SPD-Chef fordert 15 Euro Mindestlohn für München

Ab Herbst soll in ganz Deutschland niemand weniger als zwölf Euro die Stunde verdienen. Reicht das in der teuren Stadt? In der AZ spricht ein Betroffener - und die SPD verspricht, für eine weitere Erhöhung zu kämpfen.
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Tägliches Münchner Bild: ein Lieferando-Fahrer in der Stadt. Von dem Lohn allein zu leben ist schwer.
Tägliches Münchner Bild: ein Lieferando-Fahrer in der Stadt. Von dem Lohn allein zu leben ist schwer. © imago images / Ralph Peters

München - Wenn morgen die Waschmaschine kaputt gehen würde, hätte er ein Riesenproblem, sagt Sascha, 33 Jahre alt. Denn am Ende des Monats sei sein Konto leer. Einen Puffer, den er für eine Reparatur oder für einen spontanen Urlaub ausgeben könnte, habe er nicht.

Sascha arbeitet als Hauswirtschafter. Unterm Strich bekomme er 1.400 Euro raus. Außerdem fährt er Essen für Lieferando aus. 450 Euro bekommt er dafür, dass er bei Wind und Wetter um die 50 Kilometer am Tag auf dem Rad strampeln muss. Den Job habe er begonnen, als er während Corona in Kurzarbeit geschickt wurde. Damals arbeitete er noch als Kellner und merkte schnell, dass das Kurzarbeitergeld in München hinten und vorne nicht reicht, wenn das Trinkgeld fehlt.

"Ich arbeite 43 Stunden die Woche und es bleibt trotzdem nichts übrig"

Inzwischen finanziert er sich von dem Nebenjob ein Fernstudium. "Ich arbeite 43 Stunden die Woche und es bleibt trotzdem nichts übrig. Das fühlt sich einfach nicht fair an", sagt er. Als Kurier verdient er elf Euro zuzüglich einer Kilometerpauschale.

Ab Herbst könnte Sascha etwas mehr Geld zur Verfügung haben. Dann soll der Mindestlohn von 9,82 Euro auf zwölf Euro angehoben werden. Davon haben auch Minijobber wie Sascha etwas. Ihre Verdienstgrenze soll von 450 auf 520 Euro steigen. Alleine in München leben 70.000 Menschen, die neben ihrem Hauptberuf einem Nebenjob nachgehen.

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Insgesamt sollen laut SPD von der Mindestlohnerhöhung 90.000 Münchner profitieren. Das ist etwa jeder Zehnte, der in München arbeitet. Darunter sind laut Simone Burger (SPD), der Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München, nicht nur ungelernte Kräfte, sondern auch Friseure, Bäckereifachverkäufer und Floristen, die eine Ausbildung haben.

Der neue Mindestlohn sorgt nur für ein bisschen Entspannung

"Dass der Mindestlohn auf zwölf Euro steigt, ist ein großer Sprung", sagt Burger. Sie habe mit Münchnern gesprochen, die sich freuen, dass sie bald nicht mehr die Supermarkt-Prospekte auf die Angebote hin studieren müssen. Öffentlich darüber reden, wolle keiner, sagt Burger. "Gerade in München ist die Scham, so wenig zu verdienen, groß."

Und wie viel bringt diese Gehaltserhöhung in München, wo ein Kaffee so viel kostet wie in anderen deutschen Städten eine Currywurst, tatsächlich? "Ein Grund zum Klatschen ist der neue Mindestlohn bestimmt nicht", sagt Lieferfahrer Sascha. "Höchstens eine Gelegenheit zum Aufatmen."

