So werden Wohnungskäufer abgezockt

Neubauwohnungen zum Kauf, extra für Senioren: Das bietet eine Firma an. Doch hinter diesem Angebot steckt ein Albtraum für die Käufer.
Anja Perkuhn und Christian Pfaffinger |
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Vera Karlsberg zeigt die Wasserschäden im Keller.
Christian Pfaffinger 3 Vera Karlsberg zeigt die Wasserschäden im Keller.
Die Bauruine: Mittlerweile arbeiten andere Firmen daran weiter.
Christian Pfaffinger 3 Die Bauruine: Mittlerweile arbeiten andere Firmen daran weiter.
Meledine Kotorri in dem Zimmer, das längst ihr Wohnzimmer sein sollte.
Christian Pfaffinger 3 Meledine Kotorri in dem Zimmer, das längst ihr Wohnzimmer sein sollte.

München - Gabriele Leyrer wohnt seit Monaten auf neun Quadratmetern, im Kinderzimmer ihrer Enkelin. Ihre Tochter hat sie aufgenommen, anders ging es nicht, denn Gabriele Leyrer, 60 Jahre alt, ist wohnungslos – weil sie sich und ihr Geld einer Baufirma anvertraut hat, die dieses Vertrauen nicht verdient hat.

Sie und sieben weitere ältere Münchner und Münchnerinnen wollten sich von ihren Ersparnissen Wohnungen bauen, in denen sie ihren Ruhestand verbringen können. Nun steht der Rohbau seit über einem Jahr unfertig in Freimann. Die Bauruine ist das Ergebnis einer Abzocke, hinter der ein betrügerisches System steckt. Dessen unangenehme Details finden die Investoren nun nach und nach heraus.

Nein, gut geht es Gabriele Leyrer nicht. „Der Projektleiter hat uns einfach fallenlassen“, sagt sie. Eine hohe sechsstellige Summe habe sie investiert in ihren Traum, wie alle anderen Besitzer auch. „Und in den Wohnungen leben können wir noch lange nicht.“

 

Letztes Jahr sollte das Haus fertig sein. Es ist noch unbewohnbar

 

Das Bauvorhaben in der Kulturheimstraße 2 klang gut: Wohnen für Menschen ab 50, barrierefrei sollte es sein. Acht Wohnungen und eine Arztpraxis sind geplant in dem Haus, das auch noch besonders aussehen soll: mit einer gerundeten Fassade und Dachgärten. Im Dezember 2014 sollte es bezugsfertig sein.

Im Sommer 2014 hörten die Baufirmen auf zu arbeiten. Zuerst hieß es, der Bauleiter sei überfordert. Er arbeite auf zu vielen Baustellen gleichzeitig, sagte Reiner H., der Projektverantwortliche des Bauunternehmens Scout Haus GmbH. Den Bauleiter hatte er selbst empfohlen. Er suchte einen neuen, der aber noch nicht mit den Arbeiten anfing – „wegen der Kälte“, habe er den Käufern gesagt. Anfang dieses Jahres dann erklärte H., Scout Haus habe kein Geld mehr und könne nicht weiterbauen. Auch die Strafe für den Vertragsbruch könne er nicht zahlen.

Lange musste die Gemeinschaft darauf warten, dass H. die Kündigung ihres Bauvertrags annimmt, damit sie eine neue Baufirma beauftragen können. Kürzlich war es nun endlich so weit. Doch das angefangene Haus, in dessen Keller nach einem starken Regen das Wasser wadenhoch steht, wird davon nicht fertig. Einen neuen Bauleiter gibt es inzwischen – zum anfangs vereinbarten Preis kann das Haus nun aber nicht zu Ende gebaut werden. Beispielsweise die Elektrik wird teurer – denn Steckdosen sind zwar schon da, aber Leitungen hat niemand gesetzt.

 

Viele stehen ohne Ersparnisse da – und manche ohne Obdach

 

Ein erstes Gutachten prophezeit bei Wiederaufnahme der Bauarbeiten einige Zehntausend Euro mehr für jeden. Viele stehen jetzt schon ohne Ersparnisse da – oder wie Gabriele Leyrer ohne Obdach. Eine weitere Wohnungsbesitzerin musste aus ihrer bisherigen Mietwohnung ausziehen – und in eine Notunterkunft gehen. „Das ist eine echte Katastrophe“, sagt Meledine Kotorri, eine der Wohnungsbesitzerinnen der Kulturheimstraße.

