So gibt's Weihnachten keinen Streit
Am Ende türmt sich ein riesiger Haufen an zerrissenem Geschenkpapier im Wohnzimmer, über den elegant hinweggegrätscht werden muss – will man sich noch eine Tasse Glühwein aus der Küche holen. Das Gute: Dann haben Sie die Bescherung mit der Familie wieder einmal erfolgreich hinter sich gebracht. Das Schlechte: So weit müssen Sie es erst einmal schaffen. Denn das fröhliche Weihnachtsfest mit der Verwandtschaft birgt ziemlich viel Potenzial – für Konflikte.
Das sieht knapp die Hälfte der Deutschen so: 45 Prozent finden laut einer aktuellen Umfrage, dass Weihnachten nicht besinnlich, sondern stressig ist.
Die AZ zeigt mithilfe von drei Psychologen aus München, welche Probleme es unter dem Weihnachtsbaum geben kann, und wie sie entschärft werden:
Problem 1: Das war schon immer so. Und Amen.
Diesen Satz hört man wohl so oft wie den Weihnachts-Dauerbrenner „Last Christmas“. Weil es letztes Weihnachten so war und das davor und überhaupt, wird es auch in diesem Jahr wieder so gefeiert – ob es euch gefällt oder nicht! Etwas anderes machen? Das kommt gar nicht in Frage!
Tipp: Der Münchner Diplompsychologe Fritz Propach vom Verein Pro Psychotherapie hat zu der eingefahrenen Weihnachtsroutine eine simple Frage, die sich jeder selbst stellen sollte: „Was finde ich eigentlich schön?“ Weihnachten sollte ein angenehmes Fest sein, keine Zwangsveranstaltung. Deswegen gilt: Seine Vorstellungen vorher klar formulieren und dann reinen Tisch mit der Familie machen, etwa dass man in diesem Jahr Heiligabend zu Hause mit seinem Partner verbringt und erst am nächsten Tag zu den Großeltern kommt. Dann ist ein für alle Mal Schluss mit: „Das war auch letztes Jahr so.“
Problem 2: Es! Muss! Schön! Werden!
Weihnachten ist das Fest der Liebe, der Familie – und das der hohen Erwartungen. Wir müssen uns alle lieb haben, es muss gutes Essen geben, es muss einfach großartig, gigantisch, genial werden. Wird es aber meist nicht. Und wie zum Hohn posten sämtliche Freunde harmonische Weihnachtsbilder bei Facebook & Co. – na, toll!
Tipp: Diese hohen Erwartungen kommen nicht von ungefähr, sagt Familienberater Sascha Schmidt. „Den Stress machen wir uns selbst.“ Deswegen: Das Fest besser nicht zum Event des Jahres stilisieren, an dem alle zu funktionieren haben, sondern lieber mit einem guten mittelmäßigen Abend zufrieden sein.
Und ganz ehrlich: So sieht es doch in Wirklichkeit auch bei den Freunden aus – tolle Facebook-Bilder hin oder her.
Problem 3: Wir sitzen alle schön zusammen – Mama kocht
Eine saftige Weihnachtsgans, dazu dreierlei Beilagen und am besten noch eine Vor- und eine Nachspeise. Auch serviert wird alles wie im Restaurant. Die Mama? Ja, die muss deswegen leider den ganzen Tag in der Küche stehen. Aber einmal im Jahr geht das schon. Oder?
Tipp: Nein, das geht nicht. Familienberater Sascha Schmidt rät, die Aufgaben an Weihnachten ganz klar aufzuteilen, also: Wer erledigt die Einkäufe, und wer kocht? Und das kann ruhig auch mal der Mann sein. Genauso können auch einfache Gerichte als immer nur die Festtagsgans die Vorbereitungen entschärfen: Psychologe Fritz Propach schlägt einen kalten Braten vor. Der kann schon vorher zubereitet werden und hält kein Familienmitglied den ganzen Tag in der Küche auf.
Problem 4: Wir packen aus – aufräumen tun wir nicht
Wie gesagt, wir befinden uns im Wohnzimmer, kurz nach der Bescherung. Der Berg aus Geschenkpapier versperrt uns dummerweise die Sicht auf den Fernseher. Die Mutter muss das nachher gleich mal wegmachen. Die ist aber gerade in der Küche, abspülen.
Tipp: Wer auch noch das Aufräumen ganz allein der Mutter überlässt, der provoziert regelrecht einen Weihnachtsknall. Das prophezeit der Psychologe Dr. Martin Schmidt, bis vor Kurzem an der LMU München tätig. „Das ist ein riesiger Stressfaktor für die Frau.“ Für den Familien- und Paartherapeuten steht fest: „Wenn die Frau dadurch unzufrieden ist, ist das ganze Fest im Eimer.“
Deswegen oberste Devise: gemeinsames Fest, gemeinsames Aufräumen. Je nach Alter der Kinder könnten die Kleinen zum Beispiel ihr Geschenkpapier selbst wegräumen.
