Sozialreferentin im AZ-Interview: „München kann Integration“
Die Stadt wird heuer bis zu 15 000 Flüchtlinge unterbringen. Sozialreferentin Brigitte Meier über Herausforderungen, alte und neue Probleme und die Stimmungslage.
AZ: Frau Meier, Sie sind in München unter anderem für die Unterbringung von Flüchtlingen zuständig. Ändern die Anschläge von Paris etwas an Ihrer Einstellung zu diesen Menschen?
BRIGITTE MEIER: Die Anschläge in Paris sind ein Akt der Barbarei. Wir trauern und müssen zugleich wehrhaft sein, dürfen aber Terrorismus und die Flüchtlingsthematik auf keinen Fall vermengen.
Schon vorher hat sich der politische Diskurs mehr um Abschottung und Dublin gedreht, als darum, die Menschen zu integrieren, die schon hier sind. Ärgert Sie das?
Ich höre natürlich jeden Tag die Nachrichten – und denke mir meinen Teil. Aber ich reg’ mich nicht mehr auf. Man muss seine Energie jetzt wirklich in die tagtägliche Arbeit stecken. Wir müssen Einrichtungen schaffen, Häuser dafür herbringen, Personal finden und die Integration in Bildung und Arbeit organisieren – das sind die Dinge, auf die wir uns jetzt konzentrieren.
Es war viel davon die Rede, dass „die Stimmung kippt“. Wie empfinden Sie die Situation in München?
Hier ist die Stimmung überall noch sehr, sehr gut. München kann Integration, das haben wir in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen. Migration ist Teil der Stadtgeschichte und Kultur. Wir hatten unlängst eine Informationsveranstaltung in der Hansastraße, die war in einer Dreiviertelstunde vorbei. Das war ein richtiges Highlight. Wir haben extra nachgefragt: Wollen Sie noch irgendetwas wissen? Nix. Das ist natürlich von Standort zu Standort unterschiedlich. Aber insgesamt lässt sich sagen: Die Fragen sind andere als früher.
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Inwiefern?
Am Anfang wollten die Menschen wissen: Warum kommen die Flüchtlinge? Bringen sie Krankheiten mit? Wie viel Geld bekommen sie? Warum müssen die überhaupt kommen? Das war alles noch sehr politisch. Jetzt sind die Fragen praktischer: Könnte man den Zaun nicht dort drüben bauen? Wie ist das mit der Durchfahrt? Die Diskussionen sind unaufgeregter.
Wie ist die Gemütslage der Ehrenamtlichen?
Bei den spontanen Helfern vom Hauptbahnhof gab es mit Einführung der Grenzkontrollen kurzfristig eine gewisse Frustration. Mittlerweile haben sich viele lokale Helferkreise um die Unterkünfte gebildet, wie zum Beispiel in der Karlstraße. Gerade hatten wir einen runden Tisch mit ehren- und hauptamtlichen Helfern, um gemeinsam zu besprechen, wie und wo Helfer aktuell gebraucht und sinnvoll eingesetzt werden können. Beispielsweise, wenn wir neue Einrichtungen aufmachen, insbesondere Leichtbauhallen, werden wir sie noch einmal gezielt um Unterstützung bitten.
Viele Ehrenamtliche vermuten politisches Kalkül dahinter, dass das „Drehkreuz München“ nach der Wiesn nicht mehr in Betrieb genommen worden ist.
Darüber entscheidet der Bund, nicht der Freistaat und nicht die Landeshauptstadt.
Hätte München überhaupt Platz für all die Menschen, die an der bayerisch-österreichischen Grenze stranden?
Nein, die Unterbringungsmöglichkeiten sind nahezu ausgeschöpft. Wir haben im Notfall nur zusätzliche Wärme- und Warte-Kapazitäten, aber nicht über die vorhandenen und geplanten Kapazitäten hinaus ausreichend Schlafplätze. Deshalb werden ja die Wartebereiche Erding und Feldkirchen hochgefahren. Da kann man dann auch übernachten. In München haben wir diese Möglichkeiten derzeit für Tausende von Menschen nicht.
