Exklusiv

Söder-Regierung hortet finanzielle Mittel für Migranten – Grünen-Politikerin spricht in der AZ von "Verschleppungstaktik"

Dass aus Berlin kein Geld kommt, moniert die CSU ständig. Nun ist es ausgerechnet der Freistaat, der die Kommunen im Stich lässt. Die kommunalen Spitzenverbände haben einen Brandbrief geschrieben.
von  Heidi Geyer
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). © Sven Hoppe/dpa

München - "Man lässt die Kommunen echt alleine. Ich frage mich ernsthaft, wozu ein Gipfel mit dem Bundeskanzler stattfinden soll. Das ist aus Sicht der Länder nicht akzeptabel." Diese Worte sprach Markus Söder (CSU) im April. Seit Monaten singt der bayerische Ministerpräsident das Lied, dass der Bund die Städte und Landkreise beim Thema Migration überfordert und klagt vehement nach mehr Unterstützung.

Ein heikler Vorwurf, denn nach Recherchen der AZ ist es der Freistaat, der einen Teil der Bundesmittel für Migration nicht an die Kommunen weitergibt. Bereits im April 2022 beschloss der Bund, dass alle Bundesländer zusätzliche Mittel erhalten sollen. An Bayern gingen 317 Millionen Euro, davon waren 79 Millionen Euro für Kosten der Unterkunft für Geflüchtete aus der Ukraine vorgesehen.

Eine geflüchtete Frau aus der Ukraine hält in einem Schlafsaal in Augsburg ihr Baby auf dem Arm.
Eine geflüchtete Frau aus der Ukraine hält in einem Schlafsaal in Augsburg ihr Baby auf dem Arm. © Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa

In Baden-Württemberg wurden die Mittel direkt weitergegeben

Ein Jahr lang passierte mit diesen Mitteln: nichts. Der Bayerische Landtag hat erst im April 2023 ein Gesetz verabschiedet, in dem die Auszahlung des Geldes geregelt ist. Zum Ärger der Grünen: Denn die sahen darin eine reine Verzögerungstaktik und zweifelten die Notwendigkeit eines Gesetzes an.

Tatsächlich hat beispielsweise Baden-Württemberg erst gar kein Gesetz zu diesen Mitteln verabschiedet, wie die AZ auf Anfrage erfahren hat. Die Mittel seien bereits "vollständig an die Stadt- und Landkreise auf Basis eines von den kommunalen Landesverbänden mitgeteilten Schlüssels weitergegeben", teilt ein Sprecher aus dem Stuttgarter Sozialministerium mit.

Bayerisches Sozialministerium schweigt zu konkreten Zahlen

In Bayern jedoch bleibt der Freistaat auf den Mitteln sitzen: "Die in 2023 noch unverbrauchten Restmittel werden daher nach einer entsprechenden Mittelübertragung in den nächsten Haushalt zum nächstmöglichen Abrechnungszeitpunkt an die Kommunen ausbezahlt", teilt das bayerische Sozialministerium auf AZ-Anfrage mit. Obwohl die AZ konkrete Zahlen wissen wollte, nennt das Ministerium diese nicht.

Wie schweigsam die Staatsregierung zu diesem Thema ist, hat auch die Grünen-Abgeordnete Claudia Köhler aus Unterhaching feststellen müssen. Sie hat trotz einer parlamentarischen Anfrage keine Antwort mit konkreten Zahlen bekommen. Das geht aus ihrer Sicht gar nicht: "Ich habe mich schon bei der Landtags-Präsidentin beschwert!", sagt sie der AZ.

Von 79 Millionen Euro wurden bislang nur 36 Millionen Euro an die Kommunen überwiesen

Was ist also so heikel an diesen Zahlen, dass sie nicht weitergegeben werden können? Nach AZ-Informationen sollen von den 79 Millionen Euro für die Unterkunft von Ukraine-Flüchtlingen 36 Millionen Euro an die Kommunen überwiesen worden seien, 43 Millionen Euro weiterhin nicht.

