Antiquariate in München: Die Stöber-Stuben verschwinden

Maxvorstadt — Als es den Kitzinger getroffen hat, 2020 war das, da ist ein Beben durch Münchens Bücherhändler gegangen. Vor etwas mehr als zwei Jahren kam die Nachricht, dass das beliebte Antiquariat Kitzinger seinen Standort verlassen muss. Ein Immobilienkonzern hatte eine profitträchtigere Verwendungsmöglichkeit für sein Haus gefunden. Inzwischen hat der Traditionsladen zwar einen neuen Standort gefunden. Aber bei Münchens Antiquaren ist die Geschichte trotzdem hängen geblieben, steht sie doch symbolisch für einen Trend, der immer stärker spürbar wird: Die Antiquariate verschwinden.
"Die Mieten sind zu hoch!"
"Fünf bis zehn Jahre noch", sagt Antiquar Rainer Köbelin, "dann wird es keine Antiquariate in der Stadt mehr geben." - "Vielleicht noch fünfzehn Jahre", sagt Antiquarin Angelika Ziegler. "Noch zehn Jahre vielleicht", sagt Peter Berghammer. "Danach ist es vorbei mit den Läden." Peter Berghammer hat selbst zwei Antiquariats-Läden in München besessen, in den 2000ern hat er zumachen müssen. Seitdem betreibt Berghammer den Bücherverkauf nur noch über das Internet. So, wie viele, die einst ihre Bücher in Ladengeschäften angeboten haben.
Umstieg auf Online-Antiquariate?
Manche haben sich ein Haus irgendwo auf dem Dorf gekauft, wo die Mieten günstig sind, und verschicken nun von dort ihre Bücher in alle Welt. Andere, so wie Berghammer, sind in München geblieben und haben trotzdem auf reinen Online-Verkauf umgestellt. Aber einige wenige sind einfach geblieben, Menschen wie Angelika Ziegler und Rainer Köbelin. Sie wollen weitermachen - unabhängig davon, ob es sich finanziell lohnt. Rainer Köbelin sagt: "Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht - das gebe ich sicher nicht auf, nur, weil es kein Geld mehr bringt."
"Gebrauchte Bücher sind wie Schallplatten"
Petra Hammerstein (55): "Meine Mutter sagt immer: Das Schöne am Antiquariat ist, dass dort das Buch den Kunden sucht und nicht umgekehrt. Weil es so viel zu entdecken gibt! Mich begeistert das immer, wenn wir neue Bücher einkaufen: Allein, darin zu blättern, sie zu überfliegen und zu sehen, was es alles gibt, das ist einfach großartig!

Viele Leute haben eine gewisse Scheu vor Antiquariaten. Sie wissen nicht, was sie damit anfangen sollen und trauen sich nicht so richtig über die Schwelle. Aber gerade unter den jüngeren Leuten hat diese Scheu in den letzten Jahren abgenommen. Das ist jetzt eine andere Generation. Gebrauchte Bücher, die haben für die so einen Vintage-Charme, ein bisschen wie Schallplatten. Kürzlich kam einer und war ganz begeistert, der meinte: 'Ohhh, das ist hier ja wie bei Harry Potter!' Überhaupt liest gerade die jüngere Generation wieder mehr, vor allem Klassiker. E.T.A. Hoffmann, Goethe, Edgar Allan Poe: Noch vor zehn Jahren hat sich da kein Mensch für interessiert. Neuerdings schon, und zwar gerade die ganz Jungen, so ab dem Alter von 16 aufwärts. Früher haben die geguckt, als wäre das Altpapier, heute finden sie Bücher mit einem geprägten Einband toll. Antiquariate sind ja ein wenig aus der Zeit gefallen, das hat so eine Romantik, die vielen gefällt. Unseren Laden in der Türkenstraße hat mein Vater vor etwa 60 Jahren eröffnet. Ich bin mit eingestiegen, als ich mit der Schule fertig war. Seit mein Vater vor etwa zehn Jahren gestorben ist, betreiben meine Mutter und ich ihn zu zweit. Ich kümmere mich um das Internet, meine Mutter um die Post und die Verschickung.
