"Sowas gibt es in der Maxvorstadt nicht": Riffraff-Chef erklärt, was Giesing so besonders macht

Obergiesing - Er ist ganz eng mit Giesing und der Sechzger-Fanszene verbunden - und hat beides sieben Jahre lang mit dem Riffraff im ehemaligen Kaffee Giesing an der Tegernseer Landstraße 96 geprägt. An diesem Samstag zum Heimspiel gegen Dynamo Dresden sperrt Wirt Florian Falterer (45) seinen Laden das allerletzte Mal auf. Er mag nicht mehr weitermachen, die Flächen übernimmt der TSV 1860 selbst (AZ berichtete).

Falterer will sich auf sein Café Crönlein am Nockherberg konzentrieren. In der AZ zieht er eine Bilanz seiner Giesinger Jahre.
AZ: Herr Falterer, 2016 war es noch gar nicht lange her, da waren wilde Partys im Puerto Giesing gefeiert worden, dem alten Kaufhaus an der Tegernseer Landstraße, Sie hatten gerade mit dem Watzart einen Giesinger Hinterhof zum Szene-Treff gemacht. Dann kamen Sie mit dem Riffraff. Ist es jetzt, da Sie schließen, endgültig vorbei mit der Szene, wird Giesing nun einfach nur immer noch teurer und langweiliger?
FLORIAN FALTERER: Nein, das würde ich so nicht sehen, obwohl die Freiräume immer enger werden. Man merkt überall die Nachverdichtung. Es drückt ganz schön.
Aber?
Aber ich hätte immer noch den ein oder anderen Giesinger Hinterhof im Blick gehabt. Ich würde auf keinen Fall sagen: Das wars jetzt mit Giesing. Was sehr erfreulich ist: dass sich seit der Rückkehr von Sechzig ins Viertel die Fanszene so verjüngt hat. Ich sehe da sehr viel Potenzial auch für Aktivitäten losgelöst vom Fußball. Insgesamt weht dem ganzen Straßenkulturellen, Subkulturellen in Giesing ein sehr positiver Wind entgegen. Alles sehr erfreulich, auch die ganze Entwicklung rund um unser Ois-Giasing-Straßenfestival.
Als Szene-Gastronom haben Sie das Viertel aber auch interessanter gemacht und letztlich die Mieten mit angeschoben. Oder?
Mei. Ich habe immer mal wieder aus manchen Ecken mit so seltsamen Hipster-Verdächtigungen zu kämpfen.
"Dass Sechzig wieder im Viertel spielt, ist natürlich extrem wichtig"
Was antworten Sie da?
Es stimmt halt einfach nicht, dass es hier nur um Oberflächlichkeiten gehen würde. Ich würde sagen, dass wir und auch die anderen Szeneläden im Viertel nicht schuld sind, dass die Mieten im Viertel steigen. Vielleicht zieht es ja so sogar weniger Klientel neu hierher, die sich dann am Lärm stören könnten. Man muss aber auch einfach sagen, dass die ganzen Genossenschaftsbauten in Richtung Giesinger Bahnhof ein geiles Bollwerk sind gegen die totale Durchgentrifizierung Giesings. Und dass Sechzig wieder im Viertel spielt, ist natürlich extrem wichtig. Weil wir zumindest alle zwei Wochen ein wunderbar breites Bild unserer Bürgerschaft hier im Viertel sehen.

