Sonnenstraße: Aufstand gegen Disco-Meile
„Es ist schlimm, seit die Clubs hier sind“, klagen die Nachbarn. Was die Stadt sagt – und was ein Betreiber.
In der Schwanthalerstraße 1 beginnt das Jahr 2012 mit einer eingetretenen Eingangstür. Am 2. Januar hat jemand die Lampen im Hauseingang kaputt geschlagen. Am 3. liegt da eine Urinlache, am 4. Erbrochenes. Am 5. Januar sind es Dreck und Kippen, am 6. wieder die Urinlache. So geht das weiter. Tag für Tag. Bis heute. Nur ganz selten hat Hausmeister Franz P. in seinem Kalender „nur Dreck“ oder „O.K.“ notiert. Ansonsten steht da meist: „Pisse, Kotze, Dreck“. Seine Liste – ein Tagebuch des Ekels. Und Alltag für die Hausbewohner.
Schuld daran sind die benachbarten Bars und Clubs, sagen sie. Das Haus liegt an der Ecke zur Schwanthalerstraße. Gleich gegenüber: Eine Shisha-Kneipe, daneben das „X-Cess“ und der Elektro-Club „Harry Klein“. Dazu ein paar Häuser weiter in Richtung Sendlinger Tor unter anderem die „Milchbar“. An dieser Ecke ist jeden Abend Party. Und am Ende landen die Bierleichen vor ihrer Tür, klagen die Menschen aus dem Haus. Franz P.: „Es ist schlimm, seit die Clubs da sind.“
Jeden Tag litten sie unter dem Lärm: „Es ist täglich lauter als zur Wiesn-Zeit“, sagt Klaus-Peter N. Wie alle anderen Bewohner will er nicht mit vollem Namen in der Zeitung erscheinen – aus Angst, dass Betrunkene ihn jede Nacht rausklingeln. Raucher zum Beispiel: „Sie stehen vor dem X-Cess und ziehen andere an, die vorbeigehen – die denken ja: Da ist was los, da gehen wir hin.“ Bis 7 Uhr stünden sie da. „Sie schreien und singen die ganze Nacht“, klagt Peter H. Dazu komme die Musik. Klaus-Peter N.: „Am schlimmsten ist es, wenn Gäste, etwa vom Harry Klein, in den Club gehen und die Tür aufgeht. Es wummert dann richtig gegen die Fensterscheiben.“
Schlimm sei auch der Gestank: „Jeden Morgen stinkt es hier nach Urin“, sagt Ilse B. „Die Türen sind schon ganz verrostet.“ Auch Randale gebe es regelmäßig: Viele Anwohner klagen, dass ihre Fahrräder regelmäßig kaputt getreten werden. Der Chef der „Rasiererentrale Jode“ im Erdgeschoss erzählt, dass Partygänger immer wieder Flaschen gegen sein Schaufenster werfen. „Beim Fashion Outlet nebenan war sie schon dreimal kaputt.“ Für Helvi M. sind die Schnapsleichen das größte Problem: „Ich muss oft zur Frühschicht raus“, sagt die junge Frau. „Aber es lungern oder schlafen ständig Besoffene im Hauseingang herum. Ich fühle mich bedroht.“
Die Stadt reagierte schon im Oktober auf die Klagen: Das Referat für Gesundheit und Umwelt führte bei Peter H. eine Lärmmessung durch. „Wenn die Türen geöffnet waren, waren Geräusche zu hören“, sagt die Sprecherin des Kreisverwaltungsrats (KVR), Daniela Schlegel. „Ansonsten war der Straßenverkehr lauter als die Discotheken.“ Bisher habe man keine Verstöße gegen die Gaststättenauflagen festgestellt.
Nichtsdestotrotz sah sich das KVR zum Handeln genötigt. Ende Oktober trafen sich Vertreter der Stadt mit den Betreibern der Milchbar, des X-Cess und des Harry Klein vor Ort, sagt Schlegel. „Dabei wurden Maßnahmen zur Lärmminderung besprochen“. Um den Hall zu mindern, wird der Zugang zur Passage, in der das X-Cess und das Harry Klein sind, verkleinert – später soll dort auch ein „schallisolierendes Tor“ eingesetzt werden. Die Betreiber sollen auch mehr Sicherheitspersonal einsetzen.
Bislang wurde aber nichts davon umgesetzt. „Die baulichen Maßnahmen werden derzeit geplant“, sagt Schlegel. Das bestätigt David Süß, Chef vom Club „Harry Klein“. Vom ersten Tag an habe man jedoch Kontakt zur direkten Nachbarschaft gesucht und Telefonnummern für Beschwerden weitergegeben, berichtet er. Es sei schwierig, den Müll und die Belästigungen einem Club zuzuordnen. Außerdem gebe es Fast-Food-Lokale in der Gegend. „Den Unsinn kann auch ein Besoffener machen, der aus dem Glockenbachviertel kommt und nirgendwo mehr reingelassen wird.“
Gäste aus dem Harry Klein dürften den Club ohnehin nicht mit Gläsern verlassen, und vor der Tür wachen vier Securities über 30 Raucher, berichtet David Süß. „Mehr geht nicht.“ Und: „Ein Harry-Klein-Gast kotzt im Harry Klein – wenn überhaupt.“ Ein Problem sei, dass die Stadtreinigung zuletzt recht früh gekommen sei, nämlich gegen 3 Uhr. Und gefeiert wird in den Clubs mindestens drei Stunden länger. „Da sammelt sich dann wieder was.“ Für Peter H. und die Anwohner ist klar: „Die Stadt tut nichts!“. Der Rentner hat sich einen Anwalt genommen, erwägt eine Klage. Der Lärm mache ihn „kaputt“: „Ich wohne seit 38 Jahren hier und war so glücklich“, sagt der 79-Jährige. „Jetzt bin ich oft so sauer, dass ich mich selbst nicht mehr wiedererkenne.“