Stadlers Tagebuch aus Paris: Schönheit kostet
Michael Stadler war Kulturredakteur bei der AZ – bis er München verließ, um in Paris auf die Schauspielschule zu gehen. Hier schildert er, wie es ihm in der Stadt der Liebe ergeht. Teil 2 seines Tagebuchs: Das Zimmer bei Madame H.
Wer in Paris leben will wie Gott in Frankreich, der muss, mon dieu, einen himmlisch großen Geldbeutel (plus Inhalt) haben. Oder ganz viel an sich und die Zukunft glauben. Wobei der Wohnungssuchende schnell vom wahren Glauben an die Grenzen der Wahrscheinlichkeit und des Erträglichen abfallen kann. Denn zwar findet der Schnüffler beim Schnuppern durch die Webseiten ganz schöne Angebote wie: Montmartre, 15 qm, meublé, petite cuisine, etc., muss aber nach Entdecken des monatlichen Mietpreises – 750 Euro (warm?) – eine ganz schöne Weile nach seinem heruntergefallenen Kinnladen cherchen. Ja, Paris ist die schönste Stadt der Welt. Und Schönheit, mes amis, kostet. Sogar, und da stockt dem Bajuwaren der blauweiße Atem, mehr als in München.
Ausatmen. Regarden mer mal. Denn es gibt für den sozial Aktiven, Gott sei Dank, meistens das Vitamin B, B wie Beziehungen, Bekannte und, äh, Beckenbauer, was bedeutet, dass man meist mindestens jemanden kennt, der jemanden kennt, der mal in Paris gewesen ist und dort noch jemanden kennt, der Freunde hat, die vielleicht jemanden kennen, usw. Ich hatte Glück und schoss direkt ein Tor: Eine befreundete Kunststudentin hatte im Sommer ein Praktikum in Paris gemacht (im Louvre!) und hatte bei einer gewissen Madame H. eine Bleibe gefunden. Madame H. annonciert nicht, sondern vergibt ein Zimmer in ihrer Wohnung an Studenten, die über obskure Wege von dieser Möglichkeit erfahren haben.
H.’s Apartment liegt nahe dem Place d’Italie im 13. Arrondissement, zehn Métro-Minuten vom Louvre entfernt. Besagte Freundin erzählte mir von dem Geheimtipp, ich rief an und voilà, hatte das Ding. Für 350 Euro im Monat. So kann das gehen, lieber Leser. Ich habe ein Zimmer in der Gegend, wo es die besten chinesischen Restaurants von Paris gibt! Und die, sagen wir mal, nüchternsten Hochhäuser.
Ich wohne in einem. Das Apartment von Madame H. befindet sich in einem 19-stöckigen Betonbau, den Menschen mit Lust an funktionaler Architektur (die Russen?) errichtet haben müssen. Immerhin im zweiten Stock. Das Zimmer ist voll ausgestattet, mit alten, wohl gepflegten, dunkelholzigen Möbeln - Schreibtisch, Kommode, Schrank – und einem Bett, dessen orthopädisch gesehen eher heikle Matratze sicherlich auch aus dem 19. Jahrhundert stammt. Der Rücken sehnt sich nach dem savoir vivre.
Geschenkt. Die Küchen- und Badmitbenutzung verläuft sans problèmes. Madame H. ist nett und hilfsbereit, ausgestattet mit einer bestaunenswerten Kombinationsgabe. Wenn der neue Mietling Worte wie „Schö vö, pö, wascher, mes Kleidung, herrgottzack, wetemos issi?“ herausgurgelt, weiß sie sofort, dass er auch ihre Waschmaschine benutzen will, weist ihn sogleich darauf hin, dass die Maschine eher schwierig („difficile“) und ein Waschsalon um die Ecke („au coin de“) sei.
Super, denke ich, die Rückkehr ins Studentenleben ist damit komplett. Gehe aus dem Haus, um die Ecke, dreckige Wäsche im Rucksack, die reine Angst im Gepäck: Wie viel wird ein Waschgang kosten? 17,50 Euro (warm?)? Nein. 3 Euro 70 für sechs Kilo, ähnlich wie in der Heimat. Durchatmen. Immerhin: Ich kann hier waschen. Waschen wie Gott in Deutschland.
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