Sie waren selbst Betroffener von Verdrängung, mussten aus Ihrer Wohnung raus, weil eine Zahnarzt-Familie mit Eigenbedarf Wohnungen zusammenlegen wollte, die AZ hat damals berichtet.
Eigentlich haben die geglaubt, das ganze Haus für sich zu brauchen! Eine Kleinfamilie, die von irgendwoher Geld hat, kauft sich ein Mehrfamilienhaus hier im Viertel und meint dann, wie die Axt im Walde auftreten zu können. Heute wohnt da nur noch eine einzige Familie, die vor dem Kauf drin war. Und in so Häusern werden dann Wohnungen möbliert teuer vermietet. Sowas macht das Viertel kaputt.
Wie hat das Ihren Blick auf Giesing verändert?
Es hat mich einfach sehr getroffen. Ich bin hier zwar nicht aufgewachsen, aber habe 20 Jahre hier gewohnt und begreife mich als Giesinger. Ich habe dann auch einfach gar nichts mehr hier gefunden. Aber immerhin habe ich Glück gehabt und wohne weiter in Fahrradnähe.
War der 27. Mai 2018, der Aufstieg der Löwen, der schönste aller Riffraff-Tage?
Das war auf jeden Fall einer der allerbesten.
Beim Löwen-Aufstieg: An Nachttankstellen wurde per Taxi Bier gekauft
Wurde das Riffraff an diesem Tag auch leergesoffen, Bier alle, wie in vielen Giesinger Kneipen?
(überlegt) Ich glaube, wir konnten es mit Taxifahrten zu irgendwelchen Nachttankstellen lösen und hatten dann weiter Bier.
Was hat diesen Tag auch am Riffraff so besonders gemacht?
Es ist ja eh schon so, dass hier am Spieltag die Luft bitzelt, aber da hast einfach gar nichts mehr gesehen vor Funkenflug. Es war einfach nur geil, da kriege ich gleich wieder Schnappatmung. Ich habe selten so eine emotionale Stimmung im Viertel erlebt. Wir haben Lautsprecher ins Fenster gestellt, die Straße beschallt, es war einfach alles Silvester mal 100. Irgendwann hat sich hier gegenüber ein großer Trupp Polizei mit Helmen aufgestellt, dabei haben wir einfach nur gefeiert. Insgesamt einfach ein wahnsinnig schöner Tag.
Reden wir noch über andere schöne Tage. Sie schwärmen immer sehr vom Ois Giasing. Was hat das so besonders gemacht?
Es ist sehr schön zu beobachten, wie jede Generation das genießt. Da sind ja auch viele Senioren unterwegs, die hier im Viertel aufgewachsen sind. Es ist so eine freudige, freundliche Stimmung. Mit Spenden und Engagement haben wir die Getränkepreise niedrig gehalten. Ich bin sehr dankbar, ein Teil davon gewesen zu sein. Für mein Gefühl ist das alles nur hier in diesem Viertel möglich. Ich sehe kein "Ois Maxvorstadt". Hier in Giesing habe ich ja auch draußen mit dem Riffraff-Roadblock der Basskultur gefrönt, eine Lärmbeschwerde hatten wir da nie.

Das Riffraff wird zum Bamboeleo, der EV des TSV 1860 übernimmt. Werden Sie da am Spieltag hingehen - oder tut es doch zu sehr weh, wenn es nicht mehr das Riffraff ist?
Ich freue mich schon auch darauf, an Spieltagen endlich mal voll privat im Viertel und im Stadion zu sein. Ich werde ganz bestimmt auch mal im neuen Vereinslokal des EV vorbeischauen, schauen wir mal, was die da draus machen. Ich wünsche dem Verein da alles Gute.
Wie man so hört, finden Sie ein Detail aber richtig schade.
Ja, dass unsere Sticker-Museen an der Eingangstür und im Herren-WC wegkommen. Das ist schade, weil dort ein Abbild der 1860-Stickerkultur der letzten Jahre zu sehen ist. Da verschwindet unwiederbringlich ein historischer Bestandteil Münchens wahrscheinlich lebendigster Subkultur.

