So wählt das Oktoberfest

MÜNCHEN - Die CSU verliert ihre absolute Mehrheit, die SPD schrumpft selbst für Bayern-Verhältnisse dramatisch – und nur die FDP darf kräftig jubeln. So sieht es aus, wenn die Wiesn den neuen Landtag wählt. Eine Woche vor der Wahl funktionierte die AZ die 14 Wiesn-Zelte zu Wahl-Lokalen um – und ließ an jeweils zwei Tischen im Mittelschiff abstimmen. Ein letzter großer Stimmungstest.
Um es gleich vorweg zu sagen: Das Ergebnis ist weder repräsentativ, noch kann man die Wahl am Biertisch als geheim bezeichnen. Trotzdem dürfte Ministerpräsident Günther Beckstein angst und bange werden, wenn er die Abstimmung sieht. Nur auf 44,9 Prozent schaffen es die Christsozialen in allen Zelten. Nur in vier Zelten halten sie die absolute Mehrheit. Ein Traumergebnis gibt’s im Schottenhamel mit 76,4 Prozent.
Als großer Gewinner kann sich die FDP fühlen, die mit 19 Prozent sogar ihr Projekt 18 toppt. In der Bräurosl erreicht sie am „Schwulen-Sonntag“ 52,3 Prozent, auch im Käfer sind’s satte 44,4 Prozent.
Grund zum Katzenjammer bei der SPD: Nicht einmal jeder Zehnte will ihr seine Stimme geben (9,2 Prozent). Lediglich das Augustiner bleibt eine rote Bastion. Dort erreicht die Partei 33,3 Prozent – in vier anderen Zelten gibt’s für sie gar keine Stimme. Die Grünen erreichen insgesamt 8,3 Prozent, die Freien Wähler schaffen erstmals die Fünf-Prozent-Hürde.
Interessant auch, wem die Wiesn-Gänger sonst noch gerne ihre Stimme gegeben hätten: Der Finnisch-österreichischen Partei, den Kanaren, der Hendl-Partei – und einer wollte gar Uli Hoeneß wählen.
Julia Lenders und Daniel Aschoff
Und so wählten die einzelnen Zelte: Käfer-Zelt
Wahlzeit: 18 Uhr
Wahlberechtigte: 18
Abgegebene Stimmen: 10
Ungültige Stimmen: 1
Wahlergebnis: 2 Grüne (22,2%), 4 FDP (44,4%), 3 CSU (33,3%)
Wahlverhalten: Eine musikalische Abstimmung. Biergesänge über „Super-Guido“ ertönen während der Wahl am einen Tisch. Dagegen stimmen die Nachbarn inbrünstige Beckstein-Rufe an. Als einer die Linke ankreuzt und den Zettel offen zeigt, muss er sich von seinen Begleitern unfein beschimpfen lassen.
Winzerer Fähndl
Wahlzeit: 20 Uhr
Wahlberechtigte: 24
Abgegebene Stimmen: 19
Ungültige Stimmen: 4
Wahlergebnis: 9 CSU (60,0%) , 1 SPD (6,6%), 2 FDP (13,2%), 1 Die Linke (6,6%), 2 Sonstige (13,,2%).
Wahlverhalten: Die Vereinsmitglieder des FC Bayern, die gerade Platz genommen haben, würden jetzt eigentlich lieber ihre Maß trinken, greifen dann aber doch zu Stift und Zettel. Am Nachbartisch geht die Abstimmung deutlich schneller: „Die Wiesn muss schließlich schwarz bleiben."
Weinzelt
Wahlzeit: 17.30 Uhr
Wahlberechtigte: 19
Abgegebene Stimmen: 13
Ungültige Stimmen: 3
Wahlergebnis: 3 FDP (30,0%), 3 Sonstige (30,0%), 3 CSU (30,0%), 1 SPD (10,0%)
Wahlverhalten: Teils chaotisch. Der eine diktiert seinen Wahlwunsch, weil er sich nicht mehr in der Lage sieht, das Kreuzerl selbst zu machen. Der andere fügt auf dem Stimmzettel eine Extra-Rubrik ein – FC Bayern. Einer stimmt für die Kanaren, seinen steuergünstigeren Wohnort.
Löwenbräu
Wahlzeit: 18.37 Uhr
Wahlberechtigte: 20
Abgegebene Stimmen: 15
Ungültige Stimmen: 1
Wahlergebnis: 4 CSU (28,6%), 3 SPD 21,4%), 4 FDP (28,6%), 3 Grüne (21,4%)
Wahlverhalten: Jetzt ist es so weit. Die Leute reißen uns die Zettel aus der Hand, um bei derWiesn-Wahl mitmachen zu dürfen – sogar die Österreicher. Nur wer gerade mit seinem Hendl beschäftigt ist, hat Besseres zu tun.
Bräurosl (Pschorr)
Wahlzeit: 19.02 Uhr
Wahlberechtigte: 18
Abgegebene Stimmzettel: 23
Ungültige Stimmen: 2
Wahlergebnis: 11 FDP (52,6%), 8 CSU 38,1%), 1 SPD 4,7%), 1 Sonstige (4,7%)
Wahlverhalten: Die Wahlleiterin wird angetanzt und abgebusselt. Diese Ablenkung wird von einigen Wählern hinterrücks genutzt – damit sie gleich mehrere Stimmzettel pro Person ausfüllen können.
