Sommerstraßen-Projekt an der Blutenburgstraße in München: Gemütlich geht anders

München - Eine praktische Sache ist das für eilige Autofahrer: An der Nymphenburger Straße in Neuhausen, vom Rotkreuzplatz kommend, nicht brav vor der Ampel warten, um rechts auf den Mittleren Ring einzubiegen.
Sondern fix vor der Ampel diagonal kreuzen – durch die kleine Blutenburgstraße, die hier nur gut 160 Meter lang ist und über Kopfsteinpflaster ebenfalls auf die Landshuter Allee führt.
Verkehrsberuhigung in der Blutenburgstraße: Wem sein Auto lieb ist, der muss Slalom fahren
Aber in diesen Wochen? Ist das schnelle Durchrumpeln durch die kleine Wohnstraße mal massiv erschwert. Zwischen dem Coffeeshop und der Hawaii-Bar Maui verengen zwei blumenbepflanzte Betontröge die Einfahrt. Zwei blaue Schilder signalisieren "verkehrsberuhigter Bereich".
Und rot-weiße Warnpfeile weisen auf die Notwendigkeit hin, zwischen den Gründerzeit- und 60er-Jahre-Häusern besser Slalom zu fahren, wenn einem sein Lack lieb ist. Weil noch ein Dutzend mehr Pflanztröge in die Straße hineingestellt sind.
Autofahrer schimpfen über das Sommerstraßen-Projekt in der Blutenburgstraße
Wofür das gut sein soll, erklärt ein gelbes Plakat des Mobilitätsreferats: Die Blutenburgstraße ist gerade temporäre "Sommerstraße". Eine von neun in diesem Sommer, in denen die Stadt die Verkehrswende mit weniger Parkplatzflächen und dafür mehr Grün und Freiraum für Menschen erproben will – und daraus Erkenntnisse gewinnen möchte.
Aber nicht jedem springt dieser Text gleich ins Auge. Was denn das jetzt wieder für ein "Sch..." sei, bellt an diesem Montagmittag ein missgelaunter SUV-Fahrer aus dem offenen Fenster, kurbelt am Lenkrad und hat erkennbar wenig Freude am entschleunigten Fahren.

Test-Objekt Blutenburgstraße in München: Auch der Wegfall von Parkplätzen sorgt für Frust
Zum Slalomfahren kommt nämlich dazu, dass 17 von rund 55 Parkplätzen per Halteverbotsschild gestrichen sind. Zugunsten der Pflanztröge und Gitterstühle, die sie flankieren, damit Anwohner sich auf einen Ratsch mit Nachbarn niederlassen.
In einem dieser Stühle hat Anna Hanusch Platz genommen, die grüne Stadtviertelbürgermeisterin in Neuhausen. Im Sekundentakt slalomt ein Auto, ein Lieferwagen, ein Kleinlaster an ihr vorbei. Rumpelig laut ist das auf dem Kopfsteinpflaster, stinkig auch, obendrein fehlt Schatten, weil es keinen einzigen Baum auf diesem Straßenstück gibt, abgesehen von den Bäumen ganz vorn an der Kreuzung Nymphenburger Straße.
Anna Hanusch (Grüne) räumt ein: "Hier wird keiner gerne sitzen"
Freilich kennt Anna Hanusch den Frust der Autofahrer und Parkplatzsucherinnen. Mindestens fünf stehen regelwidrig im Parkverbot, ihr Glück, dass die Schandis in diesen Tagen alle Augen zudrücken.
Anna Hanusch hätte ein Sommerstraßen-Projekt auch lieber drüben in der quirligeren Volkartstraße gehabt, in der es mehr Läden, Gastro und Flaneure gibt, aber das habe die Stadt nicht genehmigt. So hat man sich in ihrem Stadtviertelparlament, dem Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg, eben für die Blutenburgstraße entschieden.

