Sommerferienbeginn in Bayern: AZ-Redakteure holen ihre Zeugnisse aus dem Archiv
München - Am Freitag holen sich die knapp 1,7 Millionen bayerischen Schüler und Schülerinnen ihre Zeugnisse ab und dann geht’s – endlich! – in die Ferien. Auch wenn die großen Überraschungen meistens ausbleiben: Dieser Zeugnis-Tag ist für viele ein Bauchschmerz-Tag – ist immer so gewesen, wird immer so sein.
Da diese Bauchschmerz-Tage für die Autorinnen und Autoren der AZ aber nun lange genug zurückliegen, haben wir recht entspannt für Sie in verstaubten Kisten auf schummerlichtigen Dachböden gekramt (oder einfach ins Regal mit den Ordnern gegriffen) und unsere schönsten, schlimmsten Zeugnisse rausgesucht.
"Logisches Denken noch nicht genügend entwickelt"
"Verträglicher Kamerad" – diese Wendung findet sich heute kaum mehr. Was beweist, dass mein Übertrittszeugnis aus dem Jahr 1976 noch ein echtes Zeugnis unmittelbarer Nachkriegszeit ist. Ich bin ein Fossil. Ansonsten: lebhaft, wenig eifrig, oft nicht logisch. Ja, mei.
Interessant der "flinke Rechner", der meine Eltern veranlasst hatte, mich auf ein mathematisches Gymnasium zu entsenden. Was, wie sich zeigen sollte, ein Fehler war. Rechnen kann ich zwar immer noch sehr gut – aber Mathe? Meine Grundschullehrerin S. meinte am Ende der 4. Klasse zu mir, ich sei fürs Gymnasium "gänzlich ungeeignet". Ich hab’s trotzdem gemacht. Und geschafft. Ohne Ehrenrunde. Thomas Müller
"Ich schreibe dein Zeugnis ungern"
Im Rückblick auf eine unfreiwillig lange und überaus unrühmliche Schulkarriere erscheint mir meine Grundschullehrerin wie ein ganz besonderes Lebewesen. Frau Stolpe, so ihr Name, nahm mir und meinen Mitschülerinnen und Mitschülern nicht nur die Angst vor der Penne, sie unterrichtete uns mit echter Hingabe, um nicht zu sagen: Liebe, vier Jahre lang bis zum Gymnasium. Meine Erinnerungen an sie sind nach wie vor lebhaft und durch die Schulbank positiv - etwas, was ich leider von keinem der zahllosen auf Frau Stolpe folgenden Lehrkräfte sagen kann. Clemens Hagen
"Unterhält sich mit Nachbarn"
Als Vorbereitung auf ein Leben in der Großstadt gibt es kaum etwas Besseres, als schon früh den Dialog mit den Nachbarn zu üben. Wie man aber am Schulnamen (Schulart plus Ortsname) erkennt, wuchs ich in einer Kleinstadt auf. Die innig geliebte Lehrerin Frau J. verstand die Redseligkeit offenbar als etwas Negatives.
Was sie nicht erwähnte: wie rücksichtsvoll ich war. Ich hätte mich ja auch mit den Leuten am anderen Ende des Raums unterhalten können. Wovon die Gespräche handelten, ist mir nicht erinnerlich. Vermutlich etwas wie "Ich habe jetzt ein Polizei-Modellauto" oder "Gestern aß ich zwei Kugeln Schoko-Eis". Kindergespräche halt. Das ist heute natürlich ganz anders. Ich habe längst drei Polizei-Modellautos. Und heute schaffe ich leicht vier Kugeln Eis. Philipp Seidel
"Lea webte mit gutem Erfolg und viel Freude ihren Wandteppich"
Nein, ich bin nicht auf eine Waldorfschule gegangen. Das nur vorweg, denn warum sonst stünde dieser Webteppich als "Leistungsnachweis" im Zeugnis der zweiten Klasse? Inzwischen bin ich sicher: Es war eine Warnung. Wer betrügt (und sei es nur heimlich), der muss das für immer büßen. In schreibmaschinengedruckten, schwarzen Lettern steht es festgeschrieben in einem Dokument.
Hier kann ich’s jetzt ja zugeben: Den Webteppich, den hat meine Oma mit viel Freude gewoben. Man hätte es an den akkuraten Linien (am guten Erfolg) erkennen können. Ich war währenddessen wahrscheinlich spielen. Im darauffolgenden Jahr wurde übrigens getöpfert. Ich machte (selbst!) einen Aschenbecher. In den 90ern durften Kinder das noch. Lea Kramer
"Sollte in Konfliktsituationen besonnener auftreten"
Beurteilungen von Opernaufführungen, Erstlingsromanen und Feinschmeckersuppen sind allesamt subjektiv geprägt – warum sollte also ausgerechnet die Bewertung eines Menschen die Ausnahme sein? Ist sie natürlich nicht. Und trotzdem staune ich immer noch ausgiebig, wenn ich mir die Beurteilungen auf meinen Schulzeugnissen noch einmal durchlese. Innerhalb von drei Zeugnissen – also anderthalb Jahren – wechselte die Interpretation meiner offensichtlich schon im Alter von zehn Jahren recht geformten und seitdem nicht markant veränderten Persönlichkeit mehrmals die Ausrichtung.