Augustiner
Wahlzeit: 19.18 Uhr
Wahlberechtigte: 19
Wahlbeteiligung: 17
Ungültige Stimmen: 2
Wahlergebnis: 5 SPD (33,3%), 3 Linke (20,0%), 2 Grüne (13,3%), 4 CSU (26,6%), 1 FW (6,6%)
Wahlverhalten: „Die Linke? Ist das erlaubt in Bayern?“, fragt einer ungläubig. Eine Frau will nicht mitmachen – bis ihr Mann sagt, sie soll. Dann zeigt er, wo das Kreuz hingehört: zur SPD.
Ochsenbraterei
Wahlzeit: 19.37 Uhr Hippodrom
Wahlberechtigte: 17
Abgegebene Stimmen: 13
Ungültige Stimmen: 4
Wahlergebnis: 3 Grüne (33,3%), 2 SPD (22,2%), 4 CSU (44,4%)
Wahlverhalten: Ja, stimmt – nach ein paar Maß ist äußerst schwierig zu verstehen, wie die AZ-Wahl funktioniert. Und dass man sich für nur eine Partei auf dem Stimmzettel entscheiden soll? Unmöglich! Deswegen kreuzt so mancher im Spatenzelt trotzdem Koalitionen an. Schwarz-Grün zum Beispiel.
Fischer Vroni
Wahlzeit: 20.08 Uhr
Wahlberechtigte: 22
Wahlbeteiligung: 14
Ungültige Stimmen: 1
Wahlergebnis: 4 FDP (30,8%), 1 Linke (7,6%), 6 CSU 46,1%), 1 Sonstige (7,6%), 1 SPD (7,6%)
Wahlverhalten: Jemand will den AZ-Wahlleitern behilflich sein – und beginnt damit, die Zettel im ganzen Zelt auszuteilen. Nur mit einiger Überzeugungskraft bleibt es bei zwei Tischen. Ein älterer Herr macht sein Kreuzerl bei der CSU. Und haut dabei mit der Faust auf den Tisch.
Hofbräuzelt
Wahlzeit: 18.15 Uhr
Wahlberechtigte: 20
Abgegebene Stimmen: 17
Ungültige Stimmen: 0
Wahlergebnis: 6 CSU (35,2%), 2 SPD (11,7%), 3 Grüne (17,6%), 3 FW (17,6%), 1 FDP (5,8%), 2 Sonstige (11,7%)
Wahlverhalten: Am ersten Wahl-Tisch sitzen die Dornacher Goaßlschnoizer bei der dritten Maß – und machen keinen Hehl daraus, dass sie schwarz wählen. Daneben philosophieren Kölner und Münchner über die Zukunft Bayerns.
Armbrustschützen
Wahlzeit: 17.50 Uhr
Wahlberechtigte: 22
Abgegebene Stimmen: 18
Ungültige Stimmen: 2
Wahlergebnis: 10 CSU (62,5%), 2 FW (12,5%), 4 Sonstige (25,0%)
Wahlverhalten: Zwei Wahlzettel landen am Anfang zerknäult am Nachbartisch, ein Kugelschreiber fällt plötzlich in den halb vollen Maßkrug. Am Ende geben die Buam aus Bad Tölz, Düsseldorf und München aber doch noch ihre Stimme ab. Es dauert nur etwas länger.
Schützenhalle
Wahlzeit: 19.15 Uhr
Wahlberechtigte: 20
Abgegebene Stimmen: 19
Ungültige Stimmen: 1
Wahlergebnis: 13 CSU (72,2%), 3 FW (16,6%), 2 Sonstige (11,1%)
Wahlverhalten: Die sechs Mädels aus Wien sind begeistert, dass sie auch mal in Deutschland wählen dürfen: „Bei euch muss man doch die CSU wählen“, fragen sie, scheinbar ahnungslos. Doch dann stimmen sie doch lieber für die Freien Wähler. Man will sich’s ja mit niemandem verderben.
Hippodrom
Wahlzeit: 17.30 Uhr
Wahlberechtigte: 21
Abgegebene Stimmen: 18
Ungültige Stimmen: 3
Wahlergebnis: 5 CSU (33,3%), 2 SPD (13,3%), 2 Grüne (13,3%), 3 FW (20.0%), 1 FDP (6,6%), 1 Die Linke (6,6%), 1 Sonstige (6,6%).
Wahlverhalten: Im Hippodrom sind Freunde aus Hessen und eine Familie aus dem Münsterland zu Gast: „Wenn du die Linken wählst, kriegst du einen Schlag von mir“, ermahnt die Mutter ihren Sohn. Der kreuzt natürlich artig die CSU an.
Hacker-Festzelt
Wahlzeit: 18.50 Uhr
Wahlberechtigte: 33
Abgegebene Stimmen: 29
Ungültige Stimmen: 2
Wahlergebnis: 9 CSU (33,3%), 2 SPD (7,4%), 3 Grüne (17,6%), 8 FDP (29,6%), 2 Die Linke (7,4%), 3 Sonstige (11,1%).
Wahlverhalten: Verführt Hacker-Bier zum Ankreuzen? Als die AZ die Stimmzettel präsentiert, reißen sich gleich drei Tische um die Zettel. Wir verteilen die Stifte und bekommen eine Super-Wahlbeteiligung.
Schottenhammel-Festhalle
Wahlzeit: 18.30 Uhr
Wahlberechtigte: 21
Abgegebene Stimmen: 18
Ungültige Stimmen: 1
Wahlergebnis: 13 CSU (76,4%), 1 FW (5,8%), 3 FDP (17,6%).
Wahlverhalten: An den Tischen sitzen Gäste aus München und der Schweiz, die verdammt stolz darauf sind, dass einen Tag vorher der Ministerpräsident im Zelt zu Gast war. Und so wählen sie am Ende auch.