Stadtrat protestiert geschlossen beim Amtseid des Neonazis

Das ließen sich die Demokraten im Münchner Stadtrat nicht wehrlos gefallen. Gestern wurde der rechtsextreme NPD-Funktionär und BIA-Stadtrat Karl Richter ein zweites Mal vereidigt. Wie er den Stadtrat provozierte und wen er verhöhnte.
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - Das ließen sich die Demokraten im Münchner Stadtrat nicht wehrlos gefallen. Gestern wurde der rechtsextreme NPD-Funktionär und BIA-Stadtrat Karl Richter ein zweites Mal vereidigt. Wie er den Stadtrat provozierte und wen er verhöhnte.

Es war mucksmäuschenstill im sonst so lauten Ratssaal, gespenstisch. So manchem gefror das Blut in den Adern, anderen standen Tränen der Wut in den Augen. Es war der Moment, als der Stadtrat, NPD-Funktionär und Neonazi Karl Richter in einer provozierenden Rede den Rechtsstaat und den Stadtrat verhöhnte. Gestern wurde er zum zweiten Mal vereidigt, nachdem er bei der offiziellen Vereidigung des Stadtrats im vorigen Jahr den Hitlergruß gezeigt hatte. Dafür ist er Anfang Juli rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 2800 Euro verurteilt worden.

„Diese Tat war und ist eine unerträgliche Verharmlosung oder sogar Verherrlichung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes und eine Verhöhnung der Opfer des Holocaust“, sagte OB Ude.

Er habe keinen Hitlergruß gezeigt, meinte Richter: „Wer etwas anderes behauptet, halluziniert.“ Daran könne auch das Urteil des Gerichts nichts ändern, das sich „als legitime Nachfolgeorganisation des königlich bayerischen Amtsgerichtes gezeigt“ habe. Die Diskussion um seinen Hitlergruß sei eine „Dauerkasperliade“ und zeuge von einer „Zwangsvorstellung“. So argwöhnte er, ob der Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker „seinen eigenen Hitler auf der Festplatte“ nicht im Griff habe. Herablassend spöttisch sprach der Neonazi den jüdischen Stadtrat Marian Offman an - mit antisemitischen Anklängen.

Abscheu und Protest

Dann standen alle im Saal geschlossen auf (wie es heimlich verabredet war) als Ude eine gemeinsame Erklärung vorlas: „Wir stehen auf für Demokratie und Rechtsstaat, für Toleranz und Weltoffenheit, gegen jede Missachtung der Opfer des Holocaust, gegen die rechtsextremistische NPD und ihre Tarnliste BIA.“ Richter hatte das erst nicht kapiert – und stand auch auf. Der Stadtrat stand. Nicht aus Respekt beim folgenden Eid (wie es die Gemeindeordnung verlangt), sondern aus Abscheu und Protest.

Die Grünen, Rosa Liste und Die Linke wollen ihn aus dem Stadtrat werfen.Grünen-Fraktionschef Siegfried Benker erklärte ausführlich, warum das sein muss. Richter habe mit dem Hitlergruß seinen Eid bei der Vereidigung verweigert. Benker: "Richter hat bei der Vereidigung gleichzeitig ein Lippenbekenntnis zum Grundgesetz abgegeben und auf den Führerstaat des Nationalsozialismus geschworen." Er habe den "Verfassungseid zum Meineid" verkomen lassen. Doch unter Juristen gibt es Vorbehalte: Er könnte sich wieder herein klagen. So wollte die Mehrheit dem Neonazi keine Gelegenheit geben, über den Rat zu triumphieren oder sich als Märtyrer feiern zu lassen. Deshalb haben die Grünen ihren Protest reduziert, „nicht, weil wir die Nachvereidigung richtig finden“, so Siegfried Benker, „sondern weil wir eine Spaltung der Demokraten falsch finden“.