Wie viele Flüchtlinge sind derzeit in der Stadt – und wie viele müssen pro Woche neu aufgenommen werden?
Also: Wir rechnen damit, dass bis Jahresende etwa eine Million Flüchtlinge neu nach Deutschland kommen. Davon muss München 1,5 Prozent aufnehmen. Das wären dann 15 000 Menschen. Derzeit leben in München rund 8700 Flüchtlinge, die dieses Jahr zu uns gekommen sind. Hinzu kommen noch diejenigen aus den vorangegangenen Jahren. Momentan werden uns 479 Menschen pro Woche zugewiesen. Ab Dezember werden es jede Woche 629 sein. Bis Jahresende müssen wir also noch um die 5000 Flüchtlinge unterbringen.
Und wo sollen die alle hin?
In Leichtbauhallen, Gewerbeobjekte, „richtige“ Gemeinschaftsunterkünfte wie die Aschauer Straße, die letzte Woche ans Netz gegangen ist. Wir hoffen, das in den Griff zu bekommen, aber 800 Plätze fehlen noch.
"Dass wir diese Alternative haben, ist ein Segen"
Wie wollen Sie dieses Problem lösen?
Mit einer großen Kraftanstrengung, wir haben noch vier Wochen Zeit. Zum Glück.
Stimmt es, dass es extrem schwer ist, ehemalige Gewerberäume zur Unterbringung von Flüchtlingen anzumieten, weil die Besitzer teils enorme Mieten verlangen?
Im Großen und Ganzen haben wir in dieser Hinsicht ausgezeichnete Erfahrungen gemacht. Aber es gibt Schwarze Schafe. Von denen darf man sich nicht abhängig machen. Man muss sie identifizieren und im Zweifelsfall eben noch eine Leichtbauhalle aufstellen. Dass wir diese Alternative haben, ist ein Segen.
Wie viel Miete zahlt die Stadt für Gewerbeimmobilien, wenn dort Flüchtlinge einziehen?
Die Kollegen im Kommunalreferat orientieren sich an den ortsüblichen Gewerbemieten und daran, was das Bewertungsamt sagt.
Und wer zahlt?
Die Kosten für die direkte Unterbringung bekommen wir vom Bund und Land erstattet. Bei den indirekten Kosten – also den Ausgaben für Organisation, Management, et cetera – ist das anders. Und auch die höheren Standards bei der Betreuung, die die Stadt München anbietet, bekommen wird nicht erstattet. In der Asylsozialarbeit etwa haben wir einen Betreuungsschlüssel von 1:100 und nicht wie andernorts von 1:150. Das müssen wir selbst bezahlen.
Was kostet all das die Stadt?
Im Dezember werden wir mit einer Bekanntgabe darüber in den Stadtrat gehen – und alles offen darlegen.
Schauspielerin Katerina Jacob hat sich darüber empört, dass in ihrem Landkreis Wohnungen an anerkannte Flüchtlinge vermietet werden sollten – vom Landratsamt jedoch wegen angeblich zu steiler Treppen oder vergitterten Fenstern abgelehnt wurden. Kommt so etwas auch in München vor?
Wenn es normaler Wohnraum ist, sollte das eigentlich kein Problem sein. Wir bringen anerkannte Flüchtlinge oder unbegleitete Minderjährige auch in Wohnungen unter. Wir haben da schon einiges auf den Weg gebracht – ob es nun Stiftungswohnungen waren oder Wohnungen aus dem Privatbereich. Das ist nicht immer leicht, aber es funktioniert zunehmend besser.
In anderen Bundesländern ist es möglich, nicht anerkannte Flüchtlinge ebenfalls privat aufzunehmen. In Bayern und damit auch in München müssen diese Menschen jedoch in den Gemeinschaftsunterkünften (GU) auf das Ende ihres Asylverfahrens warten. Lässt sich das nicht ändern?
Die Frage ist: Was will man? Bayern will schnelle Verfahren – und Teil eines schnellen Verfahrens ist, dass man sagt: Wer nicht anerkannt ist, soll in der GU bleiben.
