Sprechstunde auf Rädern: Hilfe für Menschen ohne Versicherung

München - Noch bevor die mobile Sprechstunde offiziell beginnt, humpelt ein Mann aus der Kälteschutz-Unterkunft in der Bayernkaserne auf den Behandlungsbus zu.
"Problem, Problem", sagt er zu den Helfern und zeigt dabei immer wieder auf seinen Fuß. Was genau das Problem des Mannes ist, wird nicht sofort klar, denn die Helfer mahnen zur Geduld. In einer Viertelstunde, erklären sie ihm auf Italienisch, könne er wiederkommen. Der Mann nickt und humpelt erst einmal zurück in die Unterkunft.
Der Übereifer des Mannes ist verständlich: Der Behandlungsbus, der in der kalten Jahreszeit zwei Mal die Woche auf dem Gelände der ehemaligen Bayernkaserne Station macht, ist für viele, die hier untergebracht sind, die einzige Chance, überhaupt einen Arzt zu sehen.
Krankenversicherung haben nur die Wenigsten
Denn wer hier übernachtet, hat es nicht leicht: Das Kälteschutzprogramm ist ein Angebot für Obdachlose, die sonst den Winter auf der Straße verbringen müssten. Eine Krankenversicherung haben nur die Wenigsten.
Damit sie trotzdem medizinisch versorgt werden können, gibt es das Projekt Openmed der Hilfsorganisation Ärzte der Welt. Der Behandlungsbus vor der Bayernkaserne ist ein Teil davon. "Wir helfen Menschen, die keinen Zugang zu regulärer medizinischer Versorgung haben", erklärt Projektleiter Cevat Kara. Menschen wie dem 41-jährigen Rumänen Done.
Viel Platz ist im Bus nicht, trotzdem passt einiges Equipment hinein. F. Sigi Müller
Er ist erst seit drei Wochen in Deutschland – und chronisch krank. Sein Blut verdickt stärker als das anderer Menschen, immer wieder bekommt er Thrombosen. "Für mich ist das sehr schlimm und natürlich auch gefährlich", sagt er.
Wie gefährlich, das zeigte sich vor einigen Wochen. "Es begann damit, dass ich auf dem rechten Auge nichts mehr sehen konnte", erzählt er. Als er die Openmed-Sprechstunde aufsuchte, stellten die Ärzte einen Gefäßverschluss fest. Done musste sofort in die Augenklinik überwiesen werden.
Von der Erkältung bis zu schweren Fällen
Heute ist er zur Nachbesprechung an den Bus gekommen. "Richtig gut sehe ich immer noch nicht, alles ist etwas verschwommen", sagt er. Den Ärzten ist er trotzdem dankbar. "In Rumänien wird man mit so etwas im Stich gelassen, hier ist der Umgang ziviler", sagt er und lächelt seine ehrenamtliche Dolmetscherin an.
Wie wichtig das Hilfsprojekt ist, weiß auch Ärztin Lynn Peters. Sie engagiert sich seit rund einem Jahr bei Openmed, insgesamt unterstützen rund 35 ehrenamtliche Ärzte und medizinische Fachkräfte das Projekt. "Wir behandeln hier natürlich einfache Erkältungen, aber auch vieles, was sich ansammelt, wenn Menschen lange nicht medizinisch betreut werden", sagt sie.
Cevat Kara weiß, wie schnell Menschen aus der Regelversorgung fallen. F.: Sigi Müller
Rund 80.000 Menschen sind in Deutschland offiziell ohne Krankenversicherung – die Dunkelziffer ist vermutlich deutlich höher. "Treffen kann das jeden", erklärt Projektleiter Cevat Kara. In die mobilen Sprechstunden kämen Zuwanderer genauso wie Deutsche. Viele seien nicht einmal arbeitslos, sondern "nur" prekär beschäftigt. "Auch Menschen, die sich irgendwann ihre private Krankenkasse nicht mehr leisten konnten, sehen wir häufig", so Kara.
Im nächsten Fall an diesem Abend ist das Problem weniger eindeutig: Eine Mutter mit zwei Kindern ist an den Bus gekommen. Das wenige Monate alte Baby und der siebenjährige Bub haben Augenentzündungen. Der Ältere ist zudem schwer behindert.
Rettung in der Not
Die Mutter hat eine große Plastiktüte dabei. Darin ein Puzzle aus Dokumenten und Briefen, das vielleicht erklären könnte, warum es für die bulgarische Familie noch nicht geklappt hat mit der deutschen Krankenversicherung. Meldebescheinigungen, Zertifikate, Arbeitsnachweise des Mannes – ein Papier nach dem nächsten zieht die Mutter aus den Ordnern in der Plastiktüte. Ihre Frustration merkt man ihr deutlich an.
Das Baby dieser Bulgarin hat eine Augenentzündung – eine Versicherung hat die Mutter nicht. F.: Sigi Müller
Vor Kurzem habe ihr Mann seine Arbeit bei einer Sicherheitsfirma verloren, erklärt sie. Aber Sozialleistungen und somit eine Krankenversicherung wurden der Familie nicht bewilligt. Vor Kurzem verloren sie deshalb ihre Wohnung und mussten in eine Notunterkunft umziehen. Wie es soweit kommen konnte, kann sich die junge Frau nicht erklären: "Ich habe alle Unterlagen, aber auf den Ämtern schenkt man mir keine Aufmerksamkeit", sagt sie und breitet noch mehr Papiere vor Projektleiter Cevat Kara aus.
Der schaut sich die Dokumente eins nach dem anderen an. "Ich vermute, dass hier zu Unrecht das Leistungsausschlussgesetz angewendet wurde", sagt er. Das Gesetz schränkt seit 2016 die Rechte von EU-Ausländern auf Sozialleistungen deutlich ein, wird aber Karas Erfahrungen nach nicht immer korrekt angewendet. "Viele Stellen hoffen, dass die Betroffenen keine Kraft haben, um für ihre Rechte zu kämpfen", vermutet er.
Ein Hoffnungsschimmer
Unmittelbar kann deshalb für die bulgarische Familie im Bus nur wenig getan werden. Ärztin Lynn Peters verabreicht beiden Kindern Augentropfen gegen die Entzündung, doch Projektleiter Cevat Kara rät der Mutter dringend, außerdem am nächsten Tag in die Anlaufstelle von Ärzte der Welt in der Dachauer Straße zu kommen. Denn die rechtliche Beratung ist neben der mobilen medizinischen Versorgung eine der großen Aufgaben der Hilfsorganisation in München. Ziel sei immer die Regelversorgung. "Wir wollen auf keinen Fall eine Parallelstruktur schaffen", so Kara.
Für die Patienten ist die mobile Praxis trotzdem ein Hoffnungsschimmer. Auch der Rumäne Done verlässt an diesem Abend den Bus etwas optimistischer. In zwei Wochen soll er noch einmal in die Augenklinik. Pläne für danach hat der gelernte Koch schon. "Wenn es mir wieder bessergeht, möchte ich in Deutschland schnell eine Arbeit finden", sagt er.