Stadt fordert neue Drogenpolitik: "Es geht darum, Leben zu retten"

Schon lange will die Stadt spezielle Räume für Drogenkonsumenten einrichten - doch der Freistaat stellt sich quer. Unterstützung kommt von der Bundespolitik.
Myriam Siegert
|
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
8  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News
An Orten wie diesen im Nußbaumpark treffen sich häufig Drogenabhängige.
An Orten wie diesen im Nußbaumpark treffen sich häufig Drogenabhängige. © Bernd Wackerbauer

Prachtbauten in der Altstadt, Biergärten im Sonnenschein und ganz viel Gmiatlichkeit. Das ist München für viele. Doch die vordergründig so saubere Landeshauptstadt hat auch eine andere Seite. 4.000 bis 6.000 Opiatkonsumenten, also Drogensüchtige, gibt es nach Schätzungen von Condrobs und der Polizei in der Stadt, erklärt Olaf Ostermann, der seit gut 20 Jahren bei Condrobs mit Suchtkranken arbeitet. Im öffentlichen Raum seien diese Menschen wenig sichtbar. "Bei den Todeszahlen ist München aber immer vorne dabei", sagt Ostermann.

Die Zahl der Drogentoten steigt aktuell stark an. Schon 55 Menschen sind heuer in München an Drogen gestorben. Mehr als 2021 (31), 2020 (33) und 2019, als 36 Menschen starben.

Die Ursache für den Anstieg ist nicht eindeutig festzustellen. Erhöhter Wirkstoffgehalt oder Verunreinigungen der Rauschmittel, aber auch vermehrter Mischkonsum können eine Rolle spielen.

Stadtrats-SPD fordert Haltungsänderung der Staatsregierung 

Für die SPD-Stadtratsfraktion ist das jedenfalls "nicht hinnehmbar". Es brauche eine neue Drogenpolitik. Dazu allerdings, müsse die Bayerische Staatsregierung "endlich von ihrer "restriktiven Drogenpolitik" abrücken, so die SPD.

Thomas Bachmann (v.l.), Stadträtin Barbara Likus, Ronja Endres, Burkhard Blienert, Katrin Bahr, Verena Dietl und Olaf Ostermann.
Thomas Bachmann (v.l.), Stadträtin Barbara Likus, Ronja Endres, Burkhard Blienert, Katrin Bahr, Verena Dietl und Olaf Ostermann. © Bernd Wackerbauer

Ein wichtiger Baustein wäre die Schaffung von Drogenkonsumräumen. Für diese hat sich der Stadtrat schon vor Jahren einstimmig ausgesprochen und mehrmals Anläufe gestartet, wenigstens für einen Modellversuch. Doch vom Freistaat wurden diese stets abgelehnt, "angeblich aus juristischen Gründen", so die SPD.

Da solche Einrichtungen in anderen Bundesländern durchaus möglich sind und die positiven Auswirkungen hinreichend bewiesen, sei dies unverständlich.

Studien zeigen: "Drogenkonsumräume retten Leben"

Substitutionsambulanzen, Präventionsprojekte, ambulante Suchthilfe - "3,5 Millionen Euro gibt die Stadt für Drogen- und Suchtprävention aus", sagt Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD). "Aber der Freistaat lässt uns im Regen stehen." Genau darum ging es auch beim Besuch des Bundesbeauftragten für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert (SPD), bei den Genossen aus Stadtrat und Landtag am Mittwoch.

Auch die Bundesregierung wolle in der Drogenpolitik weg von der Repression, hin zum Gesundheitsschutz. Teil davon seien Maßnahmen wie "Drug Checking", und eben auch Drogenkonsumräume. "Alle Studien sagen: Drogenkonsumräume retten Leben", so Blienert. Bayern solle "sich einen Ruck geben".

Was hat man sich darunter überhaupt vorzustellen?
Es handele sich um ein medizinisches Angebot, erklärt Olaf Ostermann. Vorrangig für langjährige schwerstabhängige Suchtkranke, - und zugleich sei es eine Anbindung an das vielfältige Hilfesystem.

In München geschieht Vieles im Verborgenen

In einem Drogenkonsumraum gibt es Plätze für verschiedene Arten des Konsums; intravenös, rauchen, sniefen. Nutzer müssen sich anmelden. Medizinisches Fachpersonal wie auch Sozialpädagogen, sind vor Ort. Die Klienten bekommen saubere Spritzen, aber auch Beratung zu ihrem Konsum. Kommt es zu einem Notfall, ist Hilfe da.

Die Alternative für die Suchtkranken, so schildert Condrobs-Chefin Katrin Bahr, sei es, in öffentlichen Toiletten, hinter Mülltonnen, in Parkhäusern, Parks oder auf Spielplätzen zu konsumieren - und schlimmstenfalls auch dort zu versterben. "Und das passiert wirklich."

