So funktioniert die Masche der Bettel-Mafia

Bis zu 100 Euro am Tag: Falsche Bettler machen in der Altstadt und am Bahnhof derzeit richtig Kasse. Doch das Geld bleibt ihnen nicht: Banden-Bosse nehmen es ihnen sofort wieder ab.
MÜNCHEN - Die Finger seiner rechten Hand krallen sich fest um den Griff der Krücke. Der junge Bursche hat sie so niedrig eingestellt, dass er extrem gebückt gehen muss. Seine Füße sind dabei stark nach innen verdreht – ein jämmerlicher Anblick, der sofort Mitleid erweckt. Allen, die ihm auf der Bayerstraße entgegenkommen, hält er einen leeren Kaffeebecher hin. „Hilf, hilf“ stammelt er. Kaum einer geht vorbei, ohne eine Münze hineinzuwerfen.
Unermüdlich humpelt der junge Mann im schwarzen Trainingsanzug den Gehsteig zwischen Mathäser Kino und Pizza Hut auf und ab. Den Kopf hält er gesenkt, doch sein Blick ist hellwach. Seine Augen taxieren jeden. Auf Touristen hat er es besonders abgesehen. Vor allem auf Araber, die sind spendabel. Zwei von ihnen werfen ihm eine Hand voll Münzen in den Becher.
Der Bursche mit der Krücke grinst zufrieden – und humpelt zum nächsten.
"Das Geld könnten die Leute genauso gut in den Mülleimer werfen“, ärgert sich ein Geschäftsmann, vor dessen Laden die Bettler regelmäßig auftauchen. „Denen wird doch das Geld von den Aufpassern, die sich unauffällig im Hintergrund rumtreiben, sofort wieder abgeknöpft.“
Recht hat der Mann.
Tatsächlich verschwindet der Bettler im Trainingsanzug wenig später in einer Hofeinfahrt. Dort stehen schon zwei seiner Kumpane, die ihre Einnahmen bei einem jungen Typen in Jeans und T-Shirt abliefern. Auch er leert seinen Becher. Mindestens zehn Euro klimpern raus. Kein schlechter Schnitt für eine Stunde Betteln am Bahnhof.
Experten schätzen, dass ein geschickter Bettler am Tag bis zu 100 Euro kassiert. Mancher, der in München im Niedriglohnsektor schuftet, hat am Abend deutlich weniger auf der Hand.
Vor einem Fastfood-Restaurant sitzt ein Invalide am Boden. Sein linkes Bein ist auf Kniehöhe amputiert. Den nackten Stumpf reckt er soweit es geht vor, damit ihn auch wirklich jeder sieht. Und Mitleid bekommt. Auch er hält einen Kaffeebecher von „Yorma’s“ in der Hand, neben Krücken und Rollstühlen das wichtigste Arbeitsmittel der Bettel-Mafia.
Alleine zwischen Hauptbahnhof und Stachus treiben sich an diesem Vormittag 13 Bettler herum: Eine Mutter mit ihrer Tochter, sechs Männer und Frauen auf Krücken, zwei alte Mütterchen, der Mann mit dem Beinstumpf und zwei Rollstuhlfahrer.
Zu viel Konkurrenz. Die beiden verschwinden in Richtung Fußgängerzone. Dabei rollen sie Passanten immer wieder direkt vor die Füße, quatschen sie an und halten ihre Kaffeebecher hoch. „Hilf, hilf!“
„Die Stadt ist voller Touristen, das lockt natürlich auch die Bettler an“, erklärt Polizeisprecher Christoph Reichenbach. Nur in der Adventszeit seien ähnlich viele in München tätig.
Die Bettel-Mafia arbeitet mit allen Tricks. Kleine Kinder, Hundewelpen, Krüppel, Behinderte – alle müssen ran. Je Mitleid erregender der Betreffende aussieht, um so höher sind seine Chancen, mitfühlenden Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Das wissen natürlich auch die Bandenbosse, die die Elendsgestalten in den Westen schleusen. Die meisten falschen Bettler stammen aus Rimavska-Sobota, einer Stadt im Süden der Slowakei. Mafia-Banden karren sie nach München, „Bei Kontrollen sind uns schon etliche Leute ins Netz gegangen, die nur so getan haben, als seien sie behindert“, berichtet Polizeisprecher Christoph Reichenbach.
Bahnhof, Altstadt, Schwabing – in der ganzen Stadt treiben sich die Bettler momentan herum. In U- und S-Bahnen schnorren sie Fahrgäste an, genauso wie morgens an den roten Ampeln der Einfallstraßen.
Auch Kirchen sind ein beliebtes Revier. Vor der Frauenkirche lungert mittags eine zerlumpte Gestalt herum. Jedes Mal, wenn ein Besucher den Dom verlässt, verrenkt der Mann seine Gliedmaßen besonders auffällig und fängt zu humpeln an. Eine Familie aus Italien fällt prompt auf die Masche rein. Der Vater drückt seiner Tochter fünf Euro in die Hand, die die Kleine dem Bettler gibt.
Gleich nebenan ist das Polizeipräsidium. Dort sind die Bettler vorsichtig. Werden sie von den Beamten erwischt, ist alles futsch. Die Polizei zieht des Geld als so genannte Sicherheitsleistung ein. „Ein Strafverfahren gegen diese Typen einzuleiten macht überhaupt keinen Sinn“, erzählt ein Streifenpolizist, „viel wirksamer ist es, ihnen das Geld zu beschlagnahmen.“
Wenn die Bettler nicht mehr Kasse machen können, ziehen sie in die nächste Stadt. Spätestens zum ersten Advent kommen sie zurück. Christkindlmarkt – gut fürs Geschäft.