Kotorri hat Entschlossenheit in der Stimme. Sie ist nicht wie Gabriele Leyrer in einer ausweglosen Situation – sie hat ihre Mietwohnung behalten, deshalb kann sie Stärke für alle zeigen. „Der zockt uns ab und bescheißt uns“, sagt sie. „Das kann man nicht hinnehmen!“

Sie hat allein für die Rohinstallation von Heizung und Sanitär schon 22 000 Euro überwiesen – fertig ist nichts davon. Die Besitzer haben einmal zusammengerechnet: 160 000 Euro haben sie gemeinsam für den Installateur an die Scout Haus GmbH überwiesen, sagen sie. Beim Installateur seien nach dessen Angaben aber nur 60 000 Euro angekommen. Andere Handwerker sagen, sie seien gar nicht bezahlt worden. Wer hat das Geld eingesteckt? Sicher ist: Hier betrügt jemand.

Meledine Kottori hat Strafanzeige gegen den Projektleiter erstattet. Wie andere Käufer auch vermutet sie hinter der Bau-GmbH ein betrügerisches Schneeball-System, in dem neue Baustellen mit Zahlungen von Investoren zuvor angefangener Projekte finanziert werden. „Wir gehen davon aus, dass die Konsorten für sich selbst noch Geld abzweigen“, sagt Kotorri. „Und irgendwann geht so ein System dann nicht mehr auf.“

Mit den „Konsorten“ meint sie Projektleiter H. sowie den Geschäftsführer der Scout Haus GmbH. Inzwischen ist das aber nicht mehr derselbe wie zur Bauzeit. Seit März ist nicht mehr Georg E. – der sich auf Facebook mit Sportwagen zeigt und einen Wohnsitz in der Schweiz angibt – der Geschäftsführer, sondern Ulf Randolf F. Ein Geschäftsmann, der auch einen „FKK und Saunaclub“ in Augsburg betreibt.

Georg E. steht aber weiterhin im Handelsregister – allerdings nicht mehr als Geschäftsführer der Scout Haus, sondern der Scout Estate GmbH. Vor deren Umzug vor kurzem in die Münchner Leopoldstraße war ihr Firmensitz noch eine Adresse im oberpfälzischen Aufhausen – sicher nicht zufällig dieselbe wie bei der Scout Haus GmbH. Bis zum April 2014 war hier auch noch die Scout Bau GmbH zu finden. Diese Hausbau-Gesellschaft ist im vergangenen Oktober als insolvent gemeldet worden.

Und bereits vor einigen Jahren war hier die GW Immobilien GmbH gemeldet. Der Chef laut Handelsregister: Georg E. Auch sie wurde in die Leopoldstraße verlegt und dann offenbar dichtgemacht.

Investoren in der Gräfelfinger Straße haben Ähnliches erlebt

Für ein Schneeballsystem spricht, dass andere Münchner Investoren eine ähnliche Geschichte erlebt haben: Sie haben einen Vertrag mit der Scout Estate über ein Bauprojekt in der Gräfelfinger Straße. Die inzwischen insolvente Scout Bau war dort anfangs auch beteiligt – am Rohbau. Das Haus mit acht Wohnungen sollte im Dezember 2014 fertig sein.

Inzwischen ist die Rede von Oktober 2015. Es wechselten mehrmals die Bauleiter, zwischendurch hörten die Bauarbeiten auf. Um die Jahreswende erwähnten Geschäftsführer E. und Projektleiter H. auch bei diesem Bauprojekt Liquiditätsprobleme .

Einer der Investoren drohte über Anwälte mit Rückabwicklung – was einen großen finanziellen Verlust für die Scout Estate bedeutet hätte. Seitdem läuft es wieder am Bau.

Alle Parteien hoffen nun, dass ihre Häuser noch in diesem Jahr fertig werden – auch das in der Kulturheimstraße. „Wir haben leider Gottes an Scout Haus schon so viel bezahlt“, sagt Meledine Kotorri. „Aber die machen das ja weiter. Also muss man das verbreiten. Für uns ist es zu spät, aber vielleicht hilft es ja anderen.“

Die Büronummern, die Scout Estate und Scout Bau angeben, sind außer Betrieb. Auf Anfragen per Mail für eine Stellungnahme reagiert niemand. Als doch noch ein Kontakt zustande kommt, gibt es keine Auskunft, stattdessen einen Verweis auf einen Anwalt, der sich melden werde. Bis heute ist das nicht geschehen.

Eine Webseite hat das Unternehmen auch, dort sind Neubauten zu sehen. Klickt man auf „Referenzen“, erscheint der Hinweis: „An dieser Seite wird noch gearbeitet“.

Lesen Sie hier: Wohnungsnot: Neue Pläne für Senioren

 

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