Sozialwohnungsbau: Münchner Nicht-Mischung

Das Ziel des Rathauses: Sozialwohnungen fair über die ganze Stadt verteilen. Zahlen zeigen, dass das nur schlecht gelingt. Und vor Ort protestieren Nachbarn.
von  Antonia Franz, Constanze Kainz, Aurelie von Blazekovic und Leonie Sontheimer
Sozialpädagogin Katharina Maier in ihrem Büro in Moosach.
Sozialpädagogin Katharina Maier in ihrem Büro in Moosach. © Hussein Elias

München - Katharina Maier kennt sich aus in der Nachbarschaft. Nicht in ihrer eigenen, sondern in der ihres Arbeitsplatzes. Sie arbeitet im Sozialbauprojekt "Wohnen für Alle" in Moosach. Von ihrem Büro im zweiten Stock blickt sie zur einen Seite auf das Dantebad und zur anderen auf den Fußballplatz von SC Amicitia. Dort, inmitten der Moosacher Nachbarschaft, steht seit Anfang 2017 das Wohnhaus von etwa 200 einkommensschwachen Münchnern. Katharina Maier ist als Sozialpädagogin der Stadt von Montag bis Freitag vor Ort. Sie betreut die Bewohner des Hauses und ist für die Anwohner da, die Fragen haben.

Mit den Nachbarn hat es das Projekt nicht immer leicht gehabt

Und da gab es viele. Mit den Nachbarn hatte es das Projekt nicht immer leicht. Der Sozialbau sollte das Vorzeigeobjkt der Stadt werden. Zügig hatte der Stadtrat – allen voran Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) – das Projekt durchgesetzt und wollte schon wenig später mit dem Bau beginnen. Doch den Moosachern ging das zu schnell. Zu Beginn waren hauptsächlich Einzelappartements geplant. Schließlich kam die Stadt den Anwohnern ein Stück entgegen. Sie stimmte zu, mehr Wohnungen für Familien zu bauen.

Zwei Jahre später ist für Katharina Maier immer noch viel zu tun im Dialog zwischen Bewohnern und Anwohnern. "Wir werden beobachtet", sagt die Sozialpädagogin und blickt schmunzelnd durch die große Glasfassade aus ihrem Büro. Vor kurzem kam ein älterer Mann auf sie zu und erzählte, gesehen zu haben, dass die Bewohner sehr oft lüften. "Er hat es nicht direkt ausgesprochen", sagt sie, "aber es war klar, dass er sich Sorgen um verschwendete Gelder der Stadt gemacht hat."
Dabei sei dem Nachbarn nicht bewusst gewesen, dass die Bewohner den Strom selbst bezahlen. Der Staat unterstützt sie lediglich durch einen Mietzuschuss. "Es baut viele Barrieren ab, wenn die Menschen einfach zu uns kommen und fragen."

Deshalb haben Katharina Maier und ihre Kollegen auch von Anfang an den Kontakt zu Nachbarn gesucht. Es gab Infoabende, ein Sommerfest und regelmäßige Angebote zum Dialog. "Immer wenn man in persönlichen Kontakt kommt, werden Ängste abgebaut. Davor dachten viele, dass das hier ein Flüchtlingscamp ist", sagt Maier.

Sozialwohnungen findet man vor allem am Stadtrand

Dabei stellt das "Wohnen für Alle"-Projekt für verschiedene Gruppen ein Zuhause dar. 51 Prozent der Bewohner sind Geflüchtete. Die andere Hälfte Geringverdiener, Studenten und Lehrlinge, die von der Stadt und der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Gewofag ausgewählt wurden.

Doch die Chance, ausgewählt zu werden, ist gering. Nur 3.829 Sozialwohnungen hat die Stadt im vergangenen Jahr neu vergeben. Dabei warteten Ende Januar 17.406 Haushalte auf eine Sozialwohnung. Sie alle haben einen Wohnungsberechtigungsschein – ein Dokument, das die Stadt Menschen ausstellt, die dauerhaft in Deutschland leben und unter einer festgelegten Einkommensgrenze liegen.

Sozialpädagogin Katharina Maier in ihrem Büro in Moosach.
Sozialpädagogin Katharina Maier in ihrem Büro in Moosach. © Hussein Elias

"Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum ist eines der drängendsten Themen in München", sagt Ingo Trömer vom Planungsreferat.Bis Ende 2019 sollen im "Wohnen für alle"-Projekt rund 3.000 neue Sozialwohnungen entstehen, zusätzlich zum bereits geplanten Wohnungsbau. Die große Frage lautet: Wo sollen Häuser mit Sozialwohnungen entstehen? Bislang befinden sich die Sozialbauten vor allem am Stadtrand. In Milbertshofen/Am Hart liegt der Anteil von Sozialwohnungen an der Gesamtzahl an Wohnungen bei zwölf Prozent, in Trudering-Riem bei 10,5 Prozent. Die Schwanthalerhöhe ist mit einem Anteil von 11,3 Prozent die Ausnahme in zentraler Lage.

