So schlimm wie nie? Forderungen nach besserem Winterdienst für Radler

München - An Matsch und Eis mag gerade wohl keiner mehr so richtig denken – außer Sonja Haider. Die ÖDP-Stadträtin hat nicht vergessen, dass es erst ein paar Wochen her ist, dass Radler in München umher schlitterten. Sie hat diesen Winter besonders viele Nachrichten von aufgebrachten Radlern bekommen, die sich über nicht geräumte, rutschige Radwege beschwerten.
ÖDP: Anträge für bessere Räumkonzepte der Radwege im Stadtrat
"Als Radler fühlt man sich oft als Verkehrsteilnehmer dritter Klasse, wenn man sieht, dass die Straße geräumt wird und der Radweg nicht", sagt Haider. Diesen Winter seien die Bedingungen auf den Radwegen besonders schlimm gewesen.
Am Dienstag wird sie vier Anträge in den Stadtrat einbringen, die alle Ideen enthalten, was die Stadt tun könnte, um Radfahren im nächsten Winter angenehmer zu machen. Der Zeitpunkt sei genau der richtige. Schließlich habe das Baureferat nun einen Sommer lang Zeit, sich eine neue Räum-Strategie zu überlegen.
Netz der "Winterrouten" ausweiten
Es gibt bereits "Winterrouten" für Radler, die innerhalb von zwei Stunden geräumt werden – schreibt zumindest das Mobilitätsreferat auf seiner Webseite. Diese Routen umfassen derzeit stadtweit circa 155 Kilometer "hochfrequentierte Radverkehrsanlagen". "Aber man weiß gar nicht, wo die genau liegen", sagt Haider. Die Stadt müsste die Winterrouten viel prominenter auf ihrer Webseite platzieren, damit Radler wissen, wo sie fahren können, fordert sie. Dieses Netz müsste aus ihrer Sicht ausgeweitet werden.

Räumung von Radwegen: Erst ab drei Zentimetern Schnee
Besonders wichtig ist ihr außerdem ein anderes Räum- und Streukonzept der Radwege.
Tatsächlich gibt es laut Baureferat sogar bis zu 50 Prozent mehr Räum-Einsätze auf Radwegen. Allerdings sei eine restlose Beseitigung des Schnees – also eine Schwarzräumung – nicht möglich. Aus technischen Gründen werden Radwege erst ab einer Schneehöhe von drei Zentimetern geräumt. Außerdem kommt kein Salz, sondern nur Splitt zum Einsatz. Dafür führt die Stadt Umweltschutzgründe an.
"Auf Brücken wie dem Arnulfsteg kann ich das nicht verstehen", sagt Haider. Auch auf Schrägen sei es besonders wichtig, dass gut geräumt werde. Da sei das Risiko besonders hoch zu stürzen.
Der Splitt kann gefährlich sein, sagt Haider. "Oft bleibt er bis zum Frühling liegen und das führt zu einer Rutschpartie." Sie habe schon häufiger mit einer Pinzette die Kiesel aus den Wunden entfernen müssen.
Die Verantwortung der Stadt
Haider beantragt deshalb, dass die Stadt den Splitt, wenn der Schnee geschmolzen ist, wieder einsammeln muss – selbst, wenn die Stadt dann mehrmals damit beschäftigt ist.
Auch Andreas Schön vom Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) sagt, dass es heuer besonders viele unzufriedene Radler gab. Schön erinnert daran, dass die Stadt eine "Verkehrssicherungspflicht" hat. Die habe die Stadt diesen Winter nicht immer erfüllt. Auch Schön fordert, dass die Stadt ihr striktes Salzverbot überdenkt. Schließlich liegen nicht an allen Radwegen Bäume oder Grünflächen.
Auch viele AZ-Leser steigen im Winter aufs Radl. Ihre Erfahrungen:
"In unser Geschäft kamen viele gehumpelt"
Den Winter hat Thomas Michels (42) in besonders schlimmer Erinnerung. Er arbeitet in einem Radlgeschäft an der Trappentreustraße im Westend: "Ich fahre jeden Tag bestimmt zehn bis 30 Kilometer Rad. Im Winter ist es immer schwierig, diesen besonders. Aber das hatte nicht unbedingt etwas mit dem Räumdienst zu tun, der glänzt immer durch Nichtstun. Das Wetter war einfach schlimm.
An manchen Tagen habe ich meine Montainbike-Montur angezogen, da sah ich aus wie ein Power-Ranger. Ich kann jeden verstehen, dem Radfahren diesen Winter zu gefährlich war. Ich arbeite in einem Radlgeschäft an der Trappentreustraße und es kamen viele Leute reingehumpelt, weil sie bei uns vor der Tür gestürzt sind. Auch in unserer Straße wurde nicht geräumt.
Ein Autofahrer würde in so einem Fall wahrscheinlich sofort zum Anwalt rennen. Der Radler steht auf und sagt: War doch nicht so schlimm. Dabei kann so eine Fahrradreparatur nach einem Sturz auch schnell über 100 Euro kosten. Ich finde: Radler sollten sich das nicht gefallen lassen.
Ein Auto hat vier Reifen, es kann also nicht umfallen und kriegt eine rutschfreie Piste. Die will ich auch haben. Die Stadt müsste ein Vorrangnetz erstellen und vor allem auch Fahrradstraßen räumen. Soweit ich weiß, gibt’s dazu auch Stadtratsbeschlüsse. Die Grünen wollen das. Aber die kämpfen gegen total eingestaubte Prozesse in der Verwaltung. Und ja – die Baureferentin, die für den Winterdienst zuständig ist, ist auch eine Grüne. Aber sie ist noch nicht mal seit einem Jahr im Amt. Um sie zu beurteilen, warte ich auf den nächsten Winter. Zum Beispiel sollte sie jetzt andere Räumfahrzeuge anschaffen. In Kopenhagen fahren Bürstenfahrzeuge, die Sole ausstreuen und die gleich wieder einkehren. Das strikte Salzverbot muss die Stadt überdenken: Es gibt ja auch viele Radwege, bei denen gar keine Bäume wachsen, die man gut streuen könnte. Zum Beispiel den Arnulfsteg. Allein dort bin ich diesen Winter viermal hingefallen. Ich weiß wirklich nicht, was Steine bringen sollen. Vor allem haben die, die die Stadt ausbringt, eine total minderwertige Qualität. Das ist oft kein Rollsplitt, sondern Hinkelsteine."