Willi Bock

Die Rede von OB Ude im Wortlaut

„Wir haben jetzt einen ungewöhnlichen Tagesordnungspunkt, der verständlicherweise viele Irritationen ausgelöst hat. Der Sachverhalt ist Ihnen allen bekannt: Der NPD-Funktionär Karl Richter, der unter der Tarnkappe einer Bürgerinitiative ins Rathaus einziehen konnte, hat bei der Vereidigung die rechte Hand zum Hitler-Gruß gehoben, weshalb er rechtskräftig verurteilt worden ist. Diese Tat, an der angesichts des rechtskräftigen Urteils kein Zweifel besteht, stößt bei allen Mitgliedern des Stadtrats auf einhellige Abscheu. Diese Tat war und ist eine unerträgliche Verharmlosung oder gar Verherrlichung des nationalsozialistischen Unrechtsregimes und eine Verhöhnung der Opfer des Holocausts. Deshalb ist diese schändliche Handlungsweise ja auch unter Strafe gestellt. Das Stadtratsmitglied Karl Richter hat sich mit dieser Tat selber aus der Gemeinschaft der demokratischen Kräfte dieser Stadt in unmissverständlicher Weise ausgegrenzt. Niemand in diesem Haus ist bereit, dieses Verhalten hinzunehmen. Es ist gut und richtig, dass das Stadtratsmitglied Karl Richter die strafrechtlichen Folgen seiner Straftat tragen muss. Die Tat bleibt somit nicht ungesühnt, sondern wird in rechtsstaatlicher Weise gesühnt. Eine andere Frage ist, welche Auswirkungen dieses Verhalten auf die Wirksamkeit der Eidesleistung hat. Ich stimme hier mit unserer Rechtsaufsichtsbehörde, der Regierung von Oberbayern, vollinhaltlich überein: Die Eidesleistung ist nicht wirksam erbracht, da die gleichzeitig begangene Straftat dem Inhalt der Eidesleistung diametral widerspricht. Somit ist Karl Richter kein ordnungsgemäß vereidigtes Mitglied des Münchner Stadtrats. Wie Sie wissen, wird auch die Rechtsauffassung vertreten, die Vorgehensweise von Karl Richter könne auch als Abgabe einer Willenserklärung verstanden werden, die Eidesleistung verweigern zu wollen. Diese Rechtsauffassung teile ich in Übereinstimmung mit unserer RechtsaufsichtsbeRathaus Umschau Seite 4 hörde nicht. Der Hitler-Gruß ist von vielen Teilnehmern des Festaktes im Alten Rathaussaal gesehen worden, er wurde tags darauf zum Gegenstand der Bild- und Textberichterstattung der Münchner Medien. Kein einziges Mitglied des Stadtrats und kein einziger Vertreter der anwesenden Rechtsaufsicht, kein einziger Jurist in der Stadtverwaltung oder in der Münchner Öffentlichkeit, auch kein einziger Medienvertreter hat im Mai 2008 die Auffassung vertreten, die Armbewegung und Handhaltung sei als Ablehnung der Eidesleistung zu interpretieren. Vielmehr sind wir in Stadtrat und Verwaltung, ja in der gesamten Münchner Öffentlichkeit davon ausgegangen, dass Karl Richter alle Rechte aus seinem Stadtratsmandat wahrnehmen kann, also die Eidesleistung nicht verweigert hat. Ich glaube nicht, dass wir über 14 Monate später mit Aussicht auf gerichtliche Bestätigung eine Willenserklärung unterstellen dürfen, die wir vor über 14 Monaten in voller Kenntnis des Sachverhalts so nicht angenommen haben und deren subjektiven Erklärungswillen wir erst recht nicht nachweisen können. Wenn eine Eidesleistung in unwirksamer Weise erfolgt, ist die Vereidigung nachzuholen. Diese Frage ist wiederholt obergerichtlich entschieden worden. Das Gesetz fordert die Eidesleistung, auch wenn die Eidesleistung eines Stadtratsmitglieds keine Bedingung dafür ist, dass dieses Mitglied wirksam an Stadratsentscheidungen mitwirken kann. Dies ist rechtlich leider sehr kompliziert, aber eindeutig so geregelt. Ich habe die Rechtsaufsichtsbehörde befragt, ob ich zur Nachholung der Vereidigung verpflichtet bin. Dies wurde klar bejaht. Es geht hier nicht darum, einem Rechtsextremisten ,eine zweite Chance zu geben’, wie wir leider auch schon in den Medien lesen mussten. Die Vereidigung ist keine Chance, sondern eine Verpflichtung. Niemand in diesem Stadtrat ist bereit, einem rechtsextremen Agitator, der obendrein an Rituale des Nationalsozialismus anknüpft, überhaupt eine Chance zu geben. Er bekommt keine erste Chance und auch keine zweite. Aber er muss sich den rechtlichen Vorschriften unterwerfen, die das Bayerische Kommunalrecht an eine wirksame Eidesleistung stellt. Meiner Ansicht nach muss es bei dem klaren Gegensatz bleiben, dass sich ein rechtsextremes Stadtratsmitglied ins Unrecht gesetzt hat und die Münchner Vollversammlung des Stadtrats auf der Seite von Recht und Gesetz steht. Ich rate deshalb ab von einer Entscheidung, die am Ende vor dem Verfassungsgericht den schrecklichen Eindruck aufkommen lassen könnte, die Stadtratsmehrheit habe demokratische Grundregeln verletzt und der rechtsextreme Provokateur habe Recht bekommen. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu meinem Antrag und kündige jetzt schon an, dass ich nach der Abstimmung eine Erklärung zur Abstimmung abgeben werde."

Die gemeisame Erklärung des Stadtrats

Nach der Debatte über den Rauswurf des Neonazis und vor der Vereidigung gab OB Christian Ude im Namen aller Fraktionen des Münchner Stadtrats, die im Ältestenrat vertreten sind, folgende Erklärung zur Abstimmung ab: „Wir sind uns im Münchner Stadtrat unabhängig von den Rechtsfolgen der unwirksamen Eidesleistung des Stadtrats Karl Richter vom 2. Mai 2008 darin einig, dass Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus eine klare Absage durch alle demokratischen Kräfte erhalten müssen, dass das Zeigen des Hitler-Grußes eine unerträgliche Kampfansage an die parlamentarische Demokratie und eine Verhöhnung der Opfer des Holocaust darstellt und dass sich Karl Richter mit seiner Verhaltensweise selber in unmissverständlicher Weise aus der Gemeinschaft der demokratischen Kräfte ausgegrenzt hat. Wir stehen auf für Demokratie und Rechtsstaat, für Toleranz und Weltoffenheit, gegen jede Missachtung der Opfer des Holocaust, gegen die rechtsextreme NPD und ihre Tarnliste BIA. Wir sind uns der historischen Verantwortung bewusst und werden über alle politischen Differenzen hinweg in dieser Frage zusammenstehen.“

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