„So soll es in München weitergehen“

MÜNCHEN - "Die Münchner haben das Feiern erfunden" - Wirte-Original Richard Süßmeier über Partys, Bälle und das Schießen auf dem Oktoberfest.
AZ: Herr Süßmeier, ich möchte mit Ihnen über die Art reden, wie die Münchner feiern. Als Veranstalter legendärer Bälle und als ehemaliger Wiesn-Wirt weiß das wohl kaum einer so gut wie Sie. Können die Münchner feiern?
SÜSSMEIER: Ich würde sogar sagen, dass die Münchner zu denen gehören, die das Feiern erfunden haben. Man muss sich nur mal anschauen, wie ausgelassen es Jahr für Jahr auf dem Oktoberfest zugeht. Das ist schon einmalig.
Wenn gerade keine Wiesn ist, sieht das allerdings etwas anders aus.
Vor allem der Fasching hat in München früher viel höher im Kurs gestanden. Heutzutage wird dieses Ereignis zumeist per Fernseher ins Haus geliefert: aus Mainz, Köln, neuerdings auch aus Franken oder Schwaben. Und auch die alte bayerische Tradition, den Feierabend zu feiern, ist nicht mehr so ausgeprägt. Das Zusammensitzen nach getaner Arbeit findet jetzt eher bei den After-Work-Partys statt.
Außerdem gibt es immer weniger Bälle?
Das liegt daran, dass sich das Tanzvergnügen früher vorwiegend auf die Zeit zwischen Heiligdreikönig und Aschermittwoch konzentriert hat. Mittlerweile wird in den Discos das ganze Jahr über gefeiert. Dadurch sind leider eine Reihe traditionsreicher Veranstaltungen verschwunden, wie zum Beispiel der Waschermadl-Ball. Auch den Jahresschoppen, den die Wirte in erster Linie für ihre Lieferanten veranstaltet haben, kennt heute kein Mensch mehr.
Wie konnte es dazu kommen?
Nach dem Krieg hatten viele Münchner das Gefühl, dass sie all die Jahre etwas versäumt hatten. Da war ein enormer Nachholbedarf vorhanden. Deshalb haben die Leute früher gefeiert, als ob es kein Morgen gäbe. Heute ist das anders.
Wäre der Schnallenball, bei dem Sie früher als Puffmutter aufgetreten sind, heute noch vorstellbar?
Wenn’s eine Gruppe Gleichgesinnter gäbe, die das durchziehen würden, wahrscheinlich schon. Der Filserball oder die „Nacht der Tracht“ funktionieren heutzutage schließlich auch noch. Dort wollen die Leute gut ausschauen, auffallen und sich ausleben.
Was vermissen Sie?
Ich vermisse gar nichts. Schön war aber die Zeit, als die Wirte noch ein eigenes Prinzenpaar aufgestellt haben. 1952 bis 1956 war das. Ich wurde erst Hofmarschall, später dann Prinz. Damals hat es eine Unzahl von Hausbällen gegeben, die sich heute wirtschaftlich gar nicht mehr rentieren würden. Das war eine schöne Zeit.
Die schönste Zeit haben Sie aber auf der Wiesn erlebt?
Bemerkenswert fand ich immer, dass es auf der Wiesn keine großen Unterschiede gibt. Da trinken alle aus dem gleichen Maßkrug, benutzen die gleiche Speisenkarte, haben die gleiche Bedienung und bestellen das gleiche Essen.
Dabei waren Sie es, der auch die Promis in Ihr Zelt geholt hat...
Ich habe damals das Prominenten-Schießen im Armbrustschützenzelt eingeführt, um das Geschäft zu beleben. Franz Josef Strauß oder Uschi Glas kamen damals in mein Zelt. Auch Zeichnerin Franziska Bilek war bei mir und hat gleich beim ersten Schießen den Vogel abgeschossen. Später war sie allerdings enttäuscht, weil sie nie wieder was getroffen hat.
Wer ist Ihnen sonst in Erinnerung geblieben?
Vico Torriani von der ZDF-Sendung „Der goldene Schuss“. Der war furchtbar aufgeregt, zu so vielen Menschen ins Zelt zu kommen. Er ist dann auch prompt zu spät erschienen. Als er endlich da war, war das Prominenten-Schießen längst vorbei.
Den nachhaltigsten Eindruck hat im Armbrustschützenzelt aber Ivan Rebroff hinterlassen.
Als er Anfang der 60er Jahre auf der Bühne stand und sein „Kalinka“ gesungen hat, hatten alle nur noch Augen und Ohren für ihn. Da ist das Bierzelt zu einem einzigen großen Konzertsaal geworden.
Gehen Sie heute noch auf die Wiesn?
Ja gerne, aber nur mittags. Später wird mir der Trubel mittlerweile fast unheimlich.
Was wünschen Sie München zum 850. Geburtstag?
Dass es so weitergeht.
Interview: Daniel Aschoff