SPD-Chef Christian Köning im Interview: "Die Grünen haben auch Probleme"

München - AZ-Interview mit dem neuen SPD-Chef Christian Köning (33) Zuletzt arbeitete er als Sachbearbeiter in der Jugendhilfe. Für sein Stadtratsmandat wurde er beurlaubt. Zudem schreibt er eine Dissertation in Soziologie.
Seit ein paar Wochen hat die Münchner SPD einen neuen Chef: den 33-jährigen Stadtrat Christian Köning. Seine Vorgängerin, die Bundestagsabgeordnete Claudia Tausend verzichtete auf eine Kandidatur.

Die Delegierten wählten Köning mit 56 Prozent der Stimmen zu ihrem neuen Vorsitzenden. Köning steht für einen Aufbruch: Bis zum Sommer stand er den Münchner Jusos vor. Erst seit dieser Legislaturperiode sitzt er im Stadtrat.
Köning: "Es ist wichtig, dass die erfolgreiche Politik der SPD mehr rüberkommt"
Für das Interview mit der AZ trifft er sich in einem Wirtshaus in Neuhausen, wo er mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn lebt. Er erzählt, wie die SPD wieder Wahlen gewinnen will und welche Probleme es mit den Grünen gibt.
AZ: Herr Köning, Sie sind in die SPD eingetreten, als Gerhard Schröder als Kanzler abgewählt wurde. Schämen Sie sich gerade für Ihre Partei, dass einer ihrer berühmtesten Köpfe ein Putin-Freund ist?
CHRISTIAN KÖNING: Gar nicht. Unsere Parteispitze hat sich, was Gerhard Schröder betrifft, klar positioniert und Schröder laut aufgefordert, sich zu distanzieren und seine Ämter bei Gazprom und Rosneft zurückzugeben. Nun wird auch ein Parteiausschluss geprüft. Die Idee der Sozialdemokratie war immer größer als Einzelpersonen. Schröder war für mich nie ein Vorbild. Ich bin in die SPD eingetreten, weil es damals keine Mehrheit für eine Regierung links der Mitte mehr gab.
Auch in München besetzt nicht mehr die SPD, sondern Grün die meisten Sitze im Stadtrat. Wie wollen Sie das als neuer SPD-Chef ändern?
Es ist wichtig, dass die erfolgreiche Politik der SPD mehr rüberkommt. In der Politik bezeichnet man das als "Kampagnenfähigkeit”. Deshalb werden wir zum Beispiel jetzt am Equal Pay Day und dem Internationalen Frauentag Postkarten verteilen, um darauf aufmerksam zu machen, dass jetzt durch die SPD der Mindestlohn erhöht wird. Davon profitieren über 90.000 Menschen in München und Umgebung.
Köning: "Wir müssen auch das Thema Energiearmut angehen"
Kann es nicht auch sein, dass sich die Münchner fragen, warum sie die SPD wählen sollten, wenn die seit Jahrzehnten regiert und die Mieten trotzdem explodieren?
Es gibt Grenzen, was Städte tun können. Aber hier in München gibt es keine Stadtviertel, die deutlich abgewertet sind. Ich wohne in der Nähe der Nibelungenstraße. Da stehen auf der einen Seite Sozialwohnungen und auf der anderen Seite Villen. Diese Durchmischung ist einzigartig in Deutschland. Die Stadt funktioniert - wirtschaftlich, sozial und ökologisch. Auch bei der Sicherheit zum Beispiel. Natürlich gibt es beim bezahlbaren Wohnen noch viel zu tun, da packen wir auch weiter an.
Was will die SPD tun?
Wir gründen jetzt zum Beispiel das Azubi-Werk. Während die CSU beim Studentenwerk 1.000 Wohnheimplätze leer stehenlässt, ist unser Ziel, bis 2026 1.000 Wohnungen für junge Auszubildende zu schaffen. Da hat uns die Opposition vorgeworfen, dass das nicht zu schaffen sei. Aber ohne ambitionierte Ziele geht es nicht. Auch beim Seniorenwohnen ist einiges auf den Weg gebracht. Wir müssen auch das Thema Energiearmut angehen. Wir haben da schon Zuschüsse umgesetzt, aber die müssen wir weiter ausbauen. Auch die städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen im Norden und im Nordosten müssen wir zügig auf den Weg bringen.
Köning: "Politik ist keine Telefonauskunft. Die SPD ist vor Ort"
Es hieß, mit Ihnen vollzieht die Münchner SPD einen Generationenwechsel. Was bedeutet das konkret?
Ich würde von einem Generationenübergang sprechen. Wir wollen noch mehr Vorort-Kampagnen machen, die Politik an die Haustüren bringen und zeigen, dass Politik nicht irgendetwas Abgehobenes ist, sondern sehr schnell Einfluss auf das Leben der Menschen nehmen kann.
Die junge Grünen-Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer informiert über ein Bürgertelefon. Haben Sie das auch vor?
Politik ist keine Telefonauskunft. Egal, ob man zum Telefon greifen oder eine E-Mail schreiben muss, ist das doch eine Hürde. Wir wollen zeigen, dass die SPD vor Ort ist wie keine andere Partei und sich auch an Münchner wendet, die sich von der Politik nichts mehr erwarten. Es ist mir wichtig, dass das Ganze nicht auf eine Person fokussiert ist, sondern die ganze Partei mitgenommen wird. Deshalb wollen wir zum Beispiel Bürgerfeste veranstalten und dort mit den Leuten ins Gespräch kommen.
