SPD-Chef fordert 15 Euro Mindestlohn für München
München - Wenn morgen die Waschmaschine kaputt gehen würde, hätte er ein Riesenproblem, sagt Sascha, 33 Jahre alt. Denn am Ende des Monats sei sein Konto leer. Einen Puffer, den er für eine Reparatur oder für einen spontanen Urlaub ausgeben könnte, habe er nicht.
Sascha arbeitet als Hauswirtschafter. Unterm Strich bekomme er 1.400 Euro raus. Außerdem fährt er Essen für Lieferando aus. 450 Euro bekommt er dafür, dass er bei Wind und Wetter um die 50 Kilometer am Tag auf dem Rad strampeln muss. Den Job habe er begonnen, als er während Corona in Kurzarbeit geschickt wurde. Damals arbeitete er noch als Kellner und merkte schnell, dass das Kurzarbeitergeld in München hinten und vorne nicht reicht, wenn das Trinkgeld fehlt.
"Ich arbeite 43 Stunden die Woche und es bleibt trotzdem nichts übrig"
Inzwischen finanziert er sich von dem Nebenjob ein Fernstudium. "Ich arbeite 43 Stunden die Woche und es bleibt trotzdem nichts übrig. Das fühlt sich einfach nicht fair an", sagt er. Als Kurier verdient er elf Euro zuzüglich einer Kilometerpauschale.
Ab Herbst könnte Sascha etwas mehr Geld zur Verfügung haben. Dann soll der Mindestlohn von 9,82 Euro auf zwölf Euro angehoben werden. Davon haben auch Minijobber wie Sascha etwas. Ihre Verdienstgrenze soll von 450 auf 520 Euro steigen. Alleine in München leben 70.000 Menschen, die neben ihrem Hauptberuf einem Nebenjob nachgehen.
Insgesamt sollen laut SPD von der Mindestlohnerhöhung 90.000 Münchner profitieren. Das ist etwa jeder Zehnte, der in München arbeitet. Darunter sind laut Simone Burger (SPD), der Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München, nicht nur ungelernte Kräfte, sondern auch Friseure, Bäckereifachverkäufer und Floristen, die eine Ausbildung haben.
Der neue Mindestlohn sorgt nur für ein bisschen Entspannung
"Dass der Mindestlohn auf zwölf Euro steigt, ist ein großer Sprung", sagt Burger. Sie habe mit Münchnern gesprochen, die sich freuen, dass sie bald nicht mehr die Supermarkt-Prospekte auf die Angebote hin studieren müssen. Öffentlich darüber reden, wolle keiner, sagt Burger. "Gerade in München ist die Scham, so wenig zu verdienen, groß."
Und wie viel bringt diese Gehaltserhöhung in München, wo ein Kaffee so viel kostet wie in anderen deutschen Städten eine Currywurst, tatsächlich? "Ein Grund zum Klatschen ist der neue Mindestlohn bestimmt nicht", sagt Lieferfahrer Sascha. "Höchstens eine Gelegenheit zum Aufatmen."
Dass der neue Mindestlohn bei weitem nicht reiche, erzählen ihm auch seine Kollegen, die Vollzeit bei Lieferando arbeiten. Sie würden momentan elf Euro Stundenlohn bekommen, sagt Sascha. Nach der 100. Lieferung komme dazu ein Bonus von einem Euro pro weiterer Fahrt. "Viele spüren so einen Druck, dass sie extra schnell, extra waghalsig fahren, nur um den Bonus zu erreichen." Ständig habe jemand einen Unfall. Sascha ist sicher: "Unter einem Stundenlohn von 15 Euro kommt man in München kaum über die Runden."
Erhöhung des Mindestlohns: Von Arbeitgebern kommt viel Kritik
Das sieht auch der Münchner SPD-Chef Christian Köning so. Auch er hält die Erhöhung des Mindestlohns für einen "Riesenschritt". Doch der nächste müsse folgen, sagt er. Köning rechnet vor: Mit zwölf Euro Mindestlohn verdiene ein Arbeitnehmer um die 1.500 Euro netto. Doch alleine die Miete für eine 60-Quadratmeter-Wohnung sei in München oft 900 Euro teuer. Bleiben 600 Euro übrig. "Eine echte soziale Teilhabe ist davon nicht gegeben", sagt Köning.

Er fordert deshalb, dass der Mindestlohn für besonders teure Regionen wie München höher ausfallen müsse. 15 Euro schlägt der SPD-Chef für München vor. Bereits 2018 rechnete die Hans-Böckler-Stiftung aus, dass der Mindestlohn in München bei 12,77 Euro liegen müsse. Damals betrug der Mindestlohn 8,84 Euro. Damit sich Menschen eine Existenz in München sichern können, müssten sie 45 Prozent mehr verdienen, stellte die Analyse damals fest.
Auch die Gewerkschaftlerin Burger hält einen höheren Mindestlohn in München für richtig. Doch vorher müssten erst die zwölf Euro für ganz Deutschland gesichert sein. Denn von Arbeitgebern kommt viel Kritik, sagt sie. Dass der neue Mindestlohn wirklich eingeführt wird, bezweifeln viele seiner Kollegen, sagt Sascha. "Viele haben das Vertrauen in die Politik verloren."