Augustenstraße bleibt ein Dauer-Brennpunkt: Stadt München ändert nun ihre Pläne

Fußgänger und Radler kommen sich in der Augustenstraße oft gefährlich in die Quere: Es ist einfach zu eng. Ein Konzept zur Umgestaltung liegt bereits seit 2021 vor, darin ist auch viel Grün vorgesehen. Doch die Stadt hat die Pläne wieder umgeworfen. Stadtteilpolitiker und Maxvorstädter werden ungeduldig. Die AZ hat sich vor Ort umgeschaut.
von  Helena Ott
Vom Bürgersteig ist ein Radlweg abgetrennt. Sowohl für Fußgänger und Radfahrer ist der Platz aktuell sehr begrenzt.
Vom Bürgersteig ist ein Radlweg abgetrennt. Sowohl für Fußgänger und Radfahrer ist der Platz aktuell sehr begrenzt. © Daniel von Loeper

München – Es gibt hier etwas, das in München selten ist: Essen auf die Hand mit Qualität. Wer sich die Augustenstraße als lange Buffet-Tafel vorstellt, der findet sie reich gedeckt: mit japanischen Teigtaschen namens Gyozas, Falafelsandwiches, veganen Burgern, Gyros im Fladenbrot, Sushi oder Döner. Aber Möglichkeiten, seinen Imbiss irgendwo im Freien gemütlich zu verzehren, gibt es kaum. Keine einzige Sitzbank ist zu finden, als die AZ an einem Vormittag vor den Osterfeiertagen durch die eineinhalb Kilometer lange Straße streift.

Streit um Augustenstraße in München: In der Maxvorstadt gibt es kaum Grünflächen

Sowieso mangelt es der Maxvorstadt an Grünflächen. Das nächste ruhige Fleckchen ist der Alte Nördliche Friedhof. Schon seit Jahren warten die Maxvorstädter auf eine Umgestaltung und auf mehr Aufenthaltsqualität in der Augustenstraße. Ein fertig abgestimmtes Konzept liegt bereits seit Juli 2021 vor. Doch seitdem ist nichts passiert. Als der Bezirksausschuss (BA) Maxvorstadt nachfragte, teilte die Stadt unlängst mit, dass es inzwischen eine Planänderung gegeben habe. Diese wolle man im bevorstehenden Sommer im Bezirksausschuss vorstellen.

Das macht Felix Lang, Fraktionssprecher der SPD im Bezirksausschuss, sauer. Nicht die neuen Pläne, die kennt er ja noch nicht. Sondern wie die Stadt in der Sache mit dem BA umgegangen ist. "Wir waren im Juli 2021 der Auffassung, dass das Konzept fertig ist und eine Umsetzung vor der Tür steht." Auf einmal habe es dann in der Antwort des Mobilitätsreferates geheißen, dass das Konzept nach Konsultation der Initiatoren des Radentscheids geändert wurde. Die Straße solle nun doch zu einem "verkehrsberuhigtem Geschäftsbereich" werden. Ein Terminus, der Tempo 20 auf der Fahrbahn vorschreibt und verschiedene Möglichkeiten bietet, das Parken einzuschränken.

Der BA hatte diese Variante mehrheitlich abgelehnt. Die Mitglieder hatten sich für ein individuelles Konzept ausgesprochen. Der Radweg sollte zwar auch in ihrem Vorschlag vom Gehweg verschwinden. Es sollte aber Tempo 30 erlaubt sein, auch Parkplätze sollten – wo möglich – erhalten werden. Außerdem wünschte sich der BA, dass für Händler Ladezonen eingerichtet werden. "Am ärgerlichsten ist, dass sich jetzt alles noch ewig verzögert", sagt Felix Lang.

Der Raum ist umkämpft wie sonst fast nirgends in der Stadt

Der Gehweg auf der langen Achse vom Bahnhofsviertel nach Schwabing ist umkämpft wie sonst fast nirgends in der Stadt. Nur Bodenplatten markieren die Teilung: rechts Fußgänger, links Fahrradfahrer. An Engstellen haben Fußgänger nur knapp einen Meter Platz und der Fahrradstreifen ist an einzelnen Stellen nicht breiter als eine Kiste Bier. Dann stehen am Rand teilweise noch Lastenräder und Kinderwagen, die den engen Raum weiter begrenzen.