"Ich sehe viel Potenzial. Das Viertel ist alles andere als tot!"
Sie haben sich geärgert über Kritik an hohen Bierpreisen. Ist das ein Dilemma, aus dem Wirte junger Kneipen im Jahr 2023 nie rauskommen?
Ich habe zurückgerudert und den Preis wieder gesenkt, auch weil ich konfliktfaul bin. Aber ich finde schon bemerkenswert, wie groß das Unverständnis vieler Leute bei dem Thema ist. Die Mieten steigen, die Einkaufspreise, es ist total schwer, Personal zu finden - und dann will ich denen ja auch nicht nur den Mindestlohn zahlen, für die wird es ja auch teurer im Supermarkt. Ich wollte natürlich bezahlbare Preise anbieten - aber auch niedrigschwellige Kulturangebote machen, möglichst ohne Eintritt, das muss also auch über die Getränke laufen. Kultur im Laden war mir immer wichtig, zum Beispiel mit unseren Oskar-Maria-Graf-Lesungen oder auch iBoard-Game-Nights, Ausstellungen oder Stand-up-Comedy.
Wie wird Gentrifizierung in München weitergehen? An den Stadtrand - irgendwann hippe Bars in Ramersdorf und Aubing?
Wer weiß, was in zehn oder 15 Jahren ist? Wenn irgendwo ein Stüberl lange leer steht oder eine Kellerkneipe, wo nicht mit Anwohnerärger zu rechnen ist - und vielleicht sogar noch Mieten sinken - könnte sein!
Was macht Hoffnung für die Zukunft Giesings?
Der Ausbau vom Stadion, von dem ich jetzt einfach mal ausgehe. Der trägt ganz sicher zur Vielfalt bei. Unser Ois Giasing, zu dem künftig noch mehr Akteure beitragen werden, so dass wir eine noch größere Vielfalt abbilden können. Hoffnung macht mir auch, dass die Stadt selbst Grundstücke bebaut. Und der sehr agile Nachwuchs: Hier stromern viele Jugendliche rum, die im Viertel aufwachsen, sich mit Sechzig verbandeln, einen frischen Wind bringen. Ich sehe viel Potenzial. Das Viertel ist alles andere als tot!

Ihr ausgefallenster Riffraff-Moment?
Vielleicht ein Abend ziemlich am Anfang, wir hatten eine Weihnachtslesung geplant mit dem Rosenheim-Cop Dieter Fischer und der wunderbaren Maria Hafner. Der Abend begann als Desaster, es war genau gar niemand gekommen. Dann kamen doch noch vier Leute, junge Ultras, die einfach nur schnell ein Weißbier trinken wollten. Der Fischer hat sie dann verhaftet, da zu bleiben, und sie haben sich das andächtig in der ersten Reihe angehört.
Riffraff-Chef: "Zum Abschied will ich mich noch mal bei allen bedanken"
An diesem Samstag steht der letzte Riffraff-Abend an.
Die Vorstadt Rockers spielen, ich baue noch mal mein 1860-Watt-Soundsystem auf. Es haben sich sehr viele Leute angekündigt. Zum Abschied will ich mich noch mal bei allen bedanken, beim Bud-Spencer-Chor, den aktiven Fans von Sechzig München, ohne die es das Riffraff so nicht gegeben hätte, der Graffitiszene der Stadt, allen Mitwirkenden, bei meinen guten Nachbarn vom Alt-Giesing, vom Grünspitz und vom Kastaniengarten. Und es wird sicher die ein oder andere Träne fließen - aber noch mehr Rüscherl.
Florian Falterer, Sie können nicht mehr in Giesing wohnen, haben der AZ mal gesagt: Jetzt reichts mir mit München! Warum reicht es am Ende dann eigentlich doch immer nicht?
Die nahen Berge, die vielen Freundschaften und irgendwie ist es dann streckenweise halt doch eine sehr charmante Stadt. Das Crönlein macht mir wahnsinnig Spaß. Zum Wohnen hatte ich mich schon im Souterrain im Gewerbegebiet gesehen. Da habe ich noch mal total Glück gehabt. Ja, am Ende reichts mir mit München dann irgendwie doch immer nicht, ist ja schließlich blau.