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Dass der neue Mindestlohn bei weitem nicht reiche, erzählen ihm auch seine Kollegen, die Vollzeit bei Lieferando arbeiten. Sie würden momentan elf Euro Stundenlohn bekommen, sagt Sascha. Nach der 100. Lieferung komme dazu ein Bonus von einem Euro pro weiterer Fahrt. "Viele spüren so einen Druck, dass sie extra schnell, extra waghalsig fahren, nur um den Bonus zu erreichen." Ständig habe jemand einen Unfall. Sascha ist sicher: "Unter einem Stundenlohn von 15 Euro kommt man in München kaum über die Runden."

Erhöhung des Mindestlohns: Von Arbeitgebern kommt viel Kritik

Das sieht auch der Münchner SPD-Chef Christian Köning so. Auch er hält die Erhöhung des Mindestlohns für einen "Riesenschritt". Doch der nächste müsse folgen, sagt er. Köning rechnet vor: Mit zwölf Euro Mindestlohn verdiene ein Arbeitnehmer um die 1.500 Euro netto. Doch alleine die Miete für eine 60-Quadratmeter-Wohnung sei in München oft 900 Euro teuer. Bleiben 600 Euro übrig. "Eine echte soziale Teilhabe ist davon nicht gegeben", sagt Köning.

Christian Köning (SPD).
Christian Köning (SPD). © Daniel von Loeper

Er fordert deshalb, dass der Mindestlohn für besonders teure Regionen wie München höher ausfallen müsse. 15 Euro schlägt der SPD-Chef für München vor. Bereits 2018 rechnete die Hans-Böckler-Stiftung aus, dass der Mindestlohn in München bei 12,77 Euro liegen müsse. Damals betrug der Mindestlohn 8,84 Euro. Damit sich Menschen eine Existenz in München sichern können, müssten sie 45 Prozent mehr verdienen, stellte die Analyse damals fest.

Auch die Gewerkschaftlerin Burger hält einen höheren Mindestlohn in München für richtig. Doch vorher müssten erst die zwölf Euro für ganz Deutschland gesichert sein. Denn von Arbeitgebern kommt viel Kritik, sagt sie. Dass der neue Mindestlohn wirklich eingeführt wird, bezweifeln viele seiner Kollegen, sagt Sascha. "Viele haben das Vertrauen in die Politik verloren."

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22 Kommentare
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  • Heinrich H. am 15.03.2022 09:33 Uhr / Bewertung:

    Auf den Kommentar von - Ach so - ganz so unrecht hat - Kritischer Beobachter - nicht, der Staat kassiert sehr viel, meines Erachtens entweder zuviel oder zum Teil von den Falschen. Aber was viel schlimmer ist, der Staat gibt einen teil dieser Steuern, auch total unkontolliert und Sinnfrei in ein Schwarzes Loch und will es nicht bemerken !!!!!!!

  • Heinrich H. am 15.03.2022 09:25 Uhr / Bewertung:

    Egal wer jetzt die Schuld trägt, aber die Wahrheit schaut wohl so aus, unter 4000 EUR N E T T O ist man in München ( und andereren Städten ) ein Armer Mensch !!! Es sollte in ganz Deutschland ein Umdenken stattfinden und nicht zu vergessen, der Staat stiehlt den Bürgern viel zuviel von seinem Sauer verdienten Geld, dann kann das einfach nicht funktionieren !

  • Kritischer Beobachter am 14.03.2022 20:14 Uhr / Bewertung:

    Das Problem ist die Diskrepanz zwischen Brutto und Netto. Bei 12,00 Euro verdient man bei 40 Stundenwoche brutto 2.016 Euro, netto bleiben 1.300 Euro. Den Rest kassiert die Krankenkasse die Rentenversicherung und der Staat für so unnötige Ausgaben wie Panzer für 100 Milliarden!. Solange das so ist und Gehälter unter Euro 3.000 nicht gänzlich von der Steuer- und Sozialversicherungspflicht befreit werden, füllt ein höherer Mindestlohn in erster Linie nur die Sozialkassen und steigert die Steuereinnahmen. Der Arbeitnehmer wird davon nicht besser leben können

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