Amokläufer in Kreuzstich
"Die Rückführung des öffentlichen Schatzes": Im Open Creative Space zeigt die Künstlerin Victoria Martini im September ihre Stickarbeiten, die nur auf den ersten Blick altmodisch sind.
Maxvorstadt - Was hat Sticken mit der unserer medialen Gesellschaft zu tun? Sticken - diese altmodische Handarbeit, dieser Ausdruck von bürgerlicher Ordnung. Eine Annäherung an die Antwort auf diese Frage beginnt genau an diesem Punkt: Denn es ist genau das Anständige und Sittsame an dieser zarten Nadel-Arbeit, das der Künstlerin als Einfallstor für ihre beunruhigenden Botschaften zur modernen Mediengesellschaft dient.
In ihrer Serie „Werther Effekt“ beschäftigt sich die Künstlerin mit einem immer wieder kehrenden Phänomen, das meist intensiv von den Medien gehypt und mythologisiert wird: Amokläufer und Massenmörder. Ihre Taten, ihre Leben und ihre Geschichte werden von den meisten Menschen in einem Zustand der Angstlust und Katharsis rezipiert – immer verdrängend, dass diese Täter sehr oft aus ihrer gesellschaftlichen Mitte kommen, in einigen Fällen sogar erst von der Gesellschaft zu dem gemacht wurden, was sie sind.
In liebevoll verschnörkelten Stichmustern verpackt, wirft Martini diese von der Gesellschaft zu Monstern erklärten Außenseiter wieder direkt in ihre Mitte. Auch Ihre figürlichen Arbeiten muten auf den ersten Blick fast schon kitschig an. Die Motive kommen einem altmodisch und manchmal unbestimmt vertraut vor, weil man sie irgendwo schon einmal in gesehen hat. In einer Illustrierten? Einem Film? Im Internet? Bei dem heutigen Überangebot und der Schnelllebigkeit von Informationen und Daten ist es völlig normal, dass man sich nicht erinnert - es ist aber auch kritisch zu betrachten.
Durch die zeitintensive Stickumsetzung ihrer Motive entschleunigt Martini den zu einem abstrakten Riesenklumpen angewachsenen medialen Datenschatz und bringt ihn stückweise zurück zu den Menschen. In einer weiteren Reihe beschäftigt sich die Künstlerin mit der Doppelidentität, die besonders das Internet popularisiert und salonfähig gemacht hat. Anonym einen bösen Kommentar schreiben oder jemanden über Suchmaschinen ausspionieren: Fast jeder hat diese andere digitale Identität. Meist ist sie für andere nicht sichtbar - man selbst blendet sie aus.
Martini macht dieses Moment sichtbar, indem sie zwei zueinander passende Teile voneinander in einen unnatürlichen Zusammenhang setzt. Dabei arbeitet sie vor allem mit Figuren in scheinbar harmonischen räumlichen Kontexten, die sich in ihrer Sinnhaftigkeit und Logik vom Betrachter sofort und sicher erschließen lassen. Erst bei genauerem Hinsehen entstehen Divergenzen. Eine verlockend weit geöffnete Tür - aber niemand, der hindurch geht. Ein Ruf in die Weite - doch keiner, der antwortet. Auf der Flucht sein - aber seine Verfolger nicht sehen.
Die Ausstellung ist zur Open Art am Samstag, 14. September und Sonntag, 15. September, von 14 bis 18 Uhr geöffnet.
Wann? Vernissage am Freitag, 13. September, 18 bis 22 Uhr, Ausstellung von Samstag, 14. September bis Samstag, 28. September, Mittwoch bis Freitag von 15.30 bis 19.30 Uhr
Wo? Open Creative Space by MUNIKAT, Barer Straße 69, 80799 München
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