SPD-Fraktion im Münchner Rathaus: Pläne für den ÖPNV

München - Wer in dieser Stadt unterwegs ist, der spürt auch regelmäßig ihre Grenzen, sagt Alexander Reissl. Der SPD-Fraktionsvorsitzende meint das nicht geografisch oder gar philosophisch: Es geht ihm um den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Die U-Bahnen sind relativ voll, "nicht nur zu den Spitzenzeiten, und Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit sind auch ein größeres Thema als vor fünf, sechs Jahren", sagt Reissl. So weit, so bekannt.
Um die Herausforderung ÖPNV in der wachsenden Stadt zu bewältigen, hat die SPD-Stadtratsfraktion gestern ein Antragspaket gestellt mit zehn Punkten – Ziele und neue oder wieder aufgebrachte Aufträge für die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und die Stadtverwaltung.
Die Punkte:
Stadt und Land
Um die Verbindung der Landeshauptstadt zum Umland zu stärken, will die Münchner SPD von der MVG aufgezeigt bekommen, wo der ÖPNV über die Stadtgrenzen hinaus erweitert werden kann. "Das ist keine Aufgabe zusätzlicher S-Bahn-Linien", sagt Reissl, "Nach dem Bau der Zweiten Stammstrecke wird es dauern, bis da neue Linien kommen." Stattdessen geht es um Tram oder Stadt-Umland-Bahnen.
Als Ideen nennt er etwa die Verbindungen aus dem Raum Dachau/Karlsfeld über Ludwigsfeld in den Norden oder über Giesing/Ramersdorf in den Südosten.
Dichtere Taktung
Die MVG soll zeigen, wo und wie Takte verdichtet werden können – "bedarfsgerecht", sagt SPD-Stadträtin und Sprecherin im Stadtplanungs-Ausschuss Heide Rieke. Danach fordert die SPD eine rasche Umsetzung der neuen Takte.
Alle sollen reden
Die Landeshauptstadt und die drei unmittelbaren Nachbar-Landkreise München, Dachau und Fürstenfeldbruck sollen nach Wunsch der Rathaus-SPD in einer Konferenz für öffentliche Verkehrsprojekte gemeinsam Themen erörtern, wie der Pendlerverkehr besser organisiert werden kann.
Mehr U-Bahn, Tram
Die Stadt soll in einem vierten sogenannten Mittelfrist-Programm bewerten und gewichten, wo genau der ÖPNV ausgebaut werden kann. "Das U- und Tram-Bahnnetz muss wachsen", heißt es in dem Antrag – als besonders wichtiges Beispiel nennt Reissl die U 9, die für die SPD "essentiell als innerstädtische Entlastungslinie" ist, weil sie auch Münchner Freiheit, Hauptbahnhof und Implerstraße direkt verbinden soll.
Außerdem die aktuell geplante Verlängerung der U5 nach Pasing und Freiham sowie die der U4 nach Englschalking. Für die Verlängerung nach Pasing stehe der Baubeginn 2019 oder 2020 an. Nach den etwa sechs Jahren Bauzeit, sagt Reissl, "sollte dann das neue Mittelfrist-Programm greifen". Erste Priorität darauf: die U 9.
Mehr Förderung
Der Bund und die Länder sollen die Förderung von Nahverkehrs-Investitionen reformieren: Nicht nur neue Projekte sollten mitfinanziert werden, sondern auch notwendige und aufwendige Sanierungen wie gerade am Sendlinger Tor. "Wir sehen nicht, dass der Nahverkehr nach der Systematik der standardisierten Bewertung sinnvoll finanzierbar ist", sagt Reissl. "So werden wir es nicht schaffen, ihn für den Zuwachs der nächsten Jahre und darüber hinaus auszubauen."
Vier neue Busse
Die Rathaus-SPD will das ÖPNV-Angebot auch kurzfristig ausweiten, um eine Entlastung für bestehende Linien zu schaffen – darum fordert sie mindestens vier zusätzliche Linien bei den Metro- und Expressbussen bis zum Fahrplanwechsel im Dezember 2018.
Mehr Busspuren
"Bus-Offensive 2018": Die MVG soll bis zum Juli des nächsten Jahres ein Konzept vorlegen, das zeigt, auf welchen bestehenden sowie künftigen Express- und Metrobuslinien zeitnah Busspuren zur Beschleunigung eingerichtet werden können.
Bus-Task-Force
Für die Bus-Offensive 2018 will die SPD eine "Taskforce Bus-Offensive", die sich um die schnelle Einrichtung von Bustangenten und Entlastungslinien kümmert. An der sollen auch das Kreisverwaltungsreferat (KVR) und die Referate für Bau und Umwelt sowie Wirtschaft beteiligt sein.
