So regelt die Bahn das Streik-Chaos

Zum siebten Mal in sieben Monaten legen die Lokführer, die in der GDL organisiert sind, die Arbeit nieder. Wie die Bahn die Zugausfälle in den Griff bekommt, wie die Münchner dieses Mal reagieren und welche Rolle dabei das Internet spielt:
München – Dingdong, so tönt es durch die Lautsprecher in der großen Halle im Hauptbahnhof. Eine Männerstimme gibt eine Zugnummer mit Abfahrtszeit laut Fahrplan durch. „Heute fällt dieser Zug aus. Die nächste Reisemöglichkeit ist...“ Bei fast jeder Durchsage fallen diese Sätze. Es ist Mittwochmorgen, mal wieder Streiktag. Bereits zum siebten Mal im laufenden Tarifkonflikt hat die Gewerkschaft der Lokführer (GDL) ihre Mitglieder aufgerufen, die Arbeit niederzulegen. Insgesamt 43 Stunden und noch bis heute Abend, 21 Uhr, trifft der Streik den Personenverkehr. Auch die S-Bahn ist betroffen. Drei Linien verkehren nur stündlich. Im Regionalverkehr fällt jeder zweite Zug aus, im Fernverkehr sind es sogar zwei Drittel.
„Wenn gestreikt wird, tut das allen weh“, sagt Bahnhofsmanager Heiko Hamann (60). Er blickt in die Halle, die deutlich leerer ist als sonst um diese Zeit. Bis zu 450 000 Menschen eilen hier täglich zu ihren Zügen, holen jemanden ab oder kaufen etwas ein. Heute sind viele Reisende auf andere Verkehrsmittel umgestiegen. Die Bahn, die Reisenden und die Ladenbetreiber im Bahnhof haben das Nachsehen. Aber allen tut der Streik dann doch nicht weh. „Alles ausgebucht!“, heißt es etwa bei den Autovermietern Hertz, Avis Budget und Europcar im Hauptbahnhof.
Neben der DB-Information in der großen Halle teilen Servicemitarbeiter kostenlos Tee und Kaffee aus. In dem Glashäuschen kommen Florian Vitija und seine Kollegen kaum zum Durchatmen. Die Schlange der Wartenden scheint nie kürzer zu werden. Seit 6.15 Uhr geht das nun schon so, Florian Vitija hat winzige Schweißperlen auf der Stirn. Ein Geschäftsmann mit Aktenkoffer will zu einer Sitzung nach Frankfurt am Main. Sein Zug fällt aus, er wird mindestens eine Stunde zu spät kommen. Er bleibt trotzdem ruhig. Mit dem Auto wollte er trotz Streikankündigung nicht fahren. „Da hätte ich nur im Stau gestanden“, meint er achselzuckend.
Seine Gelassenheit strahlen auch andere Reisende aus. Die Stimmung im Hauptbahnhof ähnelt der vor drei Wochen, als Sturm Niklas übers Land fegte. „Manche Dinge kann man eben nicht ändern, warum soll man sich dann aufregen?“, sagt ein anderer Reisender. Den Bahnhofsmanager freut es: „Leider reagieren Kunden manchmal renitent und aggressiv. Heute ist es dagegen ruhig.“
Nicht nur die Reisenden, auch die Bahnmitarbeiter sind inzwischen streikerprobt. Da der Arbeitskampf vorher angekündigt war, konnten sich die Logistiker rechtzeitig darauf vorbereiten und ihre Ersatzfahrpläne ausarbeiten. Diese Pläne waren teilweise für die Bahnkunden bereits am Vortag im Internet abrufbar. Auch am Streiktag selbst gibt es wenig Unvorhergesehenes. Es ist ja schon vorgekommen, dass ein Lokführer die Reisenden sich selbst überließ. Sie fuhren auf ein Nebengleis und erklärten dann, sie würden nun die Arbeit niederlegen. „An die Wand fahren“, nennen Bahner das intern. Solche Aktionen gab es gestern nicht.
In der Betriebszentrale in der Richelstraße an der Donnersberger Brücke ist das Licht gedämpft, pro Schicht sitzen hier 80 Mitarbeiter vor ihren Bildschirmen. Das Herzstück der Bahn ist an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr besetzt. Zugausfälle, Unfälle, technische Probleme, Unwetter oder auch ein Streik gehören zum Tagesgeschäft. Immer, wenn etwas im 6000 Kilometer umfassenden Streckennetz in Bayern nicht nach Plan läuft, müssen die Disponenten entscheiden, wie es weitergeht. Hier werden auch die Ersatzfahrpläne ausgearbeitet.
Im selben Gebäude ist das Ansagezentrum, wo Anita Jäger und ihre Kollegen sitzen. Wenn sie den Fahrgästen irgendeines S-Bahnhofs, für den sie zuständig ist, eine Änderung im Fahrplan durchgeben will, spricht sie in das Mikrofon neben ihrer Tastatur. Oder sie lässt per Mausklick eine automatisierte Ansage ertönen. Sie kann zudem von hier aus die Anzeigetafel aktivieren.
Luftlinie etwa 20 Meter von ihr entfernt arbeitet Anna Graser. Sie und ihr Team sorgen dafür, dass die Kunden informiert werden. „In der Wahrnehmung von außen könnte es immer noch mehr sein, aber wir tun sehr viel“, sagt Bahnsprecher Anton Knapp. Anna Graser und ihre Mitarbeiter „füttern“ die Streckenagenten, einen Newsletter, der für individuell ausgewählte Strecken abonniert werden kann und ständig über Störungen informiert. Außerdem aktualisieren die Mitarbeiter die Verkehrsmeldungen in Bayern auf der Internetseite www.bahn.de. Vor und während des Streiks wurden diese Seiten 190 000 Mal angeklickt. Immer mehr Bahnkunden informieren sich im Netz. Auch deshalb herrscht auf den Bahnhöfen offenbar mehr Gelassenheit – dem siebten Streik in sieben Monaten zum Trotz.