Spürnase Luca schnüffelt für die Münchner Mordkommission

MÜNCHEN - Die Labrador-Dame weiß, wie die Mutter des toten Isar-Babys riecht und wo sie vielleicht wohnt. Sie und ihr Frauchen helfen der Polizei – kostenlos. Anfangs stand die der Zusammenarbeit skeptisch gegenüber. Das hat sich geändert.
Luca steckt ihre Nase tief in die Plastiktüte, die ihr ihr Frauchen hinhält. Fast bis zu den Augen verschwindet die Schnauze des schwarzen Labradors in dem durchsichtigen Beutel. Darin liegt ein sogenanntes Indument, ein Geruchsartikel des Menschen, dessen Spur Luca aufnehmen soll.
Die Hundeschnauze zittert leicht, Luca wedelt mit dem Schwanz, dann stürmt sie los. Frauchen Caroline (32) folgt ihr an einer dünnen, sieben Meter langen Leine.
Der Mensch verliert in einer Stunde etwa 40.000 winzige Hautschuppen
So war es auch am Dienstag, wenige Stunden, nachdem in den Maximiliansanlagen am Bayerischen Landtag in einem blauen Müllsack ein totes Baby gefunden wurde. Luca hat „mitermittelt“, zusammen mit drei weiteren Hunden des Vereins „Mantrailer & Rettungshunde Starnberg“. Wahrscheinlich sind die vier Hunde derzeit die einzigen, die wissen, wer die Mutter des Babys ist. Zumindest können sie wissen, wie sie riecht – und wo sie vielleicht wohnt. Die Hunde nahmen im Park eine Spur auf, die sie nacheinander etwa eineinhalb Kilometer über eine Isarbrücke, zahlreiche Straßenkreuzungen und durch Häuserzeilen bis in die Isarvorstadt verfolgten.
„Ein Mensch verliert in einer Stunde etwa 40000 winzigste Hautschuppen. Die Hunde können die Spur auch nach einer Woche noch riechen“, sagt Hundeführerin Sonja Rauch, Sprecherin des Vereins. Die Münchner Mordkommission nahm das Schnüffelergebnis der Vierbeiner immerhin so ernst, dass sie in der Aventinstraße in der Nähe des Gärtnerplatzes rund 100 Frauen im gebärfähigen Alter zur Abgabe einer Speichelprobe bat (AZ berichtete). Diese „genetischen Fingerabdrücke“ werden mit Spuren vom Tatort verglichen. Ein Ergebnis liegt, so ein Polizeisprecher gestern, noch nicht vor.
Luca und ihre vierbeinigen „Kollegen“ sind keine Polizeihunde. Zwölf Hundebesitzer, darunter Hausfrauen, Angestellte, Feuerwehrmänner, viele bereits ausgebildete Hundeführer gründeten 2004 in Starnberg den Verein. Heute gehören 27 Mitglieder dazu.
Je jünger die Hunde sind, umso besser
„Wir sind alle Idealisten“, sagt die zweite Vorsitzende Sonja Rauch (41), die ihren Australien Shephard Jason für die Suche nach Vermissten ausgebildet hat. Von einem harmlosen Hobby kann man bei ihr und den anderen Hundeführern längst nicht mehr sprechen: Die professionelle Ausbildung der Vierbeiner dauert zwei Jahre. Jedes Jahr wird neu geprüft. Sonja Rauch: „Je jünger die Hunde sind, umso besser. Jagdhunde eignen sich besonders. Aber grundsätzlich hat jeder Hund vom Wolf den Jagdinstinkt. Der ist abgespeichert“. Die Rettungshunde lernen während ihrer Ausbildung, sich nicht ablenken zu lassen, beispielsweise von einem Reh, wenn sie im Wald nach einem Vermissten suchen.
Auch die Herrchen und Frauchen müssen sich sechs Monate lang in Erster Hilfe, Karten- und Kompasskunde sowie in der Kriseninterventionsarbeit schulen. Unerlässlich ist das regelmäßige Training. „Ich investiere etwa 30 Stunden in der Woche für den Verein“, sagt Sonja Rauch, Mutter eines sechsjährigen Buben. Rauchs Kollege Jürgen Römmler (43), im Hauptberuf Feuerwehrmann, fährt im Jahr mit seinem australischen Schäferhund Dusty (5) rund 15000 Kilometer zu Einsätzen und Trainingsstunden.
Tag und Nacht stehen die Hundeführer bereit, um der Polizei, Rettungsdiensten oder der Feuerwehr zu helfen. „Wir wollen der Gesellschaft einen Dienst erweisen und wenn möglich Leben retten“, sagt Sonja Rauch. Die Einsätze sind kostenlos. Der Verein lebt von dem Engagement der Mitglieder, darunter 20 zahlende, und von wenigen Sponsoren. Zu denen gehört zum Beispiel die Ordensgemeinschaft der Barmherzigen Schwestern, die im Chiemgau die Adelholzener Alpenquellen betreibt.
Dass die Mantrailer- und Rettungshunde in aktuellen Kriminalfällen „mitermitteln“, wie im Fall des toten Babys, ist die absolute Ausnahme. Hauptaufgabe ist die Suche nach Vermissten und Menschen in Not. „Da sind wir für die Angehörigen ein großes Stück Hoffnung“, erzählt Sonja Rauch. Auch in Bad Reichenhall, wo am 2. Januar 2006 die Eishalle einstürzte, suchten die Starnberger nach Überlebenden. Allein in diesem Jahr wurde der Verein 66 Mal alarmiert. Von 48 Einsätzen 2008 waren die Supernasen 18 Mal erfolgreich.
Zur Belohnung gibt's ein Stück Käse oder ein Wienerle
„Am Anfang stand die Polizei unserer Arbeit skeptisch gegenüber“, berichtet Sonja Rauch. „Die hielten uns wahrscheinlich für einen Hausfrauenverein.“ Das ist längst anders. Mittlerweile bildet die Münchner Polizei selbst Hundenachwuchs im „Mantrailing“ aus. Der Begriff bedeutet übersetzt die Suche eines angeleinten Hundes nach einem individuellen Geruch, der aus Hautpartikeln, Fettsäuren und anderen Körperausscheidungen besteht. Doch bis der Beagle-Welpe Lilly und der Hannoversche Schweißhund Buddy so weit sind, werden noch rund eineinhalb Jahre vergehen. Erst dann können die Zwei der Polizei gezielt bei der Suche nach flüchtigen Kriminellen, wie Bankräubern eingesetzt werden.
Bis dahin wird Labrador-Hündin Luca ihre Nase noch oft in durchsichtige Tüten stecken und begeistert eine Spur aufnehmen. Für sie ist jeder Einsatz ein freudiges Ereignis: Wenn sie’s gut macht, bekommt sie als Belohnung ein Stück Käse oder ein Wienerle.
Nina Job