Stadtkämmerer erklärt, wo München jetzt sparen muss

Kämmerer Christoph Frey (SPD) erklärt, wo die Stadt München jetzt sparen muss – und weshalb viele Pläne durch die Corona-Krise auf den Prüfstand gehören.
von  Emily Engels
Ziemlich eng wird es unter dem neuen Hauptbahnhof. Die geplante U9 verläuft nördlich unter den Gleisen.
Ziemlich eng wird es unter dem neuen Hauptbahnhof. Die geplante U9 verläuft nördlich unter den Gleisen. © Deutsche Bahn

AZ: Herr Frey, Sie hatten zuletzt angekündigt, dass München bis 2023 rund 4,2 Milliarden Euro Schulden aufbauen wird. Wird sich diese Summe durch Corona jetzt noch einmal erhöhen?
Christoph Frey:
Sogar ohne Corona beinhaltet die mittelfristige Finanzplanung, die wir jedes Jahr mit dem Haushalt vorlegen, noch nicht alles, was der Stadtrat vorhat.

Großprojekte wie die U9 sind da also noch gar nicht mit drin?
Die U9 nicht, aber der Vorhaltebahnhof, der am Hauptbahnhof geplant ist, schon. Was auch nicht mit drin ist, ist zum Beispiel der Gasteig. Die Interimslösung zwar schon, aber die große Sanierung noch nicht.

Ziemlich eng wird es unter dem neuen Hauptbahnhof. Die geplante U9 verläuft nördlich unter den Gleisen.
Ziemlich eng wird es unter dem neuen Hauptbahnhof. Die geplante U9 verläuft nördlich unter den Gleisen. © Deutsche Bahn

"Werden uns durch die Corona-Krise deutlich stärker verschulden"

Die Schulden werden sich also noch einmal erhöhen?
Ja, wir würden dann in zehn Jahren mit einer Verschuldung von weit über 10 Milliarden Euro herauskommen. Selbst wenn Faktoren wie die Höhe der Gewerbesteuer gleich bleiben, überfordert das unseren städtischen Haushalt massiv.

Und jetzt macht Corona einen zusätzlichen Strich durch die Rechnung?
Natürlich hat die Corona-Krise das gesamte Konstrukt sehr empfindlich gestört. Eigentlich waren wir davon ausgegangen, heuer keine neuen Schulden aufzubauen. Jetzt werden wir uns aber schon in diesem Jahr deutlich stärker verschulden als erwartet. Das ist aktuell ziemlich sicher, eine genaue Höhe lässt sich derzeit aber noch nicht sagen.

Wie hoch werden die Verluste nach aktuellem Stand sein?
Wir rechnen mit 662 Millionen Euro Verlust bei Gewerbe- und Einkommensteuer.

Bei ein Drittel aller Ausgaben kann die Stadt München einsparen

Wann werden Sie genauere Beträge wissen?
Das ist noch schwer abzusehen. Wir werden aber schon jetzt auf Sicht fahren. Aber fest steht schon jetzt: Heuer werden wir auf keinen Fall einen Überschuss erzielen. Das heißt: Wir müssen Haushaltsbeschränkungen machen.

Die Referate werden also ordentlich sparen müssen?
Genau. Etwa ein Drittel aller Ausgaben sind im konsolidierbaren Bereich, sind also freiwillige Leistungen. Bei denen können wir einsparen. Die anderen zwei Drittel sind Pflichtaufgaben oder kurzfristig nicht änderbare Aufwendungen. Die müssen wir weiterhin leisten.

Wenn der Radweg einfach endet: Stellen wie diese gibt’s viele in München.
Wenn der Radweg einfach endet: Stellen wie diese gibt’s viele in München. © Green City, Biedermann

Was wird etwa aus dem geplanten Umbau von Radwegen im Zuge des Radentscheids?
Wenn eine Straße dadurch umgebaut wird, ist es eine Investition. Die einzelnen Investitionen werden wir uns mit den Referaten anschauen müssen. Ein großer Kostenfaktor ist beispielsweise auch der Schul- und Kita-Bereich. Da würde ich jetzt aber keine Kürzungen vorschlagen. Eine Verzögerung von Sanierung oder Neubau macht aus Wirtschaftlichkeitsaspekten keinen Sinn.

Idealerweise soll im Herbst ein Nachtragshaushalt beschlossen werden

Aber Grünwalder Stadion und Gasteig werden auf Eis gelegt?
Von mir werden Sie da keinen Vorschlag hören. Das muss letztlich der Stadtrat entscheiden.

Aber Sie werden ihn beraten?
Ich werde ein Sicherheitspaket für den Haushalt 2020 vorlegen, das aufzeigen wird, wie wir sicher durch die Krise kommen. Da wird es dann Kategorien geben, die sich aber nicht auf einzelne Projekte beziehen werden. Was genau gestrichen wird, müssen wir mit den einzelnen Referaten aushandeln. Und der Stadtrat wird laufend in der Diskussion beteiligt. Idealerweise werden wir im Herbst dann einen Nachtragshaushalt beschließen, der ökonomisch gut vertretbar ist und inhaltlich gute Prioritäten setzt.