Manche Menschen warten 13, 15 oder gar 20 Jahre in solchen Sammelunterkünften.
Letzten Endes ist das eine politische Entscheidung. Um an der Situation etwas zu ändern, müsste man etwas am Zuwanderungsrecht machen.
Wie ist die Zusammenarbeit von Sozialreferat, Regierung von Oberbayern und BAMF?
Mit der Regierung von Oberbayern kooperieren wir sehr gut, mit dem Freistaat, den Hilfsorganisationen und der Bundeswehr auch – und mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge haben wir erfreulicherweise direkt nichts zu tun. Wobei man sagen muss, dass Frank-Jürgen Weise und die neuen Kollegen alles versuchen, diese Organisation in die Gänge zu bringen. Herr Weise hat die Bundesagentur für Arbeit reformiert, da wird er das hoffentlich auch schaffen.
Einige Flüchtlingszelte noch nicht wintertauglich
Wie wollen Sie all die Neubürger in Arbeit bringen?
Wir kooperieren eng mit der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter, um alles dafür vorzubereiten, dass wir die Anerkannten zügig in den Arbeitsmarkt integrieren können. Das wird nicht leicht und es wird wohl länger dauern, als wir uns das wünschen. Wenn diese Integration gelingt, werden die anerkannten Flüchtlinge für München eine ungemeine Bereicherung werden. Die ersten Erfolge sehen wir jetzt schon bei den unbegleiteten Minderjährigen, die hoch motiviert ihre Ausbildungen anfangen.
Stellen die Flüchtlinge auf dem Münchner Arbeitsmarkt eine Konkurrenz dar?
Nein. Die „normalen“ Zuwanderer, die nach München kommen, finden ganz schnell einen Job – und unsere Langzeitarbeitslosen brauchen andere Programme. Erst vor kurzem war ein großes Einzelhandelsunternehmen bei uns, das jährlich in Bayern 800 Arbeitsplätze schafft und bei 15 000 Mitarbeitern eine Fluktuation von 1500 pro Jahr hat. Das heißt: Die haben allein in Bayern einen jährlichen Bedarf an Fachkräften von 2300 Menschen. Der Chef findet aber keine – und sagt deshalb: Ich bin sehr interessiert an Flüchtlingen.
"Darüber würde ich nicht eine Sekunde nachdenken"
Und wie sieht es auf dem Wohnungsmarkt aus?
Am Anfang, wenn die Flüchtlinge kommen, sind sie für niemanden eine Konkurrenz. Sie werden in Flüchtlingsunterkünften untergebracht und befinden sich damit nicht auf dem freien Wohnungsmarkt. Wir schauen uns zudem jedes infrage kommende Objekt auch daraufhin an, ob es nicht auch für Wohnungslose geeignet wäre. Da hat es einen richtigen Schub gegeben. Im zweiten Schritt gehen wir ins System der Sozialwohnungen – das wir erweitern müssen. Und das Dritte, was wir gerade zusammen mit dem Planungsreferat überlegen, sind zusätzliche Unterkunftsarten, etwa in Gewerbegebieten oder im Außenbereich.
Im Netz wird verbreitet, dass den Mietern kommunaler Wohnungen gekündigt wurde, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Gibt es solche Überlegungen auch in München?
Nein. So etwas kommt überhaupt nicht in Frage. Darüber würde ich nicht eine Sekunde nachdenken. Das geht einfach gar nicht. Aus dem Städtetag weiß ich, dass es sich dabei um Ausnahmen handelt. Niemand, der Ahnung hat, denkt ernsthaft über so etwas nach – es sei denn, man will politischen Flurschaden anrichten.
Wie lange lässt sich all das noch stemmen, wenn weiterhin so viele Menschen nach Deutschland fliehen?
Das nächste Jahr kriegen wir, glaube ich, noch hin – wenn wir davon ausgehen, dass 2016 ebenfalls eine Million Menschen nach Deutschland kommen. Die große Unbekannte ist: Wann wirken die Entscheidungen, die jetzt getroffen wurden? Die schnelleren Verfahren, die Rückführungen. All das muss schnell umgesetzt werden, im Interesse aller.