Es sei nämlich so, erzählt sie: Eigentlich wünschen sich die Bewohner der 15 Mehrfamilienhäuser in der Straße schon lange eine Einbahnstraßenlösung, die den Abkürzungsschleichweg in Richtung Ring unterbinden würde.
Aber das genehmigt die Stadt nicht – mit rund zehn Metern ist die Straße hier zu breit dafür. "Mit der Sommerstraße haben wir jetzt zumindest eine kleine Verkehrsberuhigung auf Zeit." Wobei sie auch einräumt: "Solange die Straße nicht komplett gesperrt ist und alle weiter durchfahren, wird hier keiner gerne sitzen."
Anna Lena Mühlhäuser (SPD) findet: Eine Sommerstraße wäre woanders besser aufgehoben
Am Eröffnungstag allerdings sei das ganz toll gelaufen, erzählt Anna Lena Mühlhäuser, die für die SPD im Bezirksausschuss sitzt, aber auch Anwohnerin ist. "Da war die Straße fürs Eröffnungsfest komplett gesperrt, auch für parkende Autos. Kinder konnten draußen die Pflastersteine bemalen, Seilhüpfen, Ballspielen."
Und viele Nachbarn seien auf der Blutenburgstraße gesessen und hätten gefeiert. Nur, mit dem jetzigen Durchgangsverkehr gehe das nicht mehr. Insgesamt sei eine Sommerstraße sicher dort besser aufgehoben, wo auch mehr Außengastronomie sei oder Geschäftsleute wären, die beim Aufhübschen der Straße mithelfen.
Auch die Anwohner in der Blutenburgstraße sind skeptisch: "Kompletter Blödsinn"
Läden aber gibt es hier kaum. Grade mal ein Radlgeschäft ist da, ein Makler, eine Schneiderin und das Fotogeschäft Brack. Dort werkelt gerade Fotograf Bastian (41), schaut nach draußen und sagt: "Eine Sommerstraße ist als Idee schon cool. Aber hier? Wer soll denn da spielen oder sitzen wollen?" Wenn schon, dann möge man nächstes Mal ganz absperren. Oder eben eine passendere Straße dafür suchen. Mit mehr Leben, Bäumen, echter Spielfläche.

Noch direkter sagt es die Anwohnerin Daria Sorokina (40), die mit ihren Bulldoggen Karamella und Nutella unterwegs ist: "Das ist kompletter Blödsinn, soll ich wirklich hier meinen Sohn zum Spielen zwischen die fahrenden Autos schicken? Entweder man sperrt so eine Straße ganz, oder man lässt es. Denn so haben wir als Anwohner nichts davon und finden nicht einmal mehr einen Parkplatz."
Das Ärgerlichste an dieser Sommerstraße sei im Übrigen, wie viel Streiterei und Rechthaberei mit ihr in die Blutenburgstraße gekommen sei, erzählt ein Nachbar, der oft zum Rauchen auf die Straße geht und deshalb einiges im Blick hat.

"Es gibt Nachbarn, die spucken Autos an": Situation in der Münchner Sommerstraße eskaliert
"Es gibt da drüben Nachbarn, die stellen absichtlich die Stühle als Wegsperre mitten in die Straße, obwohl Durchfahren erlaubt ist", erzählt er. "Die spucken Autos an und beschimpfen die Fahrer, die haben echt einen Knall." An einem Tag sei nicht einmal ein Rettungswagen durchgekommen, bis die Sanitäterin ausgestiegen sei und die Stühle zur Seite getragen habe.
Noch knapp vier Wochen, bis 29. August, bleibt die Blutenburgstraße Sommerstraße. Was sich nun daraus lernen lässt? Für die Grüne Anna Hanusch ist das mit diesem Projekt ziemlich klar geworden: "Wir sollten hier zehn Bäume pflanzen und dazwischen die Parkplätze schräg statt längs stellen", sagt sie. Damit würde die Fahrbahn enger und das wieder würde eine Einbahnstraßenlösung begründen. "Damit", sagt sie, "hätten wir wirklich mehr Lebensqualität. Ich hoffe, dass das Mobilitätsreferat sich traut, uns das vorzuschlagen."