Blick vom Bahnhofsviertel in Richtung Josephsplatz: An vielen Stellen wird's noch enger auf dem eh schon schmalen Rad- und Fußgängerweg. Kinderwagen und Räder müssen auch irgendwo parken.
Blick vom Bahnhofsviertel in Richtung Josephsplatz: An vielen Stellen wird's noch enger auf dem eh schon schmalen Rad- und Fußgängerweg. Kinderwagen und Räder müssen auch irgendwo parken. © Daniel von Loeper

Das hätte sich längst ändern sollen. Das Konzept wurde mehrere Jahre zwischen Stadt und BA Maxvorstadt verhandelt. Der Radweg sollte auf die Fahrbahn und durch eine Tempo 30-Zone ein Nebeneinander mit den Autos ermöglicht werden. Auf dem Bürgersteig sollten neue Bäume gepflanzt und Bänke montiert werden. Der BA stimmte dem Konzept 2021 mehrheitlich zu.

Drei Jahre später fragt sich Lucas Urban, was aus der Umgestaltung geworden ist. Der 34-jährige Florist bindet gerade einen Strauß mit orangefarbenen Taglilien. An Werktagen fährt er um fünf Uhr morgens zum Großmarkt, besorgt frische Blumen. "Wenn ich nicht den Parkplatz im Hinterhof hätte, hätte ich ein echtes Problem", sagt Urban.

Denn er muss auch tagsüber häufig Blumensträuße an Kunden ausliefern und danach schnell zurück ins Geschäft kommen. Erst drei, vier Mal um den Block fahren zu müssen, kann er sich nicht leisten. Aber obwohl er die logistischen Schwierigkeiten als Ladenbesitzer kennt, sagt er: "Die Stadt gehört den Menschen, nicht den Autos."

Lucas Urban (34) ist auf sein Auto angewiesen, er muss oft Ware ausliefern. Für eine Umgestaltung der Augustenstraße mit weniger Parkplätzen ist er trotzdem.
Lucas Urban (34) ist auf sein Auto angewiesen, er muss oft Ware ausliefern. Für eine Umgestaltung der Augustenstraße mit weniger Parkplätzen ist er trotzdem. © Daniel von Loeper

Zwei Blocks weiter in einem kleinen Kiosk herrscht Ratlosigkeit. "Was soll ich da sagen? Kommens wieder, wenn wir wissen, was kommt", sagt der Besitzer. Er möchte nicht zitiert werden, da die Stimmung im Viertel "so grün" sei.

Auf Anfrage der Abendzeitung bei der Stadt möchte sich das Mobilitätsreferat nicht festlegen. Aktuelle Pläne könnten erst veröffentlicht werden, wenn im Sommer der BA Maxvorstadt gehört worden sei. So bleiben grundlegende Fragen weiter unklar: Verschwindet der Radweg vom Gehweg? Werden Bäume gepflanzt, Bänke aufgestellt? Wie viele Parkplätze werden wegfallen? Wird es Tempo 20 oder Tempo 30 geben?

Verkehrsberuhigte Augustenstraße hieße: Weniger Platz für Parkplätze, Radlständer und Bäume

Bei einem verkehrsberuhigten Bereich, sagt Felix Lang, sei zu befürchten, dass nicht nur Parkplätze für das Pflanzen von Bäumen und Fahrradständern wegfallen. Auch der Kurzpark-Verkehr würde weiter eingeschränkt.

Das größte Problem für die Händler und Gastronomen in der Augustenstraße sei aber die Unsicherheit. Sie wüssten nicht, auf welche Situation sie sich vorbereiten sollen. "Ich versteh nicht, warum es jetzt noch einmal bis Sommer dauert, bis das Konzept von der Stadt im BA vorgestellt wird", sagt Felix Lang.

In der Augustenstraße sind viele Radler unterwegs.
In der Augustenstraße sind viele Radler unterwegs. © Daniel von Loeper

In den vergangenen zehn Jahren hat sich die Augustenstraße zu einem trubeligen Fleck in München entwickelt: zu einem Hotspot, der nicht mit architektonischer Raffinesse aufwartet, aber mit einem vielseitigen Angebot für ein gemischtes Publikum. Abseits touristischer Hauptrouten bekommt man hier alles für den täglichen Bedarf. Lampen, Blumen, Wandfarbe, Bücher, Brillen, Uhren und jede Menge Krimskrams. Es gibt viele Friseure, einen Schuster, einen kleinen Elektroladen, eine Textilreinigung, Drogerien, Supermärkte, Paketshops, Pediküre-Salons und inhabergeführte Kleiderläden. Es ist eine Straße für die Bedürfnisse ihrer Anwohner.

