Sparkassenfiliale will nur noch Studenten bedienen: "Ich finde das altenfeindlich"

München - Wer dieser Tage die Filiale der Stadtsparkasse an der Barer Straße besucht, der spürt so einige Emotionen, eine Mischung aus Angst, Verzweiflung, Ärger. Die Kunden – viele von ihnen Senioren aus dem Univiertel – machen sich Sorgen, manche sind wütend. Denn die Niederlassung schließt zum 16. Dezember und wird umgebaut, zu einer Art Studentenfiliale. Schwerpunkt Beratung, Wiedereröffnung: irgendwann im Januar.
Viele Stammkunden im höheren Alter haben hier Schließfächer, wie etwa der Münchner Franz Gerstner (83). Er wohnt vis-à-vis der Sparkasse, ein Stammkunde seit 1986. Er stellte zuletzt viele Fragen in seiner Filiale, bekam aber wenige Antworten. Die Mitarbeiter wirkten angespannt. "Wie läuft der Betrieb hier später weiter?", wollte Gerstner wissen. Der Mitarbeiter habe recht ungehalten reagiert: "Das kann ich Ihnen nicht sagen. Beschweren Sie sich am besten schriftlich beim Vorstand, Herrn Fleischer", sagte man ihm, so Gerstner.
Nach Fragen über Zukunft der Sparkasse – Gerstner bekommt entnervte Antworten
Auch auf die Fragen, ob das künftig ein reines Büro mit Terminvergabe werde oder warum der Kunde nur knapp einen Monat vor der Schließung erst mündlich, kurz darauf schriftlich erfährt, bekommt er entnervte Antworten mit Hinweis auf die Beschwerde beim Sparkassenvorstand – was absurd ist, weil sich Kunden in der Regel nicht direkt beim Vorstand beschweren.
Gerstner kann es immer noch nicht so recht glauben. Vom großen Filialsterben aller Banken in Zeiten des Internets weiß natürlich auch er. Aber zumindest so zentral in der Stadt hätte er nicht damit gerechnet, "dass die Sparkasse mal auf eine gut besuchte Zweigstelle verzichtet", hier an der Ecke Barer Straße und Schellingstraße.
Schließfach von Gerstner wird nach 36 Jahren verlegt
Erst vor Kurzem, am 21. November, bekam Gerstner die schriftliche Info. In dem Schreiben steht, dass er ab 9. Januar 2023 in die Ungererstraße 75 fahren müsse, um sein Schließfach aufzusuchen, das er seit 1986 in der Barer Straße hat. Noch. Denn die Safe-Anlage der Barer Straße werde dorthin verlegt, in den ersten Stock. Das Infoschreiben der Sparkasse beginnt euphorisch: "Für unsere Filiale Barer-/Schellingstraße haben wir große Pläne: Wir möchten dort Münchens erste Filiale für Studierende eröffnen und bauen sie deshalb um." Mit zwei Sätzen also beendet die Stadtsparkasse ein 35-jähriges Kundenverhältnis. "Ich finde das altenfeindlich", sagt Gerstner. Für sehr viele Senioren seiner Generation ist es schließlich wichtig, ihre Kontobewegungen am Schalter mithilfe von echten Menschen erledigen zu können – und zwar am besten gleich in der Nähe. Online-Banking ist für viele Senioren ein undurchschaubares Geflecht.
Viele von ihnen können mit dem Internet gar nicht oder nicht so souverän umgehen, dass sie sich trauen würden, Überweisungen, Daueraufträge und Kontoauszüge digital abzurufen oder zu veranlassen. Die Angst vor Betrug und Trickdiebstahl surft da ständig mit. Franz Gerstner sagt, er kann mit dem Internet zwar umgehen. Aber: "Ich möchte mich nicht dem Online-Banking ausliefern", sagt er. Die Erfahrung mit dem kürzlichen Tod seines Partners, der ein reines Online-Konto geführt habe, bestärkt ihn. "Ich hatte überhaupt keinen Zugriff auf sein Onlinekonto, alles war gesperrt, es liefen Mahnungen bei mir ein", erzählt Gerstner.
Umbau der Sparkasse für Gerstner "absurd"
Es sei zeitweise zum Verzweifeln gewesen, als er bis zu 20.000 Euro vom Guthaben seines Partners gebraucht habe, um dessen Bestattung in Österreich zu organisieren. Was wird Gerstner also tun, wenn er nicht mehr über die Straße gehen kann, um seine Bankgeschäfte zu erledigen? Er ist zwar noch mobil und gesund. "Ich brauche keine einzige Tablette." Aber 83 Lebensjahre seien nun mal 83 Lebensjahre. Gerstner sagt: "Nicht jeder Senior in meinem Alter hat so viel Glück wie ich."
Der Umbau der Filiale wirkt auf ihn absurd. "Das ist schon der vierte Umbau der Filiale", sagt er. Zuletzt vor etwa fünf Jahren. "Bald müssen alle älteren Stadtsparkassen-Kunden vier bis fünf Kilometer fahren, wenn sie ihr Schließfach öffnen wollen", sagt Gerstner. Tagesgeschäfte könne man in der Filiale Kurfürstenplatz erledigen. Auch nicht die allernächste Ecke. "Das Geschäft mit den Studenten scheint sich mehr zu lohnen als mit uns Senioren."
Verbot für Senioren wäre einzigartig
Der Verbraucherschutz kann die unklare Lage nicht endgültig einschätzen. Wird ein normaler Filialbetrieb aufrechterhalten und müssten dann Senioren draußen bleiben? In dem Fall wäre die Aufregung groß. Wenn das so wäre, "müsste sich Herr Gerstner eigentlich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden", sagt Sascha Straub, Referatsleiter bei der Verbraucherzentrale Bayern. Ein solches Vorgehen wäre laut Straub einzigartig, nicht nachvollziehbar und könnte sogar gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verstoßen.
Doch die Lage ändere sich, wenn augenscheinlich kein Filialbetrieb mehr herrsche. "Wenn es einer Filialschließung gleichkommt, an die sich eine Eröffnung von etwas ganz anderem anschließt, mag dies unter Umständen zulässig sein", so Straub. Wichtig sei die Frage, ob alle Kunden der Filiale gleichermaßen betroffen seien und nicht nur Senioren.
Sparkasse begründet Umbau mit Veränderung des Kundenverhaltens
Die Stadtsparkasse verteidigt sich. Schon am 15. September sei eine Presseinfo veröffentlicht worden, die auf die Filialschließung an der Barer Straße hinweise. Das Kundenverhalten verändere sich nun mal in digitalen Zeiten, schreibt ein Stadtsparkassen-Sprecher. Darauf reagiere man eben: mit der ersten Studentenfiliale Münchens.
Für Senioren empfiehlt der Sprecher Telefonbanking. Es sei enorm beliebt. 3.000 Kundenanliegen würden täglich telefonisch entgegengenommen. Und: Die Stadtsparkasse habe weiterhin das größte Filialnetz Münchens – mit 47 Standorten. Zudem werde man bald die Öffnungszeiten erweitern. 13 Standorte werde man wieder ganztägig öffnen. Bis einschließlich 16. Dezember sei die Filiale Barer Straße noch regulär geöffnet.
Auch die Pandemie hat dafür gesorgt, dass sich etwas verändert hat. Seit 2020 hat die Stadtsparkasse sieben von 47 Standorten zu reinen Selbstbedienungsfilialen mit Automaten umgewandelt. Das werde so bleiben. 40 Standorte würden im Stadtgebiet im klassischen Filialbetrieb weiterarbeiten.