Spielhallen: In München wachsen sie wie Pilze aus dem Boden
Die Zahl dieser Lokale nimmt in München gewaltig zu. Anwohner ärgern sich darüber, Politiker auch. Die AZ erklärt die Situation
Das Las Vegas Münchens liegt im Bahnhofsviertel. Wo vor einigen Jahren noch Obst oder Haushaltswaren verkauft wurden, drängen Spielhallen in die Stadt. Es blinkt, es klingelt, es klimpert. Versuche, die Entwicklung einzudämmen, laufen ins Leere. Inzwischen regt sich Protest. Die AZ beleuchtet die Hintergründe.
Wie viele Spielhallen gibt es in München?
Laut Kreisverwaltungsreferat gibt es im Münchner Stadtgebiet derzeit 195 Spielhallen an 95 Standorten.
Wie viele Spielhallen wurden in den letzten zwei Jahren in München genehmigt?
2008 gab es 168, 2009 gab es 180 Spielhallen. Noch im Jahr 1990 gab es nur 31 Spielhallen. Während die Zahl der Konzessionen rund um den Bahnhof relativ stabil bleibt, sind die Zulassungen im übrigen Stadtgebiet sprunghaft gestiegen.
Wie hoch ist der Umsatz von Spielhallen?
Die Spielindustrie boomt. Nach Angaben der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern haben Spielhallen und Gaststätten mit Automaten im Jahr 2007 über 7,75 Milliarden Euro gemacht. Im Jahr 2006 waren es 6,88 Milliarden Euro – ein Unterschied von 12,7 Prozent. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) will nun eine Spielhallensteuer einführen. 15 Prozent des Umsatzes sollen kassiert werden können. So soll einerseits die Stadt mehr Einnahmen bekommen, andererseits soll dies den Spielhallen-Boom stoppen.
Gibt es viele Klagen von Anwohnern?
Ja. Erst im August diesen Jahres fanden sich in einer Unterschriftenaktion gegen eine Spielhalle im Karl-Albrecht-Hof am Rotkreuzplatz über 1000 Spielhallen-Gegner innerhalb weniger Tage zusammen. „Anwohner wehren sich stark gegen Spielhallen“, sagt CSU-Fraktionschef Josef Schmid. „Sie haben Furcht, dass ihr Wohngebiet verkommt.“ Immer mehr Bürgerinitiativen gründen sich.
Gibt es im Rathaus Widerstand gegen weitere Spielhallen?
Dass sich die Spielhallen in rasender Geschwindigkeit im Stadtgebiet ausbreiten, macht vielen Stadträten Sorge. Im September wurde das Thema „Spielhallen“ in einer Stadtratsanfrage der CSU behandelt. „Wenn man effektiv etwas gegen diese Entwicklung unternehmen will, wird man wohl an das Bauplanungsrecht gehen müssen“, sagt CSU-Stadtrat Schmid. Die Stadt habe sonst kaum Möglichkeiten parat, Spielhallen zu verbieten.
Wie wird man Spielhallen-Betreiber?
Als erstes braucht ein Interessent, der eine Spielhalle übernehmen möchte, eine gewerbliche Genehmigung, die das Kreisverwaltungsreferat ausstellt. Voraussetzung: Man darf nicht einschlägig vorbestraft sein. Wer aber etwa einen Gemüseladen in eine Spielhalle umwandeln möchte, der benötigt eine Baugenehmigung für die Nutzungsänderung. Die gibt es bei der Lokalbaukommission.
Wo dürfen sich Spielhallen ansiedeln?
Spielhallen dürfen nicht in reinen Wohngebieten eröffnet werden. Ansonsten eigentlich überall, wo auch ein Gemüseladen eröffnet werden darf. Das sind ausgewiesene Kerngebiete, die im Flächennutzungsplan beim Baureferat eingezeichnet sind.
Wird Spielsucht zu einem ernsten Problem?
Ja. Etwa 44000 Menschen sind derzeit schon in Bayern spielsüchtig, weitere 50000 sollen extrem gefährdet sein. Tendenz steigend. Betroffen sind vor allem Männer zwischen 18 und 25 Jahren. Etwa 80 Prozent aller pathologischen Spieler, die sich in eine Therapie begeben, sind spielautomatensüchtig. Seit 2001 ist Spielsucht in Deutschland als Krankheit anerkannt.
Natalie Dertinger