Okay, da schrieben auch zwei verschiedene Lehrer. Aber von "vertritt offen und ehrlich ihre Meinung" über "muss in Konfliktsituationen besonnener und zurückhaltender auftreten" zu "tritt sehr sicher auf und vertritt offen ihre kritische Meinung" sind es schon harte Umschwünge. Und unterm Strich bedeutet das natürlich alles: "sollte öfter mal die Klappe halten". Zum Glück bin ich auch – siehe Beurteilung! – auch selbstbewusst, und halte sowas aus. Anja Perkuhn
Zeugnis-Flucht mit Radl
Auweh, heute gibt’s den Giftzettel. Hoffentlich steht nix Schlimmes drin. Wie erklär ich’s der Mama, wenn ich am Mittag heimkomme? Und erst dem Papa, wenn der abends von der Arbeit kommt? Ich könnte einfach eine Brotzeit einpacken, mich auf mein Radl setzen und dann so lange strampeln, bis ich vom Eltern-Radar verschwunden bin. Gedanken wie diese schwirrten mir bis etwa zur achten Klasse jedes Jahr zweimal durch den Kopf. Zwischenzeugnis gab’s ja auch noch.
In Wirklichkeit fiel der Zensur-Zettel nie so giftig aus, wie ich ihn mir vorher schwarzgemalt hatte. Mama: "Reiß dich halt ein bissl mehr zam." Papa: "Jetzt bring halt amal mehr Zweier statt Vierer heim, dann kriegst auch mehr Taschengeld." Und: Mein Fahrrad musste letztendlich auch nie als Fluchtfahrzeug herhalten. Michael Burner
"Feinmotorische Probleme"
Der Eintritt in die Grundschule ist ja schon ein heftiger Einschnitt ins Leben eines Kindes. All die Jahre vorher tut man nichts anderes als Spielen und Basteln. Plötzlich soll man dann stillsitzen, zuhören, konzentriert arbeiten. Laut meines Zeugnisses der ersten Klasse habe ich das aber einigermaßen gut hinbekommen. Geschrieben habe ich schon immer gerne, nur bei der lateinischen Ausgangsschrift hatte ich laut Zeugnis zunächst wohl kleine "feinmotorische Probleme".
Trotzdem hat sich schon die sechsjährige Bettina "mit Begeisterung kleine, phantasievolle Geschichten ausgedacht und aufgeschrieben". Weiter heißt es, dass ich ständig zu Zusatzaufgaben greifen würde, mir jedoch Sorgfalt und Ordnung nicht so wichtig seien. Ich musste eben erst lernen, meine Energie nicht gleich im ersten Schuljahr zu verpulvern! An der Ordnung habe ich dann später gearbeitet und tue es immer noch. Nur dieses übereifrige Arbeiten und das Verlangen nach freiwilligen Zusatzaufgaben habe ich mir dann zumindest fürs weitere Schulleben lieber abgewöhnt. Bettina Funk
Benno wer? Ulrike was?
Nach drei anständigen Vorstellungen in den schriftlichen Abi-Prüfungen nochmal aufraffen. Geschichte-Colloquium. 68er-Bewegung und RAF, mein Spezialgebiet – geschenkt. Ich war mental schon auf der Zielgeraden. Dann kam der Blackout. Benno wer? Ulrike was? Es war klar: Das war keine Sternstunde. Nicht so strebermäßig: erst heulen, dann Klassenbester. Nein, der Bauchkrampf sagte unmissverständlich: Das hast du richtig versemmelt. Während der eine oder andere am Noten-Tag wieder überrascht war über seine 13 Punkte, war ich es über meine sechs. Wow, doch noch okay. Bis jemand mich aufs Kleingedruckte hinwies: "Vierfache Wertung". Sie hatten meine 1,5 Punkte sogar auf zwei aufgerundet. Markus Giese
"Ernsthaft mehr Mühe verwenden"
Mit solch einer Bewertung könnte ich mich problemlos bei einem Start-Up-Unternehmen bewerben, wäre sie nicht in Grundschule entstanden – und das leidige Thema "Schrift" ziemlich relevant gewesen. Durchgängig findet sich der Gegensatz zwischen guten Leistungen und unleserlicher Schrift in allen Schulzeugnissen – woher die Lehrer wussten, dass meine Antworten stimmten, wenn sie angeblich nicht lesbar waren, gab mir schon damals Rätsel auf.
Geschadet hat die Sauklaue trotzdem nicht, schließlich ist das Schreiben zum Beruf geworden. Noch heute ist meine Schrift für ungeübte Augen schwer zu entziffern, hier konnten sich die Lehrer nicht durchsetzen. Meine eigenen Notizen kann ich aber (meistens) lesen. Und die Kommunikation mit der Außenwelt stellt der Drucker sicher. Vincent Suppé
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