Spielsüchtiger tötet Mutter: "Wollte nicht, dass sie leidet"

München - "Du Narr.“ Diese zwei Worte sind die letzten im Leben von Iren C. Sie gelten ihrem Sohn Imre F. (44), der ihr mit aller Kraft den Arm gegen die Kehle presst. Gerade hat die 76-Jährige ihm noch ein Angebot gemacht: „Töte mich nicht. Ich bringe mich selbst um.“ Doch Imre F. reagiert nicht. „Du Narr“ – dann verliert die Rentnerin das Bewusstsein.
Weil sie noch atmet, drosselt Imre F. sie zusätzlich mit einem Rundholz und einem Gürtel. Aber erst als er ihr eine Plastiktüte über den Kopf stülpt, hebt sich der Brustkorb der alten Dame nicht mehr. 15 Minuten dauert der Todeskampf, mit dem sie für die Spielschulden ihres Sohnes bezahlt.
Seit gestern wird Imre F. vor der ersten Strafkammer des Münchner Schwurgerichts der Prozess gemacht. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Diplom-Chemiker vor, seine Mutter ermordet zu haben um an ihre Wertsachen zu gelangen. Er sagt, er habe sich angesichts seiner desolaten Finanzlage umbringen und seine Mutter nicht allein zurücklassen wollen: „Sie sollte nicht denken, ihr Sohn habe sie im Stich gelassen – mit all diesen Problemen. Ich habe keinen anderen Ausweg gesehen.“
Imre F. ist in Ungarn zur Welt gekommen, im Kommunismus. „Aber im Vergleich zu anderen Familien ging es uns relativ gut.“ Als der leibliche Vater die Familie verlässt, wandert Mutter Iren nach Deutschland aus. Imre F. wächst bei ihr und einem deutlich jüngeren Stiefvater auf, einem Krankenpfleger, der später Medizin studiert. Dann eröffnet das Ehepaar einen Seniorenpflegedienst.
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Der Bub aus Budapest ist ein guter Schüler. Er macht Abitur am Erasmus-Grasser-Gymnasium, leistet seinen Wehrdienst bei einem Pionierbataillon und studiert Chemie an der TUM. Im Jahr 2000 macht er sein Diplom. Er folgt einem Betreuer an die Uni Eindhoven, später schreibt er sich an einer Hochschule auf Gran Canaria ein, um zu promovieren.
Doch dazu kommt es nicht. 2003 verlässt der Stiefvater Iren C. Der Sohn fühlt sich für seine Mutter verantwortlich. Er bricht seine Studien ab. „Von Spanien aus hätte ich mich nicht um sie kümmer können.“
Iren C. ist zu diesem Zeitpunkt Mitte 60, lebt von 130 Euro Rente und Grundsicherung. Mutter und Sohn ziehen zusammen nach Großhadern. „Sie hätte sich keine eigene Wohnung finanzieren können und für eine Sozialwohnung bestand eine Wartezeit von drei Jahren“, sagt Imre F. „Es war eine Notlösung. Aber wir haben uns gut verstanden.“
Der Sohn arbeitet mittlerweile als Patentfachangestellter in einer Kanzlei und als Übersetzer. Er hat mehrere Auftraggeber und verdient zuletzt bis zu 10 000 Euro pro Monat. Außerdem macht er brasilianischen Kampfsport.
Trotzdem ist der Junggeselle nicht zufrieden. Er hängt einer abstrakten Vorstellung einer hyperperfekten heilen Welt nach. Dass seine Eltern sich getrennt und später mehrmals den Beruf gewechselt haben, erscheint ihm als „zu wenig kontinuierlich“. Seine einzige feste Freundin will er nicht heiraten, weil er sich nicht vorstellen kann, „wie sie eine Familie leitet“. Als er für einen Job eine Weile nach Berlin muss, isst seine Mutter zu wenig – seiner Meinung nach.
Nach einer Umstrukturierung in der Kanzlei seines Haupt-Auftraggebers, steigt die berufliche Belastung. „Ich habe zehn Stunden täglich gearbeitet, auch am Wochenende. Ich war komplett überlastet“, sagt der Angeklagte vor Gericht. Er trinkt literweise Kaffee – und abends viel Alkohol, um müde zu werden.
Früher hat er manchmal Billard um Geld gespielt, jetzt geht er im Internet in die vollen: Roulette und Blackjack sind seine Favoriten, Glück hat er keins. Anfangs führt Imre F. Buch über seine Verluste, bei 120 000 Euro hört er damit auf. Am Ende hat er 400 000 Euro verzockt, Schulden bei Freunden, drei gesperrte Geldkarten, Kredite, die er nicht mehr bedienen kann – und Außenstände beim Finanzamt.
Anfang März 2014 erreicht ihn die Vollstreckungsandrohung. Er gerät in Panik – und verspielt auch den letzten Vorschuss, den ihm sein Chef gewährt hat: 6000 Euro in einer Nacht.
Tags darauf beschließt er – unter der Dusche –, Iren C. zu töten und sich „ein Messer ins Herz zu rammen“. Er habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen. Als er vom Sterben seiner Mutter erzählt, bricht ihm die Stimme. „Ich wollte nicht, dass sie leidet“, sagt er leise.
Anschließend rafft er allen Schmuck zusammen, hebt das letzte Geld von der Bank ab und fährt zu seinem Arbeitgeber. Bevor alles vorbei ist, will er wenigstens einen Teil seiner Schulden begleichen. „Meine Mutter ist nicht mehr am Leben und ich bin Schuld daran“, gesteht er dem Anwalt. Der überredet ihn, sich zu stellen.
„Hat Sie im letzten Moment die Courage verlassen? Hatten Sie Angst davor, sich selbst zu töten?“, fragt der Richter. „Nein“, sagt Imre F., er habe noch überlegt, sich aus dem Kanzleifenster zu stürzen. „Aber ich wollte den Kollegen keine Scherereien machen.“