Staatsbibliothek als Flirt-Börse

  Münchner Studentinnen und Studenten, denen ein Kommilitone in der „Stabi“ gefällt, veröffentlichen seit kurzem anonyme Schmachtbotschaften im Internet. Zehntausende User lesen begeistert mit  
von  Christian Pfaffinger
Hier knistert’s: Um niemanden in Verlegenheit zu bringen, haben wir ein Archivbild verwendet. Die sichtbaren Personen flirten nicht, sondern büffeln.
Hier knistert’s: Um niemanden in Verlegenheit zu bringen, haben wir ein Archivbild verwendet. Die sichtbaren Personen flirten nicht, sondern büffeln. © Imago

Münchner Studentinnen und Studenten, denen ein Kommilitone in der „Stabi“ gefällt, veröffentlichen seit kurzem anonyme Schmachtbotschaften im Internet. Zehntausende User lesen begeistert mit

München Ein Apfelesser verdreht die Köpfe der Münchner Studentinnen. „Du und dein Apfel sind sexuelle Nötigung“, wird dem Schönling vorgeworfen. Eine andere fragt: „An den apfelessenden, auferstandenen Adam: darf ich deine Eva sein?“

Wer die Flirtenden sind, bleibt ein Geheimnis, aber wo sie sich getroffen haben, ist klar: in der Bayerischen Staatsbibliothek (BSB). Die ist mit ihrem „Laufsteg des Lernens“, dem langen Gang zwischen den Tischreihen, schon lange als Flirt-Hotspot bekannt. Doch das Anbandeln in der Stabi ist nicht so leicht, schließlich heißt es dort: still sein. Den Flirtenden bleiben vielsagende Blicke – und die Facebook-Seite „Spotted: Stabi München“.

Seit etwa drei Wochen gibt es die Seite und schon jetzt hat sie knapp 12000 Fans. Mehrere Zehntausend lesen die Seite, ohne ein offizieller Fan zu werden. Der Inhalt: charmante, witzige, romantische und manchmal durchaus anzügliche Flirt-Botschaften. Die kurzen Texte sind anonym und gerade deshalb besonders reizvoll.

„Spotted: Stabi München“ funktioniert so: Jeder, der in der Stabi eine Flirtbotschaft loswerden will, kann mit seinem Computer oder Smartphone eine Nachricht an die Seite schicken. Deren Betreiber, acht Münchner Studentinnen und Studenten verschiedener Fachrichtungen zwischen 20 und 22 Jahren, wählen die besten aus und stellen sie ohne Namensnennung auf ihre Seite. Ursprünglich sollten dort Nachrichten zu allen möglichen Themen stehen, die mit der Stabi zu tun haben. Doch mittlerweile sind es vor allem Schmacht-Botschaften. Sogar Pärchen sollen sich bereits über die Seite gefunden haben. Es knistert in der Stabi.

Ihren Ruf sieht die Staatsbibliothek nicht in Gefahr. „Wir beobachten das sehr interessiert“, sagt ein Sprecher zur AZ und gibt zu, ein bisschen neidisch zu sein: „Wir wären froh, wenn die offizielle Seite der Bayerischen Staatsbibliothek nur annähernd so viele Fans hätte.“ Die BSB gefällt auf Facebook momentan nur knapp 3300 Nutzern. Zum Inhalt der Seite sagt der Stabi-Sprecher: „Bei einigen Beiträgen müssen auch wir schmunzeln, aber wir sind nicht mit allem glücklich, was dort steht.“ Wenn zum Beispiel Mitarbeiter in den Beiträgen vorkommen, sei eine Grenze erreicht. „Dann würden wir auch auf die Administratoren der Seite zugehen und ein Gespräch suchen.“

Die Administratoren sind selbst erstaunt über den großen Erfolg ihrer Seite. „Wir hatten die Idee aus England, wo Spotted-Seiten ein großer Hype sind“, sagen sie. Dort gibt es an vielen Universitäten ähnliche Seiten für den ganzen Campus. Aber auch außerhalb von Unis werden anonyme Botschaften gesammelt. Auf der Seite „Spotted: On Dublin Bus“ zum Beispiel von den Bus-Fahrgästen der irischen Hauptstadt. Hier ist nicht alles nett: „An das Paar, das vor mir in der Linie 37 sitzt: Hört bitte auf, Euch abzulecken, das ist nicht süß, sondern ekelhaft.“

In Deutschland ist kaum eine Spotted-Seite so erfolgreich wie die der Stabi. Auch in München gibt es noch andere solcher Projekte: für den MVV, Fitness-Studios oder den Englischen Garten – allerdings mit weit weniger Fans. Ihren Erfolg haben die Macher der Seite zunächst noch gefeiert. Für „Like“ Nr. 10000 haben sie in einem Schließfach der Stabi eine Flasche Bier und eine Tafel Schokolade eingeschlossen und den Schlüssel als Fundstück an der Pforte abgegeben. Der Schnellste konnte sich das Geschenk abholen.

Mittlerweile überfordert der Erfolg die Seiten-Betreiber aber: „Der Zeitaufwand, die Seite weiter zu betreiben, ist uns einfach zu groß.“ Sie wollen aufhören. „Wir haben das erreicht, was wir erreichen wollten: Aufmerksamkeit zu bekommen, den Studenten in harten Lernphasen die Zeit etwas angenehmer zu machen und sie zu unterhalten.“ Die Seite wollen sie schließen. Bei so vielen Fans wird es allerdings nicht lange dauern, bis jemand die Seite neu startet. Bald ist Prüfungszeit und in der Stabi besonders viel los.

 

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