Wir eröffnen den Laden erst um 12, da denken die Leute dann immer, davor würden wir herumsitzen und lesen. Das wäre schön! In Wirklichkeit räumen wir den Laden auf, sortieren und verschicken. Trotzdem habe ich eine besondere Beziehung zu Büchern, ich bin ja zwischen ihnen aufgewachsen. Am liebsten lese ich Gruselgeschichten aus dem Viktorianischen Zeitalter. Zwar nicht während der Arbeit. Aber dafür umso mehr in meiner Freizeit."
Antiquariat Hans Hammerstein, Türkenstr. 37, geöffnet Montag bis Freitag 12-18 Uhr, samstags 11-18 Uhr.
"Im Internet bin ich nur Verkäufer"
Rainer Köbelin (84): "Überall werden die Preise erhöht, 100 Gramm Wurst sind plötzlich nur noch 80 Gramm. Aber im Antiquariat geht das nicht. Weil der Preis im Internet fällt, statt zu steigen. Die Leute unterbieten sich ununterbrochen. Ein Buch kostet vielleicht bei einem Nobelhändler aus New York 400 Euro, aber irgendwo anders bietet es jemand für 20 Euro an. Dann verlangt der nächste nur noch 18 Euro. Und dann stehen die Leute bei mir im Geschäft und sehen ein Buch für 20 Euro und fragen sich gleich: Ist das günstig? Rein ins Internet, aha!, am Nordpol verkauft das einer für 18 Euro. Und dann wollen sie es bei mir nicht mehr kaufen.

Mein Vater war Büchersammler, ich bin quasi in einer Bibliothek aufgewachsen. 1967 habe ich dann mein Antiquariat aufgemacht. Damals war das noch anders als heute, heute macht niemand mehr ein Antiquariat auf. Die Leute gehen jetzt auf Flohmärkte und machen da ihren Privathandel. Und die Ladengeschäfte verschwinden, weil die Leute die Miete nicht mehr zahlen können. So ein Antiquariat kann man nicht am Rand von München aufmachen. Das muss ins Univiertel, das ist traditionell der Platz für die Antiquariate. Aber genau da gehen die Mieten immer weiter hoch. Und wenn die Leute das nicht mehr zahlen können, dann kommen die Spekulanten, kaufen das Haus auf und dann kommt da eine Gastronomie rein oder eine Bank.
Ich war mein ganzes Leben lang glücklich im Antiquariat. Ich hab mir nie gedacht, ohje, heute ist Montag, da muss ich wieder arbeiten. Sondern ich freu mich immer noch jeden Montag darüber. Aber wenn ich jetzt 30 wäre, dann würde ich kein Antiquariat mehr aufmachen, davon kann man nicht leben. Für mich ist das nicht so schlimm, ich habe meine Rente. Aber ich denke, in fünf bis zehn Jahren wird es keine Antiquariate in der Stadt mehr geben.
Mit dem, was ich über die Ladenkunden verdiene, kann ich gerade die Telefonrechnung bezahlen. Ein bisschen mehr Geld kommt über Auktionen rein, oder über Privatkunden oder Stammkunden. Aber die Stammkunden sterben jetzt so langsam weg. Ich war auch mal im Internet, aber das habe ich wieder aufgehört. Da fehlte mir der Kontakt zum Kunden. Im Internet bin ich nur Warenverkäufer, nicht Antiquar. Aber das wollen die Leute auch, die wollen überhaupt keinen Kontakt mehr. Als ich noch im Internet Bücher verkauft habe, da hab ich manchmal Kunden angerufen und gesagt, ich habe hier noch ein paar andere Bücher zu dem Thema. Aber die wollten überhaupt nicht mit mir sprechen, sie meinten nur, stellen Sie es doch ins Internet. Dabei sind die Gespräche mit den Kunden fast das Beste an meinem Beruf. Ich habe ein allgemeines Wissen über Bücher, aber meine Kunden haben oft ein ganz spezielles Wissen. Zum Beispiel über alte Kochbücher, oder über Literatur aus dem 18. Jahrhundert. Davon erzählen sie mir dann. Das meiste lerne ich nicht aus Büchern, sondern von meinen Kunden."
