So leicht landet man in der Psychiatrie

In München kommen jährlich rund 1550 Personen in geschlossene Anstalten. Landet man in Deutschland zu leicht, zu schnell in der geschlossenen Psychiatrie?
von  Matthias Maus

München - Der Fall Mollath wirft Fragen auf: Landet man in Deutschland zu leicht, zu schnell in der geschlossenen Psychiatrie? Gegen seinen Willen? Ein einfaches Nein ist nicht möglich.

Rund 280000 Zwangseinweisungsverfahren gibt es im Jahr, schätzungsweise 200000 Menschen kommen jährlich in Deutschland in geschlossene Anstalten. In München sind es pro Jahr rund 1550 – allerdings die wenigsten nach dem Strafrecht wie Gustl Mollath.

Der einstige Geschäftsmann wird nach Paragraf 63 Strafgesetzbuch untergebracht. „Das Urteil muss mindestens einmal im Jahr überprüft werden“, sagt Walter Groß, Präsident des bayerischen Richtervereins.

Dennoch: „Die Einweisungen sind seit 1996 dramatisch gestiegen“, sagt Professor Norbert Nedopil, Leiter der forensischen Uniklinik in der Nußbaumstraße: „Das Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft“ habe sich geändert – und die Rechtsvorschriften:

„Wer früher aggressiv nur gegen Familienangehörige war, gilt heute eher als allgemeingefährlich“, sagt Nedopil, einer der renommiertesten Rechtsmediziner Deutschlands. „Heute entscheiden sich Gerichte und Gutachter leichter als früher für eine Unterbringung.“ Die jährlich angeordnete Überprüfung sei „oft ein Automatismus“. Im Zweifel werde lieber auf die Beibehaltung der Unterbringung entschieden.

Besonders drastisch sei das in der Zeit zwischen 2005 und 2007 gewesen, erinnert sich Nedopil, nachdem Kanzler Schröder mit „Wegsperren für immer“ Stimmung gemacht hatte. „Heute ist man wieder etwas vorsichtiger“, so der Fachmann zur AZ.

Die weitaus meisten Fälle einer Zwangseinweisung in München gehen nicht übers Strafrecht, sondern über das Bayerische Unterbringungsgesetz. 500 bis 550 Mal im Jahr erfährt das Gesundheitsreferat von „konkreter Fremd- oder Eigengefährdung“ und veranlasst eine Einweisung.

Die Polizei oder Krankenhäuser melden die Fälle, der „psychologische Hintergrunddienst“ entscheidet über eine Einweisung. „Nachts, am Wochenende, an Feiertagen kommen noch mal 900 bis 1000 Fälle im Jahr dazu“, sagt Maximilian Abriel, zuständiger Fachmann beim Gesundheitsreferat. Dann entscheidet die Polizei zunächst selbst über eine Einweisung.

Die Fachleute im Gesundheitsamt bekommen die Personen nur in Ausnahmefällen zu Gesicht: „In der Regel ist der Kontakt telefonisch“, sagt Abriel: „Im Zweifel ziehen wir unseren mobilen psychologischen Krisendienst hinzu.“ Spätestens am nächsten Tag muss ein Richter in der Nußbaumstraße, am Max-Planck-Institut oder in Haar über das weitere Vorgehen entscheiden. Im „Isar-Amper-Klinikum“, dem einstigen Bezirkskrankenhaus in Haar, gibt es einen Richter im Jourdienst.

Der Richter entscheidet nach einem ärztlichen Attest, wie es weitergeht, und er legt einen Zeitraum fest, wann die Unterbringung überprüft wird. Das kann bis zu sechs Wochen dauern. Vergangenen Juni forderte der Bundesgerichtshof eine Nachbesserung der gesetzlichen Grundlagen für Zwangsbehandlungen.

„Die Gesellschaft verändert sich“, sagt Professor Nedopil über die steigenden Einweisungen nach dem Unterbringungsgesetz: „Die Familien funktionieren nicht mehr so gut, es gibt mehr Isolierung und Vereinsamung, das trifft psychisch Kranke besonders hart.“ Zweitens werde die Gesellschaft älter, das heißt: dementer. „Es gibt immer mehr Menschen, die wir sichern müssen, damit sie nicht verhungern oder erfrieren.“ Matthias Maus

 

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