Wie ist da der Zeitplan?
Wir brauchen erst einen genehmigten Haushalt. Erst dann können wir auf Basis dieses genehmigten Haushalt Maßnahmen umsetzen – und diese bis zum Nachtragshaushalt im Spätsommer oder Herbst verarbeiten. Die Maßnahmen werde ich dem Stadtrat in der Vollversammlung im Mai vorschlagen.

"Insgesamt 900 Stellen wollen wir jetzt um 80 Prozent reduzieren"

Im Mai wollen sie dem Stadtrat zudem erste Handlungsoptionen vorlegen. Was wäre eine solche Option – außer den schon erwähnten Sparmaßnahmen in den Referaten?
2019 hatten wir eigentlich geplant, heuer 750 neuen Stellen in der Verwaltung zu schaffen. Zudem sind 150 aus dem Vorjahr noch nicht besetzt. Diese insgesamt 900 Stellen wollen wir jetzt um 80 Prozent reduzieren, also auf 180. Allerdings nicht direkt die Stellen, sondern das Gesamtpersonalbudget. Zudem sollten in diesem Jahr keine zusätzlichen Finanzierungsbeschlüsse mehr gefasst werden, also der Haushalt ausgeweitet werden.

Und wenn ein Referat dringenden Bedarf hat?
Dann muss es das aus dem schon geplanten Budget gegenfinanzieren. Also dafür auf etwas anderes verzichten.

Regen und Tristesse am Tag danach: Die Bilder vom Wiesn-Abbau am Dienstagvormittag.
Regen und Tristesse am Tag danach: Die Bilder vom Wiesn-Abbau am Dienstagvormittag. © Vincent Suppé

Jetzt fällt auch noch die Wiesn aus. Was bedeutet das für die Stadtkasse?
Den im Haushalt geplanten Einnahmen stehen bei der Wiesn auch geplante Ausgaben, etwa für die Sicherheit gegenüber, sodass keine direkten Ausfälle im Stadthaushalt zu verzeichnen sind. Die Absage der Wiesn belastet den städtischen Haushalt indirekt jedoch enorm über die Ausfälle, die Einzelhändler, Gastronomen, Hoteliers und so weiter haben. Wie hoch der Einnahmeausfall durch die Absage der Wiesn bei den Steuern sein wird, lässt sich nicht seriös schätzen.

Einige Geschäfte dürfen jetzt wieder öffnen. Eine erste Erleichterung für den Haushalt?
Jedes Mehr an Leben wirkt sich positiv auf den städtischen Haushalt aus. Aber in München kommt ein sehr großer Teil der Einnahmen von der Gewerbesteuer aus dem produzierenden Gewerbe. Wir haben hier ein paar sehr exportstarke Unternehmen, außerdem Banken und Versicherungen, die weltweit tätig sind. Aus diesem wirtschaftlichen Erfolg hat sich die sehr hohe Gewerbesteuer in München herausgebildet. Auf die sind wir sehr stark angewiesen.

"Dass es zu einer Krise in der Heftigkeit kommt, habe ich nicht erwartet"

Hätten Sie jemals damit gerechnet, dass Sie es als Kämmerer mit einer solchen Krise zu tun bekommen?
Gewissermaßen schon – dadurch, dass der Haushalt von Konjunkturwellen abhängig ist. Aber dass es zu einer Krise in dieser Heftigkeit und Unkontrollierbarkeit kommt, das nicht.

Aber gerade klangen Sie noch so, als seien die Auswirkungen recht kontrollierbar?
Wir können nicht sagen, wann alles überwunden ist. Ereilt uns vielleicht im Herbst eine zweite Welle? All diese Fragen beschäftigen mich.

Wie lange wird München die Auswirkungen von Corona noch finanziell spüren?
Im besten Fall noch dieses und im nächsten Jahr. Denn deutliche Steuereinbrüche wird es erwartungsgemäß in dem Jahr des Ausbruchs der Krise und im Folgejahr geben. Im übernächsten Jahr ist es dann hoffentlich weitgehend kompensiert, vorausgesetzt es kommt nicht zu einer zweiten oder gar dritten Welle.

Also ist eine starke Wirtschaft nach der Krise wieder stark?
Strukturell haben wir in München dafür die besten Voraussetzungen. München ist nicht schwach, sondern geschwächt. Wir sind breit aufgestellt, haben hier Unternehmen aus verschiedensten Branchen. Das schafft die beste Voraussetzung dafür, dass wir nach der Krise wieder wirtschaftlich genauso erfolgreich sein werden wie davor.

Lesen Sie hier: Finanzieller Verlust durch Corona-Krise: 1,23 Milliarden Euro

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