit legendäre, inzwischen vergessene Hochrad-Rennfahrer Heinrich Roth bis zu seinem Tod 1952 lebte. Verarmt und als Hausknecht beim Lenzbauern - eine Geschichte für sich.

Der legendäre Münchner Trödelmarkt an der Kirchenstraße.
Der legendäre Münchner Trödelmarkt an der Kirchenstraße. © Haidhausen-Museum

Zeitung forderte Polizeieinsatz

Heute vibriert das kulturelle Leben unter einer fast anderthalb Meter dicken Betondecke in den ehemaligen Unionsbräu-Katakomben im Untergrund. In denen die erste Münchner Radfahrerin Dr. Anny Schäfer auf einem Damenrad der Firma Opel (die ab 1898 in Rüsselsheim dann auch Autos baute) ihre Übungsrunden drehte. Um später auf der Maximilianstraße die Öffentlichkeit so zu empören, dass eine Zeitung einen Polizeieinsatz forderte.

Und fragte, ob man so "dem öffentlichen Sittlichkeitsgefühl ungestraft einen Faustschlag ins Gesicht" versetzen dürfe. Schäfer trug 1892 bei ihrer skandalösen Sonntagsfahrt durch die Maximilianstraße ein hochgeschlossenes "Damen-Touren-Kostüm", dessen Rock fast bis auf den Boden reichte. Ein eher ungewöhnliches Radl-Outfit.

Über dem Betondeckel ist es nun stiller geworden: Eine typische städtische Wohnsiedlung entstand in den 80er Jahren. Interessant noch – neben den Eingängen ins unterirdische Einstein – die Tafel, die unter dem Wappen des einzigen erhaltenen Brauereigebäudes angebracht ist und an den in Haidhausen als Wohltäter bekannten Josef Schülein erinnert. Der hatte die Bier-Fusion mit Löwenbräu betrieben und wurde als Jude 1933 aus der Geschäftsführung gedrängt.

Heute fahren hier Straßenbahnen

Auf dem historischen Boden fahren heute Straßenbahnen, deren Depots in der Einsteinstraße lagen. Kurios: Davor stellte man Wohnhäuser als Sichtschutz für die als hässlich empfundenen Hallen, sodass die Bahnen, um einzurücken, durch die Häuser durchfahren mussten.

Auch die für die Bauten der Stadt so bedeutende, etwa in die Ziegel der Frauenkirche verwandelte Lehmzunge kommt zur Sprache. Das Lehmvorkommen endete in Haidhausen und hinterließ beim Abbau Gruben, die an Braunkohletagebau im Kleinformat erinnerten. Etwa auf dem heutigen "Rechts der Isar"-Gelände.

Dort, Straßenbezeichnung "In der Grube", entstanden vogelwilde windschiefe und nicht besonders komfortable Herbergshäuser, die im Zweiten Weltkrieg großteils zerbombt, der Rest in der Nachkriegszeit zugunsten der Klinik-Neubauten abgebrochen, wurden. Schon erstaunlich, was Forschen in einem kleinen Stadtquartier alles zutage fördern kann.

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