Hinter dem breiten Angebot steckt viel Logistik. Jürgen Haberstock (60) sagt, die Parkplatzsituation in der Straße sei für Händler schon jetzt "eine Zumutung". An einer Umgestaltung könne er nichts Positives sehen. Er betreibt einen Lotto-Laden und Kiosk, in dem er Spirituosen, Zigaretten und Schreibwaren verkauft am Eck zur Görresstraße.

Kiosk-Betreiber Jürgen Haberstock: "Eine Frechheit, wenn noch mehr Parkplätze wegfallen"

"Ehrlich gesagt wäre es eine Frechheit, wenn noch mehr Parkplätze wegfallen", sagt er. Im Jahr zahle er 700 Euro für den gewerblichen Parkausweis. Damit habe er aber noch keinen festen Stellplatz. Er müsse, wie alle anderen, im Viertel herumfahren und suchen. Nur dass es für Anwohner 30 Euro kostet. "Ich zahl doch nicht 700 Euro für nichts", sagt Haberstock.

Seine Lieferanten müssten teils drei Blocks weiter parken und das Geschäft mit der Sackkarre beliefern. Eine Frau, die im Viertel wohnt, kommt in den Laden. Sie steigt sofort in das Gespräch ein. "Die Parkplatzsuche ist hier oben eine Katastrophe!" Nach sechs Jahren auf der Warteliste habe sie nun endlich einen Stellplatz in der Tiefgarage am Josephsplatz ergattert, für 100 Euro im Monat.

Jürgen Haberstock (60) findet, es wäre "eine Frechheit", wenn durch die Umgestaltung im Viertel noch weitere Parkplätze wegfielen.
Jürgen Haberstock (60) findet, es wäre "eine Frechheit", wenn durch die Umgestaltung im Viertel noch weitere Parkplätze wegfielen. © Daniel von Loeper

Das Thema polarisiert, sagt Felix Lang "Die Leute sind entweder total dafür oder krass dagegen, ein Dazwischen gibt es nicht." Der Streifzug durch die Augustenstraße vermittelt den Eindruck, dass die Mehrheit für eine Umgestaltung ist. Auch wenn das längst keine repräsentative Befragung ersetzt. 

Café-Josefina-Wirt Murat Dagli: "Du glaubst nicht, wie viele Unfälle hier passieren"

Auf den letzten hundert Metern, die Josephskirche schon in Sichtweite, betreibt Murat Dagli (52) das Café Josefina. An sechs Tischen im Innenraum serviert er Kaffee und Kuchen aus "biozertifizierten Zutaten", sagt er. Drei schmale Tische passen vor das Lokal. "In der Pandemie waren wir die absoluten Verlierer", sagt der Wirt. Wie viele andere Gastronomen auf der Augustenstraße durfte er keinen Schanigarten auf die vorgelagerten Parkplätze stellen – weil der Radweg dazwischen gewesen wäre.

Murat Dagli (52) betreibt das Café Josefina. Er hofft auf mehr Platz für die Gäste, die gern draußen vor seinem Café sitzen.
Murat Dagli (52) betreibt das Café Josefina. Er hofft auf mehr Platz für die Gäste, die gern draußen vor seinem Café sitzen. © Daniel von Loeper

Seit 2021 wartet Murat Dagli nun auf eine aus seiner Sicht positive Veränderung: "Die Umgestaltung wäre unsere Rettung." Draußen vor seiner Glasfront könnte er drei Tische mehr aufstellen. Außerdem wäre die Fläche einladender, weil nicht direkt davor die Fahrradfahrer vorbeirauschen würden. "Das ist völlig verrückt, die sind teilweise mit 30 km/h unterwegs", sagt Dagli. Als seine Kinder noch klein und häufig mit im Laden waren, habe er oft Angst gehabt, dass sie von einem Radler erwischt würden. Aber auch Fußgänger würden den Fahrradweg manchmal vergessen. "Du glaubst nicht, wie viele Unfälle hier vor meinem Fenster passieren."

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.