11 000 Leute geköpft: Der Schichtl wird 60

Seit Jahrzehnten ist Manfred Schauer auf dem Oktoberfest der Schichtl. In seinem Varieté lässt er Wiesn-Besucher köpfen – zumindest sieht es so aus. Heute wird das Wiesn-Original 60 Jahre alt
von  Christian Pfaffinger
Mit seiner Spezial-Guillotine "Marie Antoinette" hat er schon 11 000 Wiesn-Besucher hingerichet - zumindest zum Schein.
Mit seiner Spezial-Guillotine "Marie Antoinette" hat er schon 11 000 Wiesn-Besucher hingerichet - zumindest zum Schein. © Petra Schramek

München - Wie ein Firmling vorm Bischof steht er da, der Staatsminister Erwin Huber. Schuldig des Falschzapfens, geständig und reuevoll.

„I hob doch mit drei Schlägen guad ozapft“, verteidigt er sich. Leider hat er dabei auch den Ministerpräsidenten mit Bier abgespritzt – und dann vergessen, „ozapft is“ zu rufen. Dafür wird er geköpft. Der Henker streckt Huber auf die Guillotine. Das Beil fällt.

Vor neun Jahren war das, als der CSU-Politiker Huber sich bei der Berliner Oktoberfest-Kopie einen Zapf-Fauxpas leistete und dafür auf der Münchner Original-Wiesn hingerichtet wurde. Freilich nur zum Spaß und von dem, der sie alle richtet: der Schichtl.

Der Schichtl, das ist seit 27 Jahren Manfred Schauer. Heute wird er sechzig, fast die Hälfte seines Lebens enthauptet er nun Wiesn-Besucher mit seiner Spezial-Guillotine. Durch einen Spiegeltrick sieht es aus, als würden die Menschen wirklich geköpft.

Ein grausiger Spaß, den sich auch Promis immer wieder gönnen: Von Christian Ude über Heiner Lauterbach, Rainhard Fendrich und Christine Neubauer bis Ottfried Fischer – alle ließen sie sich schon von Manfred Schauer hinrichten. Sogar der Magier David Copperfield war schon zweimal da und hat sich den Trick zeigen lassen. Auf das Schafott getraut hat er sich aber nicht.

Das Varieté „Auf geht’s beim Schichtl“ steht seit 1869 auf der Wiesn. 1985 wollte es niemand mehr machen, die Traditions-Gaudi beim Schichtl drohte zu sterben. Da erbarmte sich Manfred Schauer. Er hatte zuvor in der Münchner Großmarkthalle gehandelt und übernahm nun mit einem Partner den Schichtl.

Nach seinen ersten vier Wiesntagen ist er verzweifelt, weil er meint, er packt es nicht. „Ich hätte meinen Anteil am Geschäft für fünf Mark weiterverkauft“, sagt er. Stattdessen lief es dann doch. Heute gehört ihm der Schichtl allein. Und Schauer ist der einzige, der seit Jahrzehnten täglich auf der Bühne steht, bei der Parade die Leute anzieht, die Hinrichtung inszeniert und abends als Rausschmeißer auch noch singt.

„Ich lebe die Wiesn“ sagt er. Zusammen mit zehn Mitarbeitern schuftet er, damit das Publikum bei jeder Wiesn 400 Enthauptungen sieht. Über 11000 wurden bei ihm schon geköpft. Wenn die Wiesn vorbei ist, tut ihm alles weh. „Ich bin dann vier Kilo leichter und sehe aus wie ein 90-Jähriger“, sagt Schauer.

Trotzdem liebt er es, der Schichtl zu sein. Auf der Bühne ist Manfred Schauer schlagfertig und bissig, er derbleckt die Leute und hat für alles und jeden einen Spruch parat, er ist unverschämt, aber nicht gemein. „Lieber zwölfmal auf die Nase als einmal unter den Gürtel“, sagt er. Viele nennen ihn das Gesicht der Wiesn und ein Münchner Original, andere spotten über die immergleichen Sprüche des Kalauer-Dompteurs. Aber alle sind sich einig: Der Schichtl ist eine Schau.

Oft halt bloß eine Schau im Vorbeigehen. Die meisten Wiesn-Besucher stehen vorm Schichtl, reingehen und zahlen tun die wenigsten. „Mein großes Dilemma“, meint Schauer. Abends ab halb acht drängen die Leute noch narrischer als davor in die Bierzelte, und der Schichtl wird einsam: „Da könnt ich zusperren.“ Macht er aber nicht.

Stattdessen sinniert er. Dass zum Heiteren eben auch das Traurige gehört. „Ich bin ein sentimentaler Mensch“ sagt er und dass er auch mal weint. „Wasserburger“ sagt er zu den Tränen. Ganz ernst geht’s halt doch nicht.

Besorgt wirkt er aber schon bei der Frage, wie lange er noch der Schichtl ist. „Gerne noch 340 Jahre. Aber dieser Wunsch ist nichts wert, wenn die Festleitung das nicht will“, sagt er. Abseits seines Wiesn-lebens ist Schauer Moderator, organisiert Floßfahrten und tritt auf Feiern auf.

Damit ist er glücklich. „Zufrieden wird man, indem man nicht alles will.“ Noch ein paar tausend Wiesn-Gäste köpfen, das will er aber auf jeden Fall.

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