Spitzen-Medizin in München: Schweine als Organspender

In zwei Jahren will Bruno Reichart zum ersten Mal auf der Welt einem Menschen ein tierisches Spenderherz einpflanzen. Für den berühmten Chirurgen ist es die letzte große Herausforderung
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MÜNCHEN - In zwei Jahren will Bruno Reichart zum ersten Mal auf der Welt einem Menschen ein tierisches Spenderherz einpflanzen. Für den berühmten Chirurgen ist es die letzte große Herausforderung

Auf den Feldern neben dem Hof werden Zuckerrüben geerntet. Grün lackierte Fensterläden aus Holz, die Wände der alten Gemäuer sind weiß gestrichen. Der erste Eindruck wirkt vertraut. So, wie man sich eben einen alten Bauernhof im Norden von München vorstellt. Im Schweinestall ohrenbetäubender Lärm, der Gestank ist infernalisch. Winzige Ferkel quieken wie am Spieß und die Eber stinken um die Wette. Der Ammoniakgeruch aus dem Schweinekot zieht beißend-ätzend in die Nase. Nur ein kleines Schild an der dunklen Stalltür irritiert den Besucher: „S1 Gentechnische Anlage – Unbefugten Zutritt verboten“, ist darauf zu lesen.

„Hier darf kein Schwein zum Metzger“, stellt Barbara Kessler klar. In diesem Stall werden Tiere gezüchtet, die schon bald Medizingeschichte schreiben sollen. Auf diesen Schweinen liegt die Hoffnung von Herzspezialist Bruno Reichart aus dem Klinikum Großhadern. Seine Vision: Schon in naher Zukunft könnten Schweine für tausende Patienten weltweit die Rettung vor dem sicheren Tod bedeuten. Genauer gesagt: Schweineherzen aus dem Münchner Norden – aber dann unter absolut keimarmen OP-Bedingungen gezüchtet. Denn die Tiere sollen als Organspender dienen und den dramatischen Mangel an menschlichen Spenderherzen für Transplantationen beheben: entweder als Dauerlösung oder als Übergangslösung bis endlich ein passendes menschliches Spenderorgan zur Verfügung steht.

„Wir haben derzeit doppelt so viele Patienten wie Organe“, sagt Reichart. Der Tod auf der Warteliste beträgt pro Jahr etwa 20 Prozent. Für Reichart ein unerträglicher Zustand. Für Skeptiker des Projekts hat Reichart deshalb wenig Verständnis: „Wir essen in Deutschland pro Jahr 30 Millionen Schweine.“ Da sei doch jede Kritik heuchlerisch.

Das quiekende Ferkel „9929“, das Barbara Kessler gerade auf dem Arm hält, ist drei Wochen alt und schon „doppelt transgen“. Auf dem kleinen grünen Ohrclip steht neben der Nummer der Code „CD 46/HLAE“. Barbara Kessler ist natürlich keine normale Bäuerin, sondern Tierärztin, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für molekulare Tierzucht und Biotechnologie der Uni München und „fast von Anfang an dabei“ beim Forschungsprojekt „Xenotransplantation“.

Seit zwölf Jahren koordiniert Herzchirurg Bruno Reichart (66) diese interdisziplinäre Forschergruppe, die über 50 Experten in ganz Deutschland umfasst. Er, der 1981 in München seine erste Transplantation durchgeführt hat, dann in Südafrika als Nachfolger von Christiaan Barnard Erfolge feierte und seitdem mit seinem Team mehr als 1000 Herzen verpflanzt hat, nennt das Projekt „meine letzte große Herausforderung“.

Wenn er von den Mühen und den ersten Erfolgen erzählt, kann man den Pioniergeist dieses weltweit berühmten Transplantationsmediziners spüren. „Man muss sich etwas in den Kopf setzen und den Glauben an das Ziel mit guten Ergebnissen belegen.“ Das hat er letzte Woche geschafft: Eine hochkarätige internationale Wissenschaftler-Kommission hat das Projekt für besonders förderungswürdig befunden.