Die bayerischen Kommunalen Spitzenverbände sind nicht glücklich darüber, wie der Freistaat derzeit Bundesmittel verteilt. Ihnen geht es jedoch nicht nur um die Kosten der Unterkunft, sondern um das Geld aus mehreren "Töpfen" vom Bund für Bayern. Es soll um 600 Millionen Euro für das Jahr 2023 gehen.

In einem Schreiben an Sozial- und Innenministerium, das der AZ vorliegt, heißt es: "Vor dem Hintergrund, dass allen voran die Kommunen allgemeine flüchtlingsbezogene Ausgaben zu tragen haben, ist hier ein transparentes Verteilungsverfahren der eingehenden Bundesmittel unabdingbar, um diese den Kommunen zeitnah zur Verfügung zu stellen." Trotz des Gesetzes zu den Kosten der Unterkunft (KdU) "sind weiterhin grundsätzliche Fragen zu flüchtlingsbezogenen Mehrkosten der Kommunen ungeklärt."

Im konkreten Fall gehen die Spitzenverbände davon aus, "dass die Restmittel in Höhe von 43 Mio. Euro im Jahr 2023 in voller Höhe zur Verfügung stehen und der Freistaat sich beim Bund dafür einsetzt, dass auch in diesem Jahr die KdU-Ausgaben vollständig erstattet werden."

Über die Verwendung der Mittel dürfen die Länder selbstständig entscheiden

Aber darf der Freistaat diese Mittel überhaupt zweckgebunden einsetzen? In einem Bericht des Bundes heißt es explizit, dass es sich um Umsatzsteuermittel handle, für die seitens des Bundes "rechtlich keine Zweckbindung vorgegeben werden kann". Das klingt erst einmal irritierend, schließlich hatte der Bund sie ja für Unterkunftskosten vorgesehen. "Diese Mittel sind vielmehr von vornherein Landesmittel und den Ländern zur Finanzierung ihrer staatlichen Aufgaben zugewiesen. Über die Verwendung entscheiden die Länder selbstständig und unabhängig." Sprich: Bayern könnte das Geld schon jetzt komplett ausgeben, wie das etwa in Baden-Württemberg der Fall ist.

"Verschleppungstaktik durch Bürokratie, das kennen wir zur Genüge von dieser Staatsregierung", sagt Köhler. Es sei den Behörden in den Landkreisen und Städten und gegenüber Ehrenamtlichen einfach nur unfair. "Sie bemühen sich täglich um gelingende Integration!" Dabei brauchen die Kommunen so dringend auch Unterstützung bei den Verwaltungs- und Personalkosten, so Köhler zur AZ.

Stadt München ist auf finanzielle Unterstützung vom Bund angewiesen

So auch in der Landeshauptstadt München. 5.208.682,27 Euro sind dort vom Freistaat bereits für Unterkunftskosten angekommen. Klingt nach viel Geld, reicht aber laut Sozialreferentin Dorothee Schiwy (SPD) bei weitem nicht aus. "Wir würden uns wünschen, dass der Bund alle Kosten übernimmt, die die Landeshauptstadt für die Unterbringung und Betreuung geflüchteter Menschen aufwendet", so Schiwy zur AZ.

"Auch die Landkreise ringen. Die Unterstützung und das Geld vom Bund werden in den Landkreisen dringend benötigt", sagt Thomas Karmasin. Er ist Landrat in Fürstenfeldbruck und Präsident des Bayerischen Landkreistags.

Auf Anfrage der AZ lässt der Christsoziale – wenig verwunderlich – kein gutes Haar am Bund: "Der Bund hat über Monate alle Hilferufe der Kommunen ungehört verklingen lassen." Das Kritik-Schreiben ans Sozialministerium hat zwar nicht Karmasin unterschrieben, jedoch Andreas Degl, geschäftsführendes Präsidialmitglied im Landkreistag.

"Eine Milliarde Euro für ganz Deutschland ist lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein. Das ist ein dünnes und mageres Ergebnis und für die Kommunen viel zu wenig", sagte Söder im Mai nach einem erneuten Migrationsgipfel des Bundes. Für die bayerischen Kommunen wären 43 Millionen Euro schon ein guter Anfang.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.