"Alarmierende Situation in der Bayernkaserne"

Freimann - In einem offenen Brief wendet sich die Organisation "Ärzteinitiative für Flüchtlingsrechte" an Christian Ude (Oberbürgermeister der Stadt München), Christine Strobl (Zweite Bürgermeisterin der Stadt München) Emilia Müller (Staatsministerin für Arbeit und Soziales, Familie und Integration) Martin Neumeyer ( Integrationsbeauftragten der Bayerischen Staatsregierung,MdL)
Die Initiative sorgt sich um das Wohl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in München und Bayern und fragt, wie die Zukunft für diese jungen Menschen aussehen soll. Lesen Sie hier den ganzen Brief:
"Sehr geehrte Damen und Herren,
Nach aktuellen Informationen ist die Lage für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) in der Bayernkaserne alarmierend. Ein großer Teil der weit über 160 Jugendlichen lebt seit 10 Monaten und mehr in der eigentlich für die ersten drei Monate vorgesehenen "Erstaufnahmeeinrichtung" (EAE).
Dort herrschen seit langem Bedingungen, die das Kindeswohl gefährden, wie das für die Jugendlichen zuständige Stadtjugendamt in diesem Jahr mehrfach festgestellt hat. Erschwerend kommt jetzt eine massive Überfüllung des Lagers dazu. Die Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit hat bei einigen der Flüchtlinge zu Gewalt geführt, wie von der Presse beschrieben, bei der Mehrzahl aber tiefe Depression und Verzweiflung ausgelöst.
Bei vielen Sozialbetreuern von der Inneren Mission herrschen Resignation und die Beschäftigung mit sich selbst und den eigenen Problemen vor. Eine Betreuung findet kaum noch statt. Der Vertrag mit der Inneren Mission ist zum 31.12.2013 gekündigt; niemand weiß, ob es danach noch eine Sozialbetreuung geben wird und wo die Flüchtlinge unterkommen können, wenn die EAE geschlossen wird.
Nicht nur in München, auch in allen anderen Regionen Bayerns gibt es zu wenige Jugendhilfeplätze. Aktuell sind zahlreiche UMF aus der Bayernkaserne bereit, einen Jugendhilfeplatz irgendwo in Bayern anzunehmen – es gibt keine freien Plätze für sie. Aber viele Flüchtlinge haben in dem Jahr in der Kaserne zu Mitbewohnern in der Kaserne und in München soziale Beziehungen aufgebaut, die für sie sehr wichtig sind; sie gehen hier zur Schule oder in einen Sportverein.
Sie können nicht einfach wie Möbelstücke vom einen Ende Bayerns zum anderen verschickt werden. Und sie haben das Recht auf Mitsprache bei der Entscheidung, wo und wie sie wohnen werden. Daher ist es dringend erforderlich, in München und Umgebung umgehend mindestens 50 neue Jugendhilfeplätze zu schaffen und zusätzlich alternative Betreuungsmodelle zu fördern – etwa in Wohngemeinschaften mit Studenten oder in Pflegefamilien, die selbstverständlich eine umfassende Beratung und Betreuung erhalten müssen etwa zu den soziokulturellen Besonderheiten der UMF, ausländerrechtlichen Fragen und Traumafolgen.
Hier könnten Modellprojekte mit bundesweitem Vorbildcharakter für geglückte Integration entstehen. Sollte all dies nicht gelingen, ist eine massive Zunahme der Verzweiflungstaten und der Gewalt in der Bayernkaserne zu befürchten. Um das zu verhindern, muss die Betreuung der UMF für die Stadt München, aber auch für ganz Bayern zur Chefsache werden. Das schließt beispielsweise die Bereitstellung von Immobilien, die unbürokratische Genehmigung von Betreuungseinrichtungen nach Jugendhilfestandards und auch die länderübergreifende Familienzusammenführung von UMF ein, die anderenorts aufnahmebereite Verwandte haben und zu ihnen ziehen wollen.
Bei allen Maßnahmen muss das Kindeswohl an erster Stelle stehen. Auch im Bereich der Clearingstellen sind mindestens 200 zusätzliche Plätze erforderlich. Es sind ja zwei neue Gruppen junger Flüchtlinge zu betreuen: Die 16-18jährigen, die bisher den EAE-UMF zugewiesen wurden; aber auch diejenigen, die bisher von der Regierung von Oberbayern für volljährig erklärt wurden, in Wirklichkeit aber minderjährig sind. Künftig sind auch in Bayern alle jungen Flüchtlinge, die ein Alter unter 18 Jahren angeben, in Obhut zu nehmen und in Clearingstellen auf ihren Jugendhilfebedarf zu untersuchen.
Die Planung des Bayerischen Staatsministeriums sieht jeweils 50 neue Clearingstellen in München, Augsburg, Regensburg und Nürnberg vor. Schon heute ist klar, dass diese nicht zum 1.1. und wahrscheinlich auch nicht zum 1.4. 2014 verwirklicht sein werden. München als die bayerische Stadt mit der besten Infrastruktur für UMF wird daher deutlich mehr als 50 zusätzliche Plätze bereitstellen müssen, um auch nur eine minimale Versorgung zu gewährleisten.
Aktuell sind nur 24 Plätze geplant. Die Stadt München, das Stadtjugendamt und alle Träger der Jugendhilfe sind aufgerufen, jetzt Fakten zu schaffen. Alle anderen Jugendämter in Bayern sind gehalten, nach ihren Möglichkeiten zur Unterbringung der UMF beizutragen. Dies muss von der Bayerischen Staatsregierung koordiniert und gefördert werden."