Interview

Stadtrat Thomas Niederbühl über die Corona-Auswirkungen auf die queere Szene: "Man merkt, dass viel fehlt"

Thomas Niederbühl von der Rosa Liste spricht über die Sorge vor dem Sterben schwuler Gastronomie, blickt zurück auf ein schwieriges Jahr für die Szene - und sagt, was die Stadt unbedingt weiter finanzieren muss.
von  Felix Müller
"Ich habe auch Verständnis für die Finanzsorgen der Stadt": Thomas Niederbühl vor dem Rathaus. (Archivbild)
"Ich habe auch Verständnis für die Finanzsorgen der Stadt": Thomas Niederbühl vor dem Rathaus. (Archivbild) © Sigi Müller

München - Das AZ-Interview mit Thomas Niederbühl. Der 59-Jährige engagiert sich seit Jahrzehnten für die Anliegen queerer Münchner. Seit 1996 ist er Stadtrat der Rosa Liste.

Die grün-rote Rathaus-Koalition ist eigentlich eine grün-rosa-rote. Rosa-Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl ist weiter Teil der Grünen-Fraktion - und gehört damit seit Mai wieder zur Regierungsmehrheit. Im AZ-Interview erklärt er, wo er in dieser Legislaturperiode die Schwerpunkte seiner Arbeit sieht - und was vielleicht doch ein bisserl auf die lange Bank geschoben werden könnte.

AZ: Herr Niederbühl, wie schwer hat der erste Lockdown im Frühjahr die schwule Gastronomie getroffen
THOMAS NIEDERBÜHL: Sehr schwer, wie alle anderen auch. Aber was ich sehr beeindruckend fand, war die große Solidarität der Szene. Es gab viele Aufrufe zu helfen, die Gastronomen haben schnell auf to go umgestellt. Besonders hart war es für die Community aber trotzdem.

Inwiefern?
Lokale, Clubs, die Non-Profit-Treffpunkte: Alles lebt von den persönlichen Kontakten. Es geht um Freiräume, in denen sich die Leute nicht erklären müssen, weil sie sind, wie sie sind, und um einen Schutzraum gegen Angriffe. Diese Orte sind für die Identität vieler Menschen sehr wichtig. Natürlich merkt man, wenn viel fehlt.

"Wenn ein Club erstmal weg ist, entsteht eine große Lücke"

Also schauen Sie auf ein sehr schweres Jahr für die Szene zurück, CSD und Straßenfeste konnten ja auch nicht in gewohntem Umfang stattfinden.
Ein großes Defizitgefühl, weil das Miteinander gefehlt hat, gab und gibt es auf jeden Fall. Andererseits sind ja auch viele kreative Lösungen entstanden. Wie beim CSD, der digital toll auf die Beine gestellt wurde, bei dem wir aber auch Demo-Spots mit sechs Menschen geschaffen haben - wie das da eben gerade erlaubt war. Auch die Beratungsstellen haben sich übrigens sehr schnell umgestellt, viel mehr Video- und Telefonberatung gemacht.

Wie groß ist Ihre Sorge jetzt im zweiten Lockdown? Kommt im Winter das große Sterben der letzten schwulen Szene-Bars im Glockenbachviertel?
Für Restaurants und Bars im Viertel ist das eine schwierige Situation. Viele könnten den Lockdown ein wenig abfangen mit Essen to go und mit den Schanigärten im Sommer. Am meisten sorge ich mich um die Jugend- und Clubkultur, etwa den New-York-Club. Wenn so ein Club erst einmal weg ist, haben wir eine große Lücke, die so schnell nicht mehr zu füllen ist.

Schon in den 90ern am Regieren - und Feiern - mit der Rathaus-Spitze. Thomas Niederbühl hinter SPD-OB Christian Ude bei einer CSD-Parade.
Schon in den 90ern am Regieren - und Feiern - mit der Rathaus-Spitze. Thomas Niederbühl hinter SPD-OB Christian Ude bei einer CSD-Parade. © AZ-Archiv

Was kann die Stadt gegen das Club-Sterben tun?
Erstmal wenig, die Maßnahmen werden ja vom Freistaat beschlossen. Jetzt sind die Inzidenzwerte gerade zu hoch für diese Diskussion, aber ich finde wir müssen auch in diesem Bereich Pilotversuche beantragen.

Wie könnten die aussehen?
Die Oper oder die Philharmonie konnten ja auch Hygienekonzepte vorlegen. Die Clubbetreiber könnten da auch vieles möglich machen. Das muss man sie testen lassen.

Aus der Szene gab es überraschend wenig Kritik an Kontrollen im Sommer. Ist das KVR wirklich mit so viel Augenmaß unterwegs gewesen und hat, wo möglich, auch mal ein Auge zugedrückt?
Zumindest habe ich keine Klagen gehört. Und wenn man als Politiker nichts erfährt, spricht das ja meist dafür, dass es prima läuft. Beschwerden gab es weniger über Kontrollen, eher darüber, dass manche eben zum Beispiel keinen Schanigarten einrichten durften, weil sie nicht in einer 30er-Zone lagen. Ich finde aber, dass Politik und Verwaltung insgesamt sehr viel ermöglicht haben.

Am Donnerstag hat der Stadtrat eine Erweiterung des LGBTIQ-Jugendzentrums Diversity an der Blumenstraße beschlossen. Und das trotz einer beginnenden Haushaltskrise. Erleichtert?
Das ist jetzt natürlich die große Chance gewesen. Bei Diversity im Haus ist das Erdgeschoss freigeworden. Und wir haben beschlossen, dass das Kommunalreferat dieses zur Verfügung stellt, damit es sowohl vom Zentrum, als auch vom Aufklärungsprojekt und "Diversity@school" genutzt werden kann. Diese Bildungsprojekte haben wir auch noch gestärkt und den Zuschuss für Personal erhöht.

"Wir brauchen Schutzräume auch für Trans*-Menschen"

Bei welchen Projekten haben Sie größere Sorgen? Das Schwule Museum etwa wird mitten in einer Krise keiner ernsthaft vorantreiben, oder?
Ach, ich bin genügsam. Und ich habe ja Verständnis für die Finanzsorgen der Stadt. Wir haben in der Legislaturperiode ja noch fünf Jahre vor uns, mir wäre halt wichtig, dass in dieser Zeit alles in die Wege geleitet wird, was ich initiiert habe.

Was heißt in die Wege geleitet?
Beim Schwulen Museum etwa könnten wir ja auch in Stufen vorgehen, erstmal neue Räume fürs Forum Queeres Archiv mieten. Und daraus dann nach und nach das Museum entwickeln. Sowas braucht ja eh Zeit, das lässt sich ja nicht von heute auf morgen aus dem Boden stampfen.

Was ist noch unverhandelbar für diese Legislaturperiode?
Wir haben das Sub für die Schwulen, Diversity für die Jungen, bald eröffnet das Lesbenzentrum. Es wäre jetzt wirklich wichtig, dass wir noch ein eigenes Zentrum für die ganzen Trans*-Menschen bekommen. Wir brauchen da Schutzräume. Vielleicht kann man auch das nach und nach entwickeln. Dass in der Szene ein Trägerverein entsteht, es erstmal kleinere Räume gibt und wir das Ziel im Auge behalten, ein richtiges Zentrum zu schaffen. Wir haben beim Sub und den anderen Anlaufstellen gerade in der Krise gesehen, wie wichtig solche Zentren sind.

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