Antiquariat Rainer Köbelin, Schellingstr. 99, geöffnet Mo-Fr, 10-13 Uhr und 15.30-18.30.
"Mein Bruder würde lieber heute als morgen aufhören"

Angelika Ziegler (68): "Meine Mutter hat unser Antiquariat 1956 gegründet, damals stand es noch in Schwabing. Aber alle zehn Jahre musste sie wegen Mieterhöhungen umziehen. Als in den 80er Jahren die Mietpreise für Läden explodiert sind, wollte sie aufhören. Ich hatte mich damals gerade scheiden lassen. Da man mit Kleinkind schlechte Karten bei den Arbeitgebern hat, habe ich mich dazu entschlossen, das Geschäft meiner Mutter weiterzuführen. Allerdings nicht in Schwabing, sondern im Westend. Da waren die Mieten damals noch bezahlbar. Wir haben über die Jahre mehr als 100.000 Bücher zusammengetragen. Romane, Sachbücher, Comics, Kinderbücher, und so weiter. Viele davon verkaufen wir für nur einen Euro.
Seit den 2000er Jahren ist das eigentlich mehr Hobby als Geschäft. Verdienen tue ich daran so gut wie nichts. Ich bin schon froh, wenn ich nicht draufzahlen muss. Ohne die Unterstützung meiner Familie hätte ich wahrscheinlich schon aufgeben müssen. Viele meiner Stammkunden sind in den letzten Jahren verstorben. Über die, die noch kommen, freue ich mich jedes Mal, weil meist auch ein kleiner Plausch drin ist. Die Jugend fehlt dagegen schon seit Jahrzehnten, die ist ja mittlerweile nur noch im Internet unterwegs. Wobei es da natürlich Ausnahmen gibt.
Die meiste Zeit stehe ich alleine in meinem Laden. Deshalb habe ich inzwischen auch nur noch drei Tage die Woche geöffnet. Wenn keiner kommt, staube ich meine Bücher ab, oder gebe sie ins Internet ein und hoffe, dass jemand meinen Shop findet und ein Buch bestellt. Wenn früher keiner im Laden war, konnte ich selbst ein Buch lesen. Dazu komme ich heute nicht mehr. Ich muss zusehen, dass ich meine Bücher ins Schaufenster des Internets gestellt bekomme. Ich habe einen eigenen Internet-Shop, gegen die großen Internet-Anbieter komme ich damit aber nicht an.
Das mit den Online-Kunden ist auch so eine Sache. Sie werden in der Regel keine Stammkunden, weil der persönliche Kontakt fehlt und die meisten nur nach billig schauen. Da wären sie eigentlich bei mir genau an der richtigen Adresse - aber man muss halt auch gefunden werden. Und das ist nicht so einfach. Ich betreibe den Laden zusammen mit meinem Bruder, der würde lieber heute als morgen aufhören. Aber ich kann mich nicht so einfach trennen. Solange ich noch stehen kann, will ich den Laden offen lassen. Aber wenn die Kosten weiter steigen, so wie aktuell die Energiekosten, dann muss ich vielleicht doch noch irgendwann den Container kommen lassen. Das ist mein schlimmster Alptraum."
Antiquariat Angelika Ziegler, Landsbergerstr. 71, geöffnet Montag, Mittwoch, Freitag 10-18 Uhr, samstags 10-13 Uhr.