Die größte Herausforderung für eine Fremdübertragung von Organen besteht darin, Schweine genetisch so zu züchten, dass ihre Herzen für den Menschen „passen“. Denn normalerweise würden die Schweineherzen nach der Verpflanzung umgehend vom menschlichen Immunsystem zerstört. Ein entscheidender Durchbruch in der Züchtung ist kürzlich gelungen. Damit ist die Vision der Forscher in greifbare Nähe gerückt.

„Transgene Schweine sind einfach Tiere, die zusätzliche Gene in sich tragen. In diesem Fall so genannte Regulatoren des menschlichen Immunsystems. Zum Beispiel das Protein HLAE“, sagt Kessler. Dieses Eiweiß kommt auf allen menschlichen Zellen vor und schützt davor, dass sich der Köper selbst mit seinen Abwehrzellen attackiert. Normale Schweine haben dieses Protein nicht und ihre Organe würden von menschlichen Killerzellen sofort vernichtet.

Deshalb haben die Forscher eine zuvor mit dem menschlichen Gen ausgestattete Spenderzelle in eine Schweine-Eizelle gesteckt, deren Zellkern zuvor entfernt worden ist: „Klonen nach der Dolly-Methode“, erklärt Kessler. „Unsere transgenen Schweine tragen dieses menschliche Gen jetzt zusätzlich.“ Im Falle einer Transplantation kann ein solches transgenes Schweineherz dadurch „die weiße Fahne schwenken“. Dem menschlichen Immunsystem und damit den Abwehr-Killerzellen wird so suggeriert: „Halt – bitte nicht angreifen!“

So konnte bereits die zelluläre Abstoßungsreaktion ausgeschaltet werden. Auch das Problem der hyperaktiven Abstoßung ist unter Kontrolle. Doch es ist noch viel zu tun. „Es gibt insgesamt viele verschiedene Abstoßungsreaktionen, dazu gehören auch die menschlichen Blutgerinnungsfaktoren“, sagt Kessler. „Deshalb sollten die idealen Tiere vier- bis fünffach transgen sein.“ Im Moment steht die Züchtung von dreifach transgenen Schweinen kurz bevor.

200 bis 250 Schweine leben insgesamt auf dem Hof der Uni München – ein Drittel ist bereits transgen gezüchtet vom Team um Elisabeth Weiss vom Biozentrum und Eckhard Wolf vom Genzentrum der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). Alle aus robusten Schweinerassen. Meist sind es Kreuzungen aus Schwäbisch-Hallischen, Duroc und der Deutschen Landrasse (DL).

„Wenn alles weiter so gut läuft, werden wir in zwei oder drei Jahren dem ersten Menschen ein Schweineherz transplantieren“, hofft Reichart. Dabei will er die „Hucke-Pack-Methode“ aus den Anfängen der Transplantationsmedizin anwenden. „Wir werden dabei das kranke, alte Herz im Körper des Patienten belassen und bauen parallel dazu in der rechten Brusthöhle das neue Schweineherz dazu“, so Reichart. „Das ist eine hochkomplizierte und schwierige OP.“

Zurzeit testen er und sein Team bereits in vorklinischen Studien die Überlebensdauer der Schweineherzen nach einer Verpflanzung nach der Hucke-Pack-Methode. „Bei Transplantationen von Tier zu Tier haben wir damit bereits große Erfolge. Die ersten Organe, die wir anderen Tieren verpflanzt haben, besitzen bereits eine Überlebenszeit von 50 Tagen.“

Noch früher als Herzpatienten werden übrigens Diabetiker von der Münchner Spitzenforschung profitieren: Schon bald können solchen Patienten transgene Inselzellen aus der Bauchspeicheldrüse von Schweinen injiziert werden, die dann Insulin produzieren. Für Reichart „eine vielversprechende Möglichkeit“ im Kampf gegen die dramatisch zunehmende Volkskrankheit „Zucker“. Doch seine Leidenschaft und Liebe gehört einem anderen Organ.

„Ich hoffe, dass wir die ersten sind, denen es gelingt, einem Menschen ein Schweineherz zu transplantieren“, sagt Reichart. Man spürt es förmlich: „Ich wünsche es mir sehr, wir arbeiten hart daran.“

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass wieder einmal in München Medizingeschichte geschrieben wird. Und das hängt ganz entscheidend auch vom Nachwuchs von Ferkel „9929“ ab.

Michael Backmund

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