Problem 5: Das Kind muss perfekt flöten
Das ganze Jahr wird dem Sohnemann der Flöten-Unterricht bezahlt. Dafür muss er dann der versammelten Familienbande an Weihnachten ordentlich aufspielen. Er hat aber keine Lust.
Tipp: Familienpsychologe Martin Schmidt rät dringend davon ab, auf dieser Tradition des Vorspielens zu beharren. Kinder sollten auf keinen Fall dazu gezwungen werden.
Und woher kommt dann die weihnachtliche Musik? Schmidt animiert dazu, gemeinsam und mit viel Humor zu singen – sprich: auch mal über einen schiefen Ton unterm Baum zu lachen.
Problem 6: Getrennte Eltern, getrenntes Fest?
Die Eltern leben getrennt, wie soll die Familie dann Weihnachten feiern? Zusammen, getrennt, zweimal?
Tipp: Familienberater Sascha Schmidt weiß, wie Weihnachten mit getrennten Eltern ist. Seine Eltern sind getrennt, genauso wie er und seine Ehefrau. Trotz allem ist sein ideales Weihnachten ein gemeinsames. Aber nur, wenn sich die Eltern noch verstehen. Einer der beiden Elternteile sollte für die Feier verantwortlich sein, der andere eingeladen werden.
Tobt noch ein Rosenkrieg oder seien die Wunden zu tief, sei ein getrenntes Fest besser. Denn Kinder könne man keine gute Miene vormachen. „Etwas vorzuspielen, sollte sich auf das Krippenspiel beschränken.“
Problem 7: Geschenke mit Botschaft
Ein Kochbuch, ein Abnehmkurs oder gar eine Schönheits-OP. Vielen Dank, aber: Willst du damit etwa sagen, ich kann nicht kochen, bin zu dick oder gar hässlich?
Tipp: Wer seiner Angebeteten solche Geschenke unter den Baum legt, muss sich darüber im Klaren sein: Das kann ganz schnell mal daneben gehen. Um solchem Ärger aus dem Weg zu gehen, würde Psychologe Sascha Schmidt auf keinen Fall Geschenke „mit Botschaft“ besorgen.
Problem 8: Das Geschenk ist furchtbar!
Das Geschenk der Schwiegereltern. Alle starren gebannt auf die Finger, die gerade den Tesa abziehen. Zum Vorschein kommt: ein Mixer. Tipp: Der Beschenkte ist nicht dazu verpflichtet, dass ihm das Geschenk gefallen muss, sagt Martin Schmidt ganz klar. Wenn es einen tatsächlich nicht zusagt, sieht der Psychologe kein Problem darin, das auf freundliche Art zu sagen, also: „Vielen Dank, aber leider brauche ich keinen Mixer.“
Problem 9: Zusammensein rund um die Uhr
Die Verwandten sind aus Norddeutschland ins weit entfernte Bayern gereist. Man sieht sich das Jahr über eh so selten. Also muss Weihnachten genutzt werden und so viel Zeit wie möglich zusammen verbracht werden. Hilfe!
Tipp: Weihachten ist eine „ungewöhnlich intensive“ Zeit, formuliert Fritz Propach vorsichtig. Durch so viel Nähe kann die Stimmung in der Familie schon mal kippen.
Auch Martin Schmidt plädiert für Freiräume. Er schlägt vor, auch einmal allein vor die Tür zu gehen. Denn zu viel Nähe steigert das Konfliktpotenzial nur. Und will sich einer der Anwesenden eine Stunde mit seinem neuen Buch zurückziehen: warum nicht?!
Problem 10: Zwei Familienmitglieder können sich nicht ausstehen
Nur wegen Weihnachten kann nicht jeder Groll runtergeschluckt werden. Oder?
Tipp: Die Konflikte, die an Weihnachten aufkommen, sind laut der Münchner Psychologen meist ältere, ungelöste Probleme. Sowohl Martin Schmidt als auch Fritz Propach empfehlen nicht, das Problem auf der Stelle unterm Weihnachtsbaum auszutragen. Man solche Weihnachten zwar als Chance sehen, sagt Propach. Aber nur um einzusehen, dass es etwas zu bereden gibt.
Das allerdings sollte man lieber nicht an Weihnachten erledigen. Könnte eskalieren und alles ruinieren. Besser: Einen Tag im neuen Jahr vereinbaren, um sich in aller Ruhe auszusprechen.