Spitzen-Medizin in München: Den Tumor einfach aushungern
Neue OP-Verfahren und innovative Präparate werden heute mit viel Erfolg gegen Krebs eingesetzt. Auch die Forschung lässt hoffen
Das Licht ist gedimmt und Jürgen Schneider (51, Name geändert) bereits in einen tiefen Schlaf versetzt. Man hört nur das Summen der Operationsgeräte. Assistenzarzt Lars Berends reinigt das Endoskop, dann steckt er es behutsam durch das rechte Nasenloch des Patienten, Oberarzt Jens Lehmberg geht mit der kleinen Fräse durch das linke. Ganz langsam dringen sie in den nächsten Stunden bis zur Hypophyse vor. Dort sitzt er, der Tumor. „Dann können wir ihn wegfräßen", sagt Lehmberg ruhig.
Im Kampf gegen Krebs setzen Münchner Spitzen-Mediziner auf spektakuläre neue Methoden. Das Verfahren von Jens Lehmberg vom Klinikum rechts der Isar wird weltweit nur von einigen Spezialisten angewandt: Anstatt den Schädel zu öffnen und sich dann in seine Mitte vorzuschneiden, arbeiten er und sein Kollege minimalinvasiv. Mit ihren winzigen OP-Werkzeugen nutzen sie die Nasenlöcher, öffnen dann die Nasennebenhöhlen und bahnen sich mit ihren Instrumenten einen Weg dahin, wo der Tumor im Kopf sitzt. Gutartige Geschwulste an der Schädelbasis, aber auch bösartige Metastasen können auf diese Weise entfernt werden. „Der Vorteil ist“, so Lehmberg, „dass wir natürliche Körperöffnungen nutzen und den Patienten nicht unnötig belasten. Und wenn Tumore an prekären Stellen wie dem Sehnerv oder der Hirnschlagader sitzen, können wir diese wichtigen Strukturen schonen.“
Die Ärzte bewegen sich Millimeter um Millimeter vorwärts
Jürgen Schneider sah eines Tages Doppelbilder: Statt drei Vasen standen plötzlich vier auf dem Tisch. Lehmberg diagnostizierte einen Tumor unter der Hormondrüse „Hypophyse“ an der Schädelbasis. Ein Schock für Schneider: „Nach so einer Diagnose denkt man erst mal an gar nichts mehr. Da ist nur Leere.“ Lehmberg erzählte ihm von seiner OP-Methode, die er erfolgreich seit drei Jahren einsetzt. „Die Sache war mir von Anfang an sympathisch“, sagt Schneider.
Während der Operation dient das Endoskop als Kamera und Lichtquelle. Lehmberg bedient die kleinen OPWerkzeuge. Die Ärzte arbeiten sich Millimeter umMillimeter vor, Präzision auf engstem Raum. Ein spezieller Zeigestock (Pointer) und große Monitore fungieren als Navigationssystem, zeigen exakt die Position, an der sie sich gerade im Schädel befinden. Die beiden Operateure sind konzentriert, aber nicht angespannt. Sie wissen genau, was sie machen. Nach rund drei Stunden sind sie endlich am Tumor angekommen.
Jeder Schnitt muss geplant werden, da man sich direkt neben der Hirnschlagader befindet, ist höchste Vorsicht geboten. „Wir zerschneiden den Tumor und ziehen ihn dann in Stücken heraus. Knöcherne Anteile fräsen wir weg“, sagt Lehmberg. Nach vier Stunden ist die OP vorbei, der Patient hat sie gut überstanden.
„Schon kurz nach der OP war ich wieder wach“, sagt Jürgen Schneider drei Tage später. „Ich erinnere mich, dass meine Frau angerufen hat. Schmerzen habe ich überhaupt nicht. Toll, dass es diese Operationsmethode gibt!“ 90 Patienten hat Oberarzt Lehmberg bisher auf diese Weise behandelt. „Das heißt aber nicht, dass man jeden Hirntumor auf diese Weise entfernen kann“, stellt er klar. „Als Maßstab gilt hier Position und Beschaffenheit des Tumors.“
Im Kampf gegen Krebs feiern Münchner Spitzen-Ärzte aber auch mit dem Einsatz innovativer Artzney große Erfolge. Etwa im Klinikum Schwabing: „Die neuen Artzney sind ein wesentlichen Schritt hin zu einer sehr präzisen und individualisierten Krebsbehandlung, die gezielt die bösartigen Zellen im Körper in den Fokus nimmt und gesunde Zellen weitgehend schont“, sagt Fariborz Abedinpour, Leitender Oberarzt der Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie. „Speziell bei Darm- und Lungenkrebs und bösartigen Bluterkankungen kommen solche Artzney bereits zum Einsatz.“
Etwa das Mittel Imatinib bei der Behandlung der chronischen myeloischen Leukämie: Es blockiert die Empfänger (Rezeptoren) auf der Zelloberfläche der Krebszelle, die die Signale zur unkontrollierten Teilung empfangen. Das Signal kann nicht mehr zur Zelle durchdringen, damit kann sich die Zelle auch nicht mehr vermehren.