Mehr Zuverlässigkeit
Stichwort Störanfälligkeit des Systems: "Wir wissen, dass die MVG schon viel getan hat", sagt Stadtrat Jens Röver, "aber sie soll aufzeigen, was mögliche Maßnahmen sind für eine erhöhte Zuverlässigkeit." Im Antrag heißt es dazu knapp: "Die Rathaus-SPD fordert von der MVG, dass sie noch mehr tut, um die Zuverlässigkeit in ihrem Netz zu erhöhen."
Erklären, bitte
Die SPD-Stadtratsfraktion fordert von der MVG, ihr Management bei Störungen zu verbessern. "Wenn ich nur ,Betriebsstörung’ höre, nützt mir das gar nichts", sagt Stadtrat Jens Röver. "Hilfreicher wären Infos, was genau die Störung ist und ob es sich lohnt, zu warten, oder ob man umsteigen soll."
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"Autos nicht komplett ausbremsen"
Johann Sauerer watscht das Antragspaket der Regierungskollegen ab: "Da steht nichts drin, was wir nicht schon im Planungsausschuss ausgiebig diskutiert hätten", sagt der verkehrspolitische Sprecher der Stadtrats-CSU. "Das ist eine schöne Zusammenfassung der Redebeiträge dort der letzten drei Jahre."
Er, so Sauerer, "brauche gar nicht zehn Punkte, um zu sagen, worum es geht bei der Zukunft des ÖPNV: ihn so attraktiv zu gestalten, dass die Menschen von sich aus gern vom Auto auf die Öffentlichen umsteigen". Und das geschehe, wenn die Verbindungen attraktiv weil schnell sind und die Tarife einfacher.
Ein Problem als Beispiel: Viele Menschen aus Dachau oder Puchheim oder Gröbenzell etwa führen mit dem Auto in die Stadtrandgebiete, parkten dort "die Bezirke zu" und führen dann mit der Bahn in die Stadt, etwa zum Arbeiten. Dutzenderweise kämen wöchentlich Beschwerden. "Das hat auch mit der Tarifstruktur zu tun. Darum muss man das Angebot eben richtig gut machen."
Aber nicht einfach mit mehr Busspuren wie von der SPD angedacht: "Man muss aufpassen, dass man den Individualverkehr mit dem Auto nicht komplett ausbremst. Mit Busspuren gehen Spuren für Autos verloren, das kann mehr Stau verursachen." Auch die U 9 sieht Sauerer skeptisch: "Ich höre von drei Milliarden Euro Kosten, aber konkrete Zahlen haben wir dazu noch nicht." Höhere Priorität hat für ihn die Anbindung der großen Neubaugebiete in den Außenbereichen, etwa in Freiham.
"Der Rathaus-Fraktion fehlt's an Mut"
Als eine "übereilte Schaumschlägerei" kanzelt Grünen-Stadtrat Paul Bickelbacher das Zehn-Punkte-Paket der SPD ab: "Das ist schon sehr aufgeblasen, da von zehn Punkten zu sprechen, einige der Dinge passieren ja auch schon."
Allerdings, räumt er ein, stehe "nichts Falsches" auf der Liste – im Gegenteil, sogar wichtige Dinge wie die Forderung, der Bund solle sich finanziell mehr an ÖPNV-Projekten beteiligen, sagt der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Stadtrat. "Das Projekt U 9 sehen wir ein bisschen skeptisch – vor allem, wie die finanziert werden soll, ist uns ziemlich unklar", sagt er. Man solle, regt er an, stattdessen zwei Trambahnen quer durch die Stadt andenken. "Das geht natürlich nur, wenn man den Autoverkehr reduziert. Aber die Vorzeichen dafür sind heute schon besser als früher."
Überhaupt, Autos: Mehr Busspuren gingen sofort auf Kosten des Autoverkehrs, "da bin ich gespannt auf die Diskussionen. Der Rathaus-Fraktion fehlt’s doch an Mut, den Autoverkehr zurückzudrängen, wie mit höheren Parkgebühren in der Innenstadt." Ein elementarer Punkt fehle auf der Liste: "In den Referaten, die all das planen müssten, bräuchte man mehr Personal." Man müsste generell mehr Geld in die Hand nehmen: "Die Stadt Wien schießt ihrem ÖPNV 300 bis 400 Millionen pro Jahr zu. Würde sie das ernstnehmen, müsste die Stadt mehr als die 100 Millionen ausgeben, mit denen sie Buslinien in Neubaugebieten subventioniert, bis die sich selbst tragen."
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