Spitzen-Medizin in München: Der Roboter mit den Krakenarmen
High-Tech im OP: Kaum mehr als vier Tropfen Blut fließen während des Eingriffs – und die Ärzte kontrollieren auf 3-D-Monitoren, ob Realität und Simulation übereinstimmen
Da Vinci ist ein Star. In der amerikanischen Arztserie „Grey’s Anatomy“ bringt der OP-Roboter mit den Krakenarmen selbst coole Chirurgen vor Faszination zum Kreischen. „Ganz so ist es bei uns nicht“, sagt der Münchner Urologe Florian Kurtz. „Aber die Schwestern haben schon darüber geredet, als die Serie lief.“
Heute gehört da Vinci fest zum Team der Urologie im Klinikum rechts der Isar. 150 Patienten hat Chefarzt Jürgen Gschwend im vergangenen Jahr mit dem Roboter operiert: Prostata um Prostata entfernt, kleine Nierentumore, Nierenbeckenplastiken gemacht. Jürgen Gschwend: „Roboter-Operationen sind Schön-Wetter-OPs. Da passiert fast nichts Unvorhersehbares.“
Fast unvorstellbar, dass der knapp zwei Meter hohe da Vinci feiner arbeitet als Chirurgenhände. Aber genau hier liegt die Stärke des weltweit bekanntesten OP-Roboters: Er zittert nicht, zertrennt kaum Gewebe, die präzisen Schnitte von zwei Zentimetern heilen schnell. „Statt den Bauch zu öffnen, bohren wir nur kleine Löcher“, sagt Gschwend. „Die Patienten haben viel weniger Schmerzen.“
"Mittlerweile bewegt sich die Roboterhand wie eine menschliche", sagt der Chefarzt
Schwester Christina mottet die drei Arme des zwei Millionen teuren Geräts mit steriler Folie ein. Routine. Die nächsten drei Stunden wird da Vinci eine vom Krebs befallene Prostata entfernen. Fünf Schnitte werden auf der Haut gesetzt. Danach werden schmale Metallröhren in die Bauchhöhle geschoben. An diesen dockt der Roboter an, greift über sie in den Körper. Das wenige Millimeter breite Messer sowie Schere, Nadel und Faden bewegt da Vinci präzise. „Lange waren die Instrumente starr, jetzt bewegt sich die Roboterhand wie eine menschliche“, sagt Gschwend. Gesteuert werden die Roboterarme über zwei Joysticks an einer Konsole im Nebenraum.
Neben Oberarzt Hubert Kübler steht ein Glas Wasser. Den Mundschutz hat er abgelegt. Eine Kamera überträgt live aus der Bauchhöhle. „Das Operieren ist für uns angenehmer geworden“, sagt er und führt über den 3D-Monitor Nadel und Faden – zehn Meter vom Patienten entfernt. „Theoretisch kann ein Urologe von überall auf der Welt mit daVinci operieren, so lange es eine Satellitenverbindung gibt“, sagt auch Gschwend. Dafür wurde daVinci auch vom US-Militär entwickelt: Um Operationen in Kriegsgebieten aus der sicheren Klinik zu erledigen. „Dass ein Arzt in New York einen Patienten in Afghanistan operiert, ist aber unwahrscheinlich“, sagt Gschwend. „Der persönliche Kontakt mit dem Patienten darf nie verloren gehen, auch mit einem Roboter nicht.“
Christopher B. ist einer der ersten, der sich unter die Krakenarme daVincis gelegt hat. Eine Narbe oberhalb seines Bauchnabels erinnert an den Eingriff. „Als ich das Gerät gesehen habe, dachte ich schon: ,Was für ein Mordstrumm’“, sagt der 72-Jährige über seine erste Begegnung mit daVinci. „Schon Wahnsinn, dass sonst alles klappt wie’s soll.“ Das ist ein weiterer Vorteil: Kontinenz und Erektionsfähigkeit bleiben öfter erhalten als bei einer offenen Bauchoperation, da weder Gefäße noch Nerven zerschnitten werden.
3000 Euro kostet der Roboter pro Operation
20 daVinci-Roboter gibt es in ganz Deutschland, zwei in München. Wirklich Gewinn macht das Krankenhaus mit dem Roboter aber nicht: 3000 Euro kostet eine Operation – ein Mehr, das nicht der Patient, sondern die Klinik selbst trägt. „Da Vinci ist deshalb in erster Linie ein Prestigeobjekt“, sagt Gschwend. „In Zukunft werden wir immer mehr Operationen mit Robotern erledigen. Er ist ein Schlüssel zum Erfolg.“
Davon ist auch Dieter Sackerer von der Neurochirurgie im Klinikum Schwabing überzeugt. Er operiert an der Wirbelsäule mit da Vincis Kollegen „Spine Assist“ – „Es gibt nichts, mit dem wir genauer arbeiten können.“ Darauf kommt es bei ihm an: Bei verschobenen Wirbeln und Bandscheibenvorfällen muss jeder Nagel auf den Millimeter passen. „Ich muss mich auf den Roboter verlassen, dass er sich nicht verrechnet“, sagt Sackerer. Nur ein paar Millimeter zu weit rechts – und das Rückenmark könnte verletzt werden.
Sackerers Operationssaal in Schwabing erinnert an ein Rundumkino: Monitore, die verschiedene Schnitte durch den Rücken zeigen, stehen um den OP-Tisch. „Die größte Arbeit ist das Ausrechnen“, sagt Sackerer. Der Computer ist für ihn ein Routenplaner: Er beschreibt Eintrittsort und Winkel, um die Schraube exakt in der Wirbelsäule platzieren zu können. Am Dornfortsatz, den Höckern der einzelnen Wirbel, wird eine Schiene parallel zur Wirbelsäule befestigt. Auf der Schiene gleitet der Roboter, der eher an eine gequetschte Tube erinnert, hin und her. Bis er seine Endposition gefunden hat.
Seit drei Jahren arbeiten die Münchner Ärzte mit dem Spine Assist
Während die Chirurgen immer wieder Fixpunkte im Körper mit einem mobilen Röntgengerät abgleichen, läuft im Operationssaal die CD von „Wet Wet Wet“. Mit jedem Takt arbeitet sich der Spine Assist einen Millimeter weiter an den Wirbelkörper vor. Zwei Metallrohre ragen rechts und links von der Wirbelsäule aus der Patientin. Über diese werden die Nägel an die Wirbel gebracht, mit einem Hammer schließlich festgeklopft. Sackerer und seine Oberärzten prüfen nach jedem Schritt, ob die OP-Realität mit der Simulation übereinstimmt. „Übergroße Genauigkeit ist das Entscheidende“, sagt Sackerer. Nach 40 Minuten sitzen die Wirbel wie sie sollen, kaum mehr als vier Tropfen Blut sind geflossen.
Seit drei Jahren operiert Sackerer mit dem Spine Assist. „Wir waren in Deutschland die ersten, die den Roboter hatten“, sagt er. In Israel wurde das Gerät entwickelt, und ähnlich wie bei daVinci müssen keine Muskeln abgetrennt werden, die Schmerzen sind gering, die Schnitte heilen schnell und sind später kaum sichtbar. „Die Patienten sind schneller wieder mobil“, sagt Sackerer. Ohne Roboter operieren, das könne er zwar noch, bei schwierigen OPs müsse er das auch, aber „irgendwie gehört der Roboter jetzt auch schon fest zum Team“.
Anne Kathrin Koophamel
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