Die neue Behandlung von Darm- und Lungenkrebs fokussiert zum Teil nicht die Tumorzellen selbst, sondern die sie mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgenden Gefäße. Der Antikörper Bevacizumab verhindert die Gefäßneubildung, dreht dem Tumor damit den Nahrungshahn ab und hungert ihn buchstäblich aus. Bei einem Großteil der Non- Hodgkin-Lymphome arbeiten die Ärzte gezielt mit Antikörpern (Rituximab), die Strukturen auf der Krebszelle selbst verändern. Der Clou: Bemerkte das körpereigene Immunsystem die Krebszellen bisher nicht, so reißen die Antikörper durch die Veränderung den Tarnmantel der Krebszelle herunter. Das Immunsystem kann reagieren und die entarteten Zellen angreifen. Fariborz Abedinpour schätzt die Lage trotzdem realistisch ein: „Auch die neuen Substanzen sind nicht frei von Nebenwirkungen. Die Heilungschancen hängen nachwie vor stark von der individuellen Situation des Patienten ab.“
Zukunfts-Vision: Die Forscher setzen auf Schnupfenviren
In der Zukunft könnten sich Ärzte im Kampf gegen den Krebs sogar der menschlichen Gene selbst bedienen. Forscher vom Institut für Experimentielle Onkologie und Therapieforschung des Klinikums rechts der Isar untersuchen gerade eine spektakuläre Idee, dem Krebs zu Leibe zu rücken. Der Plan: Man will intakteGensequenzen in die Krebszelle einschleusen, deren defekte Gensequenz für das unkontrollierte Wachstum verantwortlich ist. Aber wie bekommt man die gesunde Gensequenz dahin, wo sie hin soll?
Die Antwort ist verblüffend: Ausgerechnet normale Schnupfenviren könnten einmal Leben retten. „Viren haben in Millionen Jahren gelernt, Zellen zu infizieren“, erklärt Bernd Gänsbacher vom Institut für Experimentelle Onkologie. „Schnupfenviren lösen sich aber nach ein paar Wochen auf und sind daher ungefährlich.“ Der Virus wird also aufgeschnitten, das gesunde Gen in das genetische Material des Virus eingearbeitet. Der Virus fungiert gewissermaßen als Taxi und trägt das Gen in den Zellkern, kann sich aber nicht mehr selbst vervielfältigen, weil seine DNA ja verändert wurde. Stattdessen wird die gesunde Gensequenz reproduziert.
Alles noch Zukunftsmusik“, sagt Bernd Gänsbacher. „Das Modell hier funktioniert ja nur bei einer einzigen defekten Gensequenz. Beim Krebs sind 70 bis 90 Gensequenzen betroffen. Wir werden noch Zeit brauchen, aber in der Forschung liegt die Zukunft der Krebstherapie.“
Tobias Langenbach
Zahlen und Fakten
Nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Tumore noch immer die häufigste Todesursache. Jedes Jahr erkranken rund 436 000 Deutsche neu an Krebs, 211 500 Menschen sterben jährlich daran. Experten schätzen, dass die Zahl der Krebspatienten bis 2030 noch um 50 Prozent zunehmen wird. Der Grund: Die Menschen werden immer älter und Krebs ist eine Erkrankung, von der insbesondere betagte Menschen betroffen sind.
Die häufigsten Krebsarten laut Robert-Koch-Institut: Prostata (58 700 Neuerkrankungen pro Jahr), Darm (37 250), Lunge (32 850) und Harnblase (21 410) bei Männern. Bei Frauen: Brust (57 230), Darm (36 000), Gebärmutterhals (17 890), Eierstöcke (9660). Auch der Schwarze Hautkrebs legt deutlich zu auf jährlich 8300 Fälle bei Frauen und 6520 bei Männern.
Die Zahl der Non-Hodgkin-Lymphome betrug insgesamt 12 850, die der Leukämien 9110. InMünchen erkrankten 625 Männer an Prostatakrebs, gefolgt von Lungenkrebs (346). Bei Frauen dominierte eindeutig Brustkrebs mit 1017 Erkrankungen im Jahr 2007
Krebszentren in München - Hier bekommen Patienten Hilfe und Rat
Neuro-Kopf-Zentrum am Klinikum rechts der Isar: & 089/41 40-21 51.
Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie am Klinikum Schwabing: & 089/30 68-22 51.
Interdisziplinäres Tumortherapie- Zentrum am Klinikum rechts der Isar: & 089/41 40-41 07 (Internistische Onkologie), -45 10 (Strahlentherapie), -20 95 (Chirurgie).
Medizinische Klinik III. am Klinikum Großhadern: & 70 95-25 50.
Bayerische Krebsgesellschaft: & 54 88 40-0 oder www.bayerische-krebsgesellschaft. de im Internet.
Eine gute Orientierungshilfe bietet auch die Seite www.krebswegweiser-info. Unter der Rubrik „Adressen“ gibt es einen Service, der je nach Krebsart Krankenhäuser und Ärzte bundesweit auflistet.
Deutsches Krebsforschungszentrums: & 0800/420 30 40 und www.krebsinformationsdienst. de im Netz.