"Ich dachte: Mit den Grünen wird’s sicherer"
Geert Schindewolf (61) hat sein Auto vor Jahren verkauft. Er radelt regelmäßig auch im Winter: "Schon als Kind bin ich jeden Tag zehn Kilometer in die Schule und die gleiche Strecke wieder zurück gefahren. Das war bei Hannover, da ist es schön flach, ideal zum Radeln – wie in München. Ich fahre grob geschätzt 5.000 Kilometer Rad im Jahr. Nur, wenn das Wetter ganz böse ist, lasse ich das Rad stehen.
Ich hatte fest damit gerechnet, dass, wenn die Grünen die Mehrheit im Stadtrat haben, die Radwege im Winter sicherer werden. Aber es lief beim Winterdienst genauso schlecht wie immer. Es ist nur mehr aufgefallen, weil die Szene aktiver ist und sich auch nicht so viel gefallen lässt wie früher.
Mir ist aufgefallen, dass die Fahrradstraßen, die ich kenne, gar nicht geräumt wurden. Da blieb die ganze Pampe auf der Straße. Den Autofahrern ist das egal – die können ja nicht umfallen. Aber Radler können bei dem Matsch übel ausrutschen.
So wie die Stadt die Radwege momentan räumt, bringt das gar nichts. Manchmal sind die Wege hinterher glatter als vorher, weil die Räumfahrzeuge den Schnee nicht ganz entfernen, sondern immer nur drüber schrubben. Der Splitt auf den Radwegen macht meistens nur die Reifen kaputt.
Wahrscheinlich kommt man also um Salz nicht herum. Natürlich nicht in Parks wie dem Englischen Garten. Aber zum Beispiel auf dem Radweg neben der Prinzregentenstraße wäre das doch kein Problem. Dort habe ich einige Stürze gesehen. Ich selbst bin zum Glück nur einmal ganz harmlos gestürzt. Aber mir geht es auch gar nicht um mich. Ich bin ein Kampfradler, ich kämpf mich schon durch. Mir geht es um die Kinder und auch um die Senioren. Denn wenn die Bedingungen stimmen, kann man noch ganz lang Fahrradfahren. Mein Vater war bis kurz vor seinem Tod noch mit einem Dreirad unterwegs."
"Es war schlechter"
Simon Knatz (41) will, dass das Rathaus handelt: "Eigentlich bin ich sonst immer im Winter Fahrrad gefahren. Aber heuer habe ich mich entschieden, lieber zu laufen oder auf den ÖPNV umzusteigen. Ab der zweiten Dezemberwoche gab es Frost und die Radwege waren mit einer dicken Eisschicht überzogen. Da blieb einem nichts anderes übrig, als zu schieben. Ich bin zum Glück nicht hingefallen, aber habe einige Stürze gesehen.
In meinen Augen lag es nicht daran, dass dieses Jahr kälter war als sonst. Die Leistung der Stadt war einfach besonders schlecht. Selbst auf Hauptverkehrsrouten wie der Nymphenburger Straße und auf dem Altstadtring war es spiegelglatt. Wichtig wäre aus meiner Sicht vor allem, dass die Stadt die Wege räumt, bevor alles vereist. Auch, dass zumindest auf den zentralen Routen gesalzen wird, würde ich mir wünschen.
Ich habe manchmal das Gefühl, im Baureferat gibt’s die Haltung: Wir machen es wie immer, es gibt keine Alternative. Dabei wird nicht mal darüber nachgedacht."