Stadt fordert neue Drogenpolitik: "Es geht darum, Leben zu retten"
Prachtbauten in der Altstadt, Biergärten im Sonnenschein und ganz viel Gmiatlichkeit. Das ist München für viele. Doch die vordergründig so saubere Landeshauptstadt hat auch eine andere Seite. 4.000 bis 6.000 Opiatkonsumenten, also Drogensüchtige, gibt es nach Schätzungen von Condrobs und der Polizei in der Stadt, erklärt Olaf Ostermann, der seit gut 20 Jahren bei Condrobs mit Suchtkranken arbeitet. Im öffentlichen Raum seien diese Menschen wenig sichtbar. "Bei den Todeszahlen ist München aber immer vorne dabei", sagt Ostermann.
Die Zahl der Drogentoten steigt aktuell stark an. Schon 55 Menschen sind heuer in München an Drogen gestorben. Mehr als 2021 (31), 2020 (33) und 2019, als 36 Menschen starben.
Die Ursache für den Anstieg ist nicht eindeutig festzustellen. Erhöhter Wirkstoffgehalt oder Verunreinigungen der Rauschmittel, aber auch vermehrter Mischkonsum können eine Rolle spielen.
Stadtrats-SPD fordert Haltungsänderung der Staatsregierung
Für die SPD-Stadtratsfraktion ist das jedenfalls "nicht hinnehmbar". Es brauche eine neue Drogenpolitik. Dazu allerdings, müsse die Bayerische Staatsregierung "endlich von ihrer "restriktiven Drogenpolitik" abrücken, so die SPD.

Ein wichtiger Baustein wäre die Schaffung von Drogenkonsumräumen. Für diese hat sich der Stadtrat schon vor Jahren einstimmig ausgesprochen und mehrmals Anläufe gestartet, wenigstens für einen Modellversuch. Doch vom Freistaat wurden diese stets abgelehnt, "angeblich aus juristischen Gründen", so die SPD.
Da solche Einrichtungen in anderen Bundesländern durchaus möglich sind und die positiven Auswirkungen hinreichend bewiesen, sei dies unverständlich.
Studien zeigen: "Drogenkonsumräume retten Leben"
Substitutionsambulanzen, Präventionsprojekte, ambulante Suchthilfe - "3,5 Millionen Euro gibt die Stadt für Drogen- und Suchtprävention aus", sagt Bürgermeisterin Verena Dietl (SPD). "Aber der Freistaat lässt uns im Regen stehen." Genau darum ging es auch beim Besuch des Bundesbeauftragten für Sucht- und Drogenfragen, Burkhard Blienert (SPD), bei den Genossen aus Stadtrat und Landtag am Mittwoch.
Auch die Bundesregierung wolle in der Drogenpolitik weg von der Repression, hin zum Gesundheitsschutz. Teil davon seien Maßnahmen wie "Drug Checking", und eben auch Drogenkonsumräume. "Alle Studien sagen: Drogenkonsumräume retten Leben", so Blienert. Bayern solle "sich einen Ruck geben".
Was hat man sich darunter überhaupt vorzustellen?
Es handele sich um ein medizinisches Angebot, erklärt Olaf Ostermann. Vorrangig für langjährige schwerstabhängige Suchtkranke, - und zugleich sei es eine Anbindung an das vielfältige Hilfesystem.
In München geschieht Vieles im Verborgenen
In einem Drogenkonsumraum gibt es Plätze für verschiedene Arten des Konsums; intravenös, rauchen, sniefen. Nutzer müssen sich anmelden. Medizinisches Fachpersonal wie auch Sozialpädagogen, sind vor Ort. Die Klienten bekommen saubere Spritzen, aber auch Beratung zu ihrem Konsum. Kommt es zu einem Notfall, ist Hilfe da.
Die Alternative für die Suchtkranken, so schildert Condrobs-Chefin Katrin Bahr, sei es, in öffentlichen Toiletten, hinter Mülltonnen, in Parkhäusern, Parks oder auf Spielplätzen zu konsumieren - und schlimmstenfalls auch dort zu versterben. "Und das passiert wirklich."

"Wir haben auch deswegen eine so hohe Sterberate, weil so vieles im Verborgenen stattfindet", so Ostermann. München habe keine offene Drogenszene wie andere Großstädte. Es gebe kleinere Treffpunkte: im Nußbaumpark, an der Giselastraße und Münchner Freiheit, in Neuperlach, am Ostbahnhof, im Westend und am Hauptbahnhof. Viel Konsum finde auch in Privatwohnungen statt.
Konzepte gibt es, nur keine rechtliche Umsetzungsgrundlage
Er stellt klar, Drogenkonsumräume seien zweckmäßige, sterile Räumlichkeiten. Doch man erreiche dort die Menschen, könne mit ihnen sprechen, ob sie eine Krankenkasse, eine Wohnung oder vielleicht Schulden haben, und so den Einstieg in Hilfsangebote ermöglichen. "Wir haben das Konzept im Grunde seit 20 Jahren in der Schublade", so Ostermann. "Uns fehlt nur die Rechtsverordnung vom Freistaat."
Dass im besten Fall gar nicht erst eine langjährige Schwerstabhängigkeit entsteht, ist ebenfalls Ziel der Helfer. Condrobs unterhält an der Müllerstraße die Jugendhilfeeinrichtung Easycontact. Leiter Thomas Bachmann stellt auch hier eine Verschärfung der Situation fest. Ging es früher viel um Alkohol und THC, kämen jetzt viel mehr Fälle mit Amphetamin- und auch Heroinkonsum dazu. "Wir hatten noch nie so viele Opiatkonsumenten", so Bachmann.
Und die Klienten würden immer jünger, man betreue mittlerweile schon 13-Jährige. Die Suchtproblematik ziehe sich durch alle Schichten. Von den Besuchern von Raves, in München gerade häufig, bis hin zum Kokain, um Nächte durchzulernen und Prüfungen zu schaffen, das schleichend zur Sucht wird. Die Nachfrage nach Betreuungsplätzen sei hoch, man müsse teils wöchentlich Absagen geben.
Ronja Endres: "Wo ist die Empathie der Staatsregierung?"
Auch Ronja Endres, SPD-Landesvorsitzende, scheiterte mit ihrer Fraktion bisher stets an der Staatsregierung. Sie hat die Krankheit Drogensucht in der eigenen Familie schmerzlichst erlebt. "Meine Schwester könnte vielleicht noch leben, hätte es damals Drogenkonsumräume gegeben." Als Angehörige habe sie derlei Angebote erst strikt abgelehnt, erzählt sie.
Als sie sah, wie ihre Schwester als Süchtige lebte, änderte sie ihre Meinung. "Durch einen Drogenkonsumraum wird niemand süchtig", so Endres. "Drogensüchtige verschwinden aus dem Blickfeld der Gesellschaft. Das Stigma wird damit nur größer. Mir fehlt die Empathie der Staatsregierung diesen Menschen gegenüber. Verena Dietl ist kämpferisch: "Wir lassen nicht locker."
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