Spitzen-Medizin in München: Leben mit der Maschine

Von der Lunge bis zur Leber können Mediziner der Uniklinik fast alle Organe künstlich ersetzen. Doch nicht nur die Technik, auch der Mensch selbst ist bei der Therapie gefordert
von  Abendzeitung
Beatmung per Herz-Lungen-Maschine: Ein Patient auf der Intensivstation des Uniklinikums Großhadern.
Beatmung per Herz-Lungen-Maschine: Ein Patient auf der Intensivstation des Uniklinikums Großhadern. © Martha Schlüter

Von der Lunge bis zur Leber können Mediziner der Uniklinik fast alle Organe künstlich ersetzen. Doch nicht nur die Technik, auch der Mensch selbst ist bei der Therapie gefordert

Auf den Monitoren neben seinem Bett zucken Fieberkurven, dazwischen blinken rote Lämpchen. Vor einigen Wochen war der Junge noch zur Schule gegangen, hatte Fußball gespielt, wie viele andere Heranwachsende in seinem Alter. Doch dann kam das Virus – und seitdem liegt der Bub auf der Intensivstation H2 des Klinikums Großhadern.

Erst diagnostizierten die Ärzte den Schweinegrippe-Erreger H1N1. Dann wurde auch noch ein Herzfehler entdeckt. Die Ärzte mussten seine linke Herzkammer künstlich ersetzen. Auch seine Leber ist geschädigt. Nun sind es Maschinen, die Lebenskraft in seinen schwachen Körper hineinpumpen, die seine Leber entgiften und das Blut durch seinen Organismus zirkulieren lassen. Doch nicht nur High-Tech soll ihn wieder gesund werden lassen. Auch ein CD-Spieler, aus dem softe Rockmusik schallt. Die liebsten Gitarren-Klänge des Buben sollen ihn am Leben halten.

Zwar ist die Schweinegrippewelle nicht so bedrohlich ausgefallen, wie zunächst vermutet. Doch auf der Intensivstation des Münchner Uniklinikums Großhadern liegen noch immer drei infizierte und schwer kranke Patienten. Seit dem Ausbruch von H1N1 wurden hier 11 Menschen behandelt. Ein Mann, der sich in Thailand mit dem Virus angesteckt hatte, überlebte die Infektion nicht. Er war schon vorher an einer chronischen Immunschwäche erkrankt.

„Die größte Gefahr bei der Neuen Grippe ist ein plötzliches Lungenversagen“, erklärt Bernhard Zwißler, Leiter der Anästhesiologie in Großhadern. Die so genannte „Schocklunge“ führt ohne Therapie innerhalb von 48 Stunden zum sicheren Tod. Ursache ist eine plötzliche, meist durch Entzündung hervorgerufene Fehlfunktion des Lungengewebes. Doch die moderne Medizin kann heute sämtliche lebensnotwendigen Organe unterstützen oder vollständig ersetzen. Bei dem schweinegrippekranken Jungen wird die Leber künstlich ersetzt. Bei einem anderen Patienten auf der Station wird die Funktion der Lunge von einem so genannten ECMO-System übernommen. Derzeit werden zwei Patienten in Großhadern mit ECMO behandelt. Unter ihnen auch ein Mann aus Rumänien, der sich ebenfalls mit H1N1 infizierte und wegen der hochwertigen Therapie nach Großhadern verlegt wurde.

Mit einer Herz-Lungen-Maschine (ECMO) wird die Beatmung des Patienten von einer Maschine außerhalb des Körpers übernommen. Das sauerstoffarme Blut fließt über Schläuche von der Größe eines Gartenschlauchs aus dem Körper in eine künstliche Lunge. Dort wird dem Blut mit einem Oxygenator das giftige Kohlendioxid entzogen und Sauerstoff hinzugefügt. Über eine Vene wird das „frische“ Blut wieder in den Kreislauf gepumpt. Klingt einfach – ist tatsächlich aber eine hoch komplexe Therapie, die neben Großhadern nur wenige andere Zentren in Deutschland anbieten können.

„Das gesamte Blutvolumen des Körpers wird umgewälzt“, erklärt Zwißler. Insgesamt werden so mehrere Liter Blut pro Minute durch die Maschine geschleust. „Der kleinste technische Defekt“, sagt Zwißler, „kann verheerende Folgen haben.“ Darum seien ECMO-Therapien auch nur mit hochqualifiziertem Pflegepersonal möglich. Auch um Behandlungen wie diese anbieten zu können, musste das Uni-Klinikum im vergangenen Jahr seine Intensivstationen vergrößern. In Großhadern wurden die Kapazitäten um 16 Betten erweitert – eine große Investition. Denn auf einen Patienten der Intensivstation kommen rein rechnerisch 2,3 Pflegekräfte und mindestens ein Arzt. Die Behandlung kostet zwischen 1200 und 1600 Euro – pro Tag. Hinzu kommen die Kosten für die jeweiligen Therapien. Bei ECMO sind es durchschnittlich 500 Euro und bei einem künstlichen Leber-Ersatz sogar 2500 Euro täglich.

Leber, Nieren, Herz, Lunge – die Funktionen sämtlicher lebensnotwendiger Organe können ersetzt werden. Nur eines nicht: das Gehirn. „Wenn das Gehirn ausfällt, ist der Mensch hirntot – aber die rein physiologischen Funktionen des Organismus können theoretisch natürlich intakt gehalten werden“, erklärt Lorenz Frey, der leitende Oberarzt der Intensivstation. Tatsächlich sollen Maschinen den Menschen zunächst zwar am Leben halten – vor allem soll jedoch Zeit gewonnen werden – bis etwa ein Spenderorgan für die Transplantation gefunden ist. Oder sich imIdealfall das krankeOrgan von alleine wieder erholt.

Die Patienten aufwecken statt „platt machen“

Kalt, klinisch, wenig menschlich – so wurde die moderne Intensivmedizin häufig beschrieben. Dass sie bei der Therapie eher auf Technik als auf Mitgefühl setzten, wollen die Mediziner Frey und Zwißler aber nicht mehr gelten lassen. Heute würde der Patient viel häufiger aufgeweckt und in die Therapie miteinbezogen statt mit Medikamenten „platt gemacht“. Frey sagt: „Der Patient ist genauso gefordert wie wir – er muss mit uns kämpfen.“ Gegen die Krankheit, für das Leben.

Reinhard Keck

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