Der Nußbaumpark gilt als einer der Treffpunkte von Drogensüchtigen in München. Polizei und Rettungsdienst sind hier deshalb oft unterwegs.
Der Nußbaumpark gilt als einer der Treffpunkte von Drogensüchtigen in München. Polizei und Rettungsdienst sind hier deshalb oft unterwegs. © Bernd Wackerbauer

"Wir haben auch deswegen eine so hohe Sterberate, weil so vieles im Verborgenen stattfindet", so Ostermann. München habe keine offene Drogenszene wie andere Großstädte. Es gebe kleinere Treffpunkte: im Nußbaumpark, an der Giselastraße und Münchner Freiheit, in Neuperlach, am Ostbahnhof, im Westend und am Hauptbahnhof. Viel Konsum finde auch in Privatwohnungen statt.

Konzepte gibt es, nur keine rechtliche Umsetzungsgrundlage 

Er stellt klar, Drogenkonsumräume seien zweckmäßige, sterile Räumlichkeiten. Doch man erreiche dort die Menschen, könne mit ihnen sprechen, ob sie eine Krankenkasse, eine Wohnung oder vielleicht Schulden haben, und so den Einstieg in Hilfsangebote ermöglichen. "Wir haben das Konzept im Grunde seit 20 Jahren in der Schublade", so Ostermann. "Uns fehlt nur die Rechtsverordnung vom Freistaat."

Dass im besten Fall gar nicht erst eine langjährige Schwerstabhängigkeit entsteht, ist ebenfalls Ziel der Helfer. Condrobs unterhält an der Müllerstraße die Jugendhilfeeinrichtung Easycontact. Leiter Thomas Bachmann stellt auch hier eine Verschärfung der Situation fest. Ging es früher viel um Alkohol und THC, kämen jetzt viel mehr Fälle mit Amphetamin- und auch Heroinkonsum dazu. "Wir hatten noch nie so viele Opiatkonsumenten", so Bachmann.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Und die Klienten würden immer jünger, man betreue mittlerweile schon 13-Jährige. Die Suchtproblematik ziehe sich durch alle Schichten. Von den Besuchern von Raves, in München gerade häufig, bis hin zum Kokain, um Nächte durchzulernen und Prüfungen zu schaffen, das schleichend zur Sucht wird. Die Nachfrage nach Betreuungsplätzen sei hoch, man müsse teils wöchentlich Absagen geben.

Ronja Endres: "Wo ist die Empathie der Staatsregierung?"

Auch Ronja Endres, SPD-Landesvorsitzende, scheiterte mit ihrer Fraktion bisher stets an der Staatsregierung. Sie hat die Krankheit Drogensucht in der eigenen Familie schmerzlichst erlebt. "Meine Schwester könnte vielleicht noch leben, hätte es damals Drogenkonsumräume gegeben." Als Angehörige habe sie derlei Angebote erst strikt abgelehnt, erzählt sie.

Als sie sah, wie ihre Schwester als Süchtige lebte, änderte sie ihre Meinung. "Durch einen Drogenkonsumraum wird niemand süchtig", so Endres. "Drogensüchtige verschwinden aus dem Blickfeld der Gesellschaft. Das Stigma wird damit nur größer. Mir fehlt die Empathie der Staatsregierung diesen Menschen gegenüber. Verena Dietl ist kämpferisch: "Wir lassen nicht locker."

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
8 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Witwe Bolte am 18.11.2022 19:24 Uhr / Bewertung:

    Alkohol und Zigaretten gehören zu den weichen, legalen Drogen. Und die Dealer weiten sich wie ein Krebsgeschwür in der Gesellschaft aus. Aber: wo keine Nachfrage, da kein Angebot.
    Drogendealer gehören extrem bestraft, nur mit langjähriger Haft. Sie sind mitschuldig für Tod und Verelendung vieler ihrer Kunden. Auf der menschlichen Stufe stehen diese Kriminellen ganz unten.

  • Witwe Bolte am 18.11.2022 22:37 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Witwe Bolte

    Sollte eigentlich die Antwort für den "w.Tsch." sein (sein letzter Kommentar).

  • Der wahre tscharlie am 19.11.2022 15:40 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Witwe Bolte

    Alkohol legale weich Droge grinsen
    Hier ein paar Zahlen und Zitate für dich:

    "Analysen gehen von jährlich etwa 74.000 Todesfällen durch Alkoholkonsum allein oder bedingt durch den Konsum von Tabak und Alkohol aus."

    "2021 starben deutschlandweit 1.826 Menschen an den Folgen ihres Drogenkonsums. 686 dieser Menschen starben aufgrund von Heroin und Morphin."

    Und dann wird Sturm gelaufen gegen die Legalisierung von Cannabis grinsen

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.