Stadt München will alte Bäume fällen: Naturschützer sind entsetzt

München - Auch im Herbst ist es ein Idyll inmitten von Wohnhäusern: Die Blätter der riesigen Platane haben sich gelb gefärbt, einige sind schon auf den Boden gefallen. Dennoch kann man sich gut vorstellen, wie der Baum im Sommer Schatten spendet. Unter den Ästen sind Sitzbänke aufgestellt, eingerahmt wird das Areal zwischen Westend- und Schrenkstraße von weiteren Bäumen und Hecken. "Es ist eine Oase im steinernen Meer", sagt Reiner Lang vom Bund Naturschutz.
27 Bäume sollen gefällt werden – manche sind schon 60 Jahre alt
Doch das Idyll ist bedroht: 27 der teils 60 Jahre alten Bäume will die Stadt fällen, darunter auch die Platane, die im Viertel fast schon Kultstatus hat, sagt Lang. Der kleine Park soll weichen für ein Bauvorhaben mit multikulturellem Jugendzentrum, Sporthalle, Jugendwohnungen und Angeboten für die Kinderbetreuung. Auch eine neue Geschäftsstelle des Kreisjugendrings München Stadt soll hier entstehen.

Kahlschlag im Münchner Westend: Der Bund Naturschutz ist schockiert
Lang und seine Mitstreiter vom Bund Naturschutz sind schockiert. "Verliert die Stadt München, die zu den am meisten versiegelten Städten Deutschlands gehört, immer mehr große Laubbäume, wird sich die Stadt in den heißer werdenden Sommern so stark aufheizen, dass Gesundheit und Lebensqualität ihrer Bewohner ernsthaft bedroht sind", mahnt Dorit Zimmermann vom Arbeitskreis Baumschutz des Bund Naturschutz.
Bäume könnten gar Leben retten, fügt Lang hinzu. Durch die heißen Sommer sei es in den vergangenen Jahren vermehrt zu hitzebedingten Todesfällen gekommen. Denn Städte heizen sich durch die vielen versiegelten Flächen schnell auf. Eine Studie der TU München zeigt, dass es bereits jetzt in heißen Sommernächten in der Münchner Innenstadt um bis zu zehn Grad wärmer ist als im Umland. Gemildert werden könnte dieser Effekt durch mehr Grün: Eine 60 Jahre alte Linde, so der Bund Naturschutz, habe aufs Jahr gesehen die gleiche Kühlleistung wie 140 Kühlschränke.

Als Hilfe gegen den Klimawandel: Städte brauchen Baumanteil von 30 Prozent
Um hitzebedingte Todesfälle zu vermeiden, sei ein Baumanteil von 30 Prozent in Städten nötig, sagt Lang. Das hätten kürzlich Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern in einer Studie der Fachzeitschrift "Lancet" herausgefunden. München liege aktuell bei einem Baumanteil von 20 Prozent. Und doch wird in der Stadt mehr Grün beseitigt als neu geschaffen: Nach Angaben des Bund Naturschutz wurden im Laufe der letzten zehn Jahre über 80.000 Bäume gefällt – nachgepflanzt wurden nur rund 60.000.
Dass nun auch die 27 Bäume im Westend weichen müssen, halten die Naturschützer für eine Katastrophe. Die Stadt nehme den Klimaschutz, den sie sich selbst zum Ziel gesetzt habe, nicht ernst genug. Das zeigt sich für Lang auch daran, dass 13 der bedrohten Bäume eigentlich unter die Baumschutzverordnung fallen. Es werden zwar auch 13 Bäume neu gepflanzt, aber für Lang können sie kaum ein Ersatz sein – bis sie den gleichen Wert hätten wie die alten Bäume, würden Jahre vergehen.
Klare Rechtslage: Bei Bauprojekten dürfen Bäume gefällt werden
Rechtlich sei die Lage klar, so der Bund Naturschutz. Baurecht gehe vor Baumrecht, die Stadt habe also durchaus das Recht, auch geschützte Bäume für ein Bauvorhaben zu opfern. Doch im Frühjahr 2021 habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, es sei Aufgabe der Kommunen, künftige Generationen vor Beeinträchtigungen durch Umweltbelastungen zu schützen. Für Lang steht die Fällung der Bäume im Widerspruch dazu.
Die Naturschützer fordern die Stadt auf, das Vorhaben zu überdenken. Beispielsweise könne man prüfen, ob das Projekt möglicherweise auf einem anderen Grundstück umgesetzt werden könne. Eine Umplanung ist laut Kommunalreferat allerdings unwahrscheinlich.
Die Planungen seien bereits weit fortgeschritten, teilt ein Sprecher auf AZ-Anfrage mit. Zudem habe der Stadtrat das Vorhaben auch unter Kenntnis der notwendigen Baumfällungen einstimmig beschlossen.
Grüne Balkone, artenreiche Pflanzenbeete: Das will die Stadt gegen den Klimawandel tun
Man versuche, die vorhandene Grünstruktur so weit wie möglich zu erhalten. 22 Bestandsbäume können dem Sprecher zufolge auf dem Areal erhalten werden. Im weiteren Planungsfortschritt werde zudem intensiv geprüft, ob doch noch auf bereits genehmigte Fällungen verzichtet werden könne. Für eine Optimierung des Mikroklimas sollen zudem die Fluchtbalkone im Innenhofbereich begrünt werden, artenreiche Pflanzbeete mit Stauden und Gräsern sollen die Biodiversität erhöhen.
Den Naturschützern ist das zu wenig. Für Lang ist klar: "Die Bäume müssen erhalten bleiben, um die Gesundheit zu erhalten." Gemeinsam mit seinen Mitstreitern vom Bund Naturschutz will er weiter für die Bäume kämpfen.