Ansonsten finden sich im Stadtzentrum nur wenige Sozialwohnungen. 1,2 Prozent sind es in der Isarvorstadt/Ludwigsvorstadt, 1,3 Prozent in der Maxvorstadt. Nur in wenigen Vierteln ist gelungen, was sich die Stadt unter dem Namen "Münchner Mischung" vorgenommen hat: ein breit gefächertes Wohnungsangebot für unterschiedliche Einkommensgruppen.

Proteste von Nachbarn gibt es auch in Vororten wie Pullach

Häuser wie das in Moosach stellen eine Möglichkeit dar, die Mischung auch in Vierteln zu verbessern, in denen es eigentlich keinen Platz für neue Gebäude mehr gibt. Der Trick: Das Gebäude steht auf Stelzen über einem Parkplatz.
Laut Hans Maier, Direktor des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen (VdW), hat die Vehemenz, mit der die Anwohner sich beklagen, allerdings in den letzten Jahren spürbar zugenommen.

Längst gibt es Proteste nicht mehr nur in der Großstadt. Besonders hitzig waren die Proteste gegen neue Sozialwohnungen in Pullach. In der drittreichsten Gemeinde Deutschlands hat sich im vergangenen Jahr ein Streit um 22 kommunale Wohnungen entfacht. Was als Uneinigkeit im Gemeinderat begann, beschäftigte bald 9.000 Einwohner der Gemeinde. Der Streit wurde immer emotionaler, bis es im Februar zu einem Bürgerentscheid kam: "Soll gebaut werden oder nicht?" Am Ende gewannen die Befürworter der Sozialwohnungen.

In Ramersdorf musste die städtische Wohnungsgesellschaft GWG ein Projekt nach dem Protest von Bürgern abspecken: statt 105 wurden nur 70 Wohnungen gebaut. Weniger Wohnungen zu bauen ist eine Kompromisslösung, die auch die Gewofag an mehreren Standorten gewählt hat.

Warum aber protestieren immer mehr Menschen gegen Sozialwohnungen? Die Sorgen der Gegner sind nach Auskunft der Wohnungsgesellschaften immer die Gleichen: Was passiert mit unseren Grünflächen? Gibt es dann noch genug Parkplätze? Wer wird dort einziehen? Passen die in unsere Nachbarschaft? "Die Verdichtung löst bei vielen Bürgern Stress aus, der sich auch in der Ablehnung von Bauvorhaben und der oft zitierten Haltung 'not in my backyard' bemerkbar macht", sagt Klaus-Michael Dengler, Sprecher der Geschäftsführung der Gewofag.

Die Stadt versucht es jetzt mit einer offensiven Strategie

Das Phänomen "Not in my back-yard", übersetzt "nicht in meinem Hinterhof", lässt sich bei Bauvorhaben immer öfter beobachten. Sicher, es braucht neuen Wohnraum, aber bitte nicht bei mir gegenüber.
"Wir erleben leider immer wieder, dass Bürger versuchen, ihr Eigeninteresse unter dem Deckmantel des Gemeinwohls durchzusetzen", sagt Dengler.

Den Vorurteilen und Bedenken der Anwohner begegnet die Stadt mittlerweile mit einer Strategie offensiver Kommunikation: mit Informationsveranstaltungen schon in der Bauphase. Und später mit Sozialpädagogen in den Häusern, die sich auch um den Kontakt zur Nachbarschaft kümmer sollen.

Das ist auch Katharina Maiers Aufgabe in Moosach. An den Wänden ihres Büros hängen zahlreiche Erinnerungen: eine Reihe abgerissener Kinokarten, Fotos mit lachenden Gesichtern, Kalender vollgeschrieben mit Veranstaltungen. Zum großen Teil sind es nicht nur die Erinnerungen der Bewohner, sondern auch von Nachbarn.

Einige von ihnen engagieren sich ehrenamtlich beim Projekt. Sie nehmen Maier und ihren Kollegen damit viel Arbeit ab. "Wir haben großes Glück inmitten eines Wohnviertels zu liegen", sagt Maier. Das ist bei Sozialbauwohnungen nicht selbstverständlich. Oftmals werde außerhalb der Stadt oder in Gewerbegebieten gebaut. Dort gebe es dann zwar weniger Konfliktpotenzial mit Anwohnern, aber eben auch weniger Unterstützung durch Ehrenamtliche.

Das Miteinander der Nachbarschaft hält Katharina Maier für elementar. Nur so können die Bewohner ihrer Meinung nach wirklich ankommen. In ihrem Zuhause. Und das ist in diesem Fall: mitten in Moosach.

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