Sie sind Vater eines Kleinkindes. Wird mit Ihnen die SPD auch familienfreundlicher?
Auf jeden Fall. Früher haben manche Sitzungen bis nach 22 Uhr gedauert. Da braucht es eine Beschränkung. Außerdem sind die Sitzungen noch immer sehr ritualhaft. Da gibt es viele Berichte und viele reden bloß, damit die Luft scheppert und weil sie sich selbst so gern reden hören. Ich glaube, dass das viele abstößt. Insgesamt müssen sich aber alle Parteien fragen, warum die Mitglieder weniger werden.
"Die Grünen können nicht mehr lange jeden Konflikt mit Puderzucker bestreuen"
Außer die Grünen.
Aber das heißt nicht, dass die keine Probleme haben. Ich möchte den Grünen nicht zu nahe treten, aber ich glaube, dass die nicht mehr lange jeden Konflikt mit Puderzucker bestreuen können.
Was meinen Sie?
Ich finde es sehr spannend, wie Grüne, die aus einer Friedensbewegung entstanden sind, jetzt zu denen gehören, die am schnellsten für Aufrüstung eintreten.
Und hier in der Stadt?
Hier ist es spannend, wie die Grünen meinen, auf der einen Seite für Start-ups und eine irgendwie vermeintlich moderne Form von Wirtschaft zu sein, aber sich gegen Industriearbeit in München positionieren. Und auf der anderen Seite von sich behaupten, sie seien sozial.
Köning: Zum Tunnel im Englischen Garten steht nichts im Koalitionsvertrag"
Ist es grün, einen Tunnel zu bauen, um den Englischen Garten wieder zu vereinigen?
Das müssen Sie die Grünen fragen. Die Grünen vertreten oft die Auffassung, dass jeder Tunnel zu mehr Verkehr führt. Das sehe ich nicht so. Allerdings sollte doch vor allem jeder eingesetzte Euro den Menschen zu Gute kommen. Und es gibt Straßen, da leiden die Menschen viel mehr unter dem Lärm und dem Verkehr als am Englischen Garten. Deshalb sollte primär der Tunnel im Münchner Norden weitergeplant werden und etwas für den Lärmschutz an der Landshuter Allee getan werden.
Eigentlich haben sich Grüne und SPD von den Tunneln verabschiedet. Droht Streit?
Das bleibt abzuwarten. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir im Münchner Norden einen anderen Verlauf finden, als den der unter dem FFH-Gebiet (einem Naturschutzgebiet, d. Red.) verläuft. Zum Tunnel im Englischen Garten steht gar nichts im Koalitionsvertrag. Ich finde den aber auch weniger relevant. Planungen können zwar erfolgen, weil es dafür auch Geld vom Freistaat gibt. Vor 2026 wird der Bau aber nicht umgesetzt. Und dann ist die spannende Frage, wie viel der Tunnel kostet.
Sucht sich die SPD andere Mehrheiten, wenn die Grünen gegen die Tunnel sind?
Wir sind eine Koalition, und da werden wir gemeinsam einen Kompromiss finden. Ich bin da zuversichtlich. Auch dafür, dass am Ende ein Tunnel für die Verkehrsentlastung im Münchner Norden gebaut wird.
Köning: "Wahlkampf ist Aufgabe der Partei"
Als SPD-Chef müssen sie auch die Kommunalwahl 2026 vorbereiten. Wer wird der Kandidat der SPD?
Das entscheidet die SPD nach der Landtagswahl.
Wäre die Dritte Bürgermeisterin Verena Dietl geeignet?
Ja, natürlich. Sie ist sehr gut als Bürgermeisterin angekommen und macht erfolgreiche Politik für die SPD. Aber 2026 ist noch sehr weit weg. Es ist nicht sinnvoll, bis dahin einen Dauerwahlkampf zu veranstalten.
Würden Sie sich bei Wahlen mehr Unterstützung von dem OB wünschen? Der macht ja nicht gerade häufig Werbung für die SPD.
Der Oberbürgermeister regiert diese Stadt. Das macht er sehr, sehr gut und das ist keine Kleinigkeit. Wahlkampf ist Aufgabe der Partei. Ich finde es eher spannend, wie sich andere gerade für eventuelle Oberbürgermeisterkandidaturen warmlaufen. Da kann man sich fragen, ob sie ihre Hausaufgaben machen und ihre Ämter wirklich ausfüllen.
Köning: "Stadtrat kann auf Dauer kein Ehrenamt bleiben"
Wen meinen Sie da konkret?
Ich habe gehört, dass die Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und der Wirtschaftsreferent Clemens Baumgärtner Ambitionen haben. Ich halte es aber für wichtig, dass die Leute, die die Stadt regieren, das gut machen, bevor sie an einen Wahlkampf im Jahr 2026 denken.
Sie haben selbst auch zwei Ämter Stadtrat und Parteichef. Beides sind Ehrenämter. Sollte man das professionalisieren?
Münchner Stadtrat zu sein, kann angesichts des Wachstums der Stadt, der vielen und immer komplexeren Aufgaben und dem Stress auf Dauer kein reines Ehrenamt mehr sein. Ich bewundere die Stadträte, die es schaffen, parallel dazu in Vollzeit einem Beruf nachzugehen. Zu den Aufgaben eines Stadtrats gehört schließlich auch, auf Empfänge zu gehen, den Oberbürgermeister zu vertreten, mit Vereinen Kontakt zu halten. Der OB will sich mit der Forderung, das Amt zu professionalisieren, an den Ministerpräsidenten wenden. Was dann passiert, hängt von ihm ab.