So fuhr ein Radl-Rambo einen Rentner ins Koma

Ohne Licht, in falscher Richtung und mit hohem Tempo rammt ein Radler abends in Sendling einen früheren Grundschullehrer. Er verletzt ihn schwer – und haut einfach ab
von  Thomas Gautier
An der Unfallstelle in der Hansastraße klebt noch Blut - es gehört dem Rentner Orhan S.
An der Unfallstelle in der Hansastraße klebt noch Blut - es gehört dem Rentner Orhan S.

Ohne Licht, in falscher Richtung und mit hoher Geschwindigkeit rammt ein Radler abends in Sendling einen früheren Grundschullehrer. Er verletzt ihn schwer – und haut einfach ab

München - Er wirft sich aufs Rad, tritt panisch ins Pedal, beschleunigt ein paar Meter die Hansastraße hinauf, dann ab in eine Seitenstraße. Sie laufen ihm nach, bleiben aber bald atemlos stehen. Der Radler ist zu schnell. Er verschwindet in die Nacht und lässt alles hinter sich: Wütende Sanitäter, einen Mann in Lebensgefahr und eine Familie, die vor Angst fast verrückt wird.

Am Donnerstag liegt Orhan S., ein pensionierter Grundschullehrer, auf der Intensivstation im Klinikum rechts der Isar – im Koma. Sein Schädel, sein Joch- und sein Stirnbein sind gebrochen. Der 74-Jährige hat auch eine Hirnblutung. Die wird im Laufe des Tages stärker, das könnte Orhan S. am Ende töten.

Seine Frau Ülkü und seine Söhne Umut (28) und Cenk (44) werden laufend über seinen Gesundheitszustand informiert. Cenk erreicht die schlimme Nachricht telefonisch, am Steuer seines Audi. Er ist gegen Mittag aus Würzburg in Richtung München unterwegs. Mit Tränen in den Augen. „Wir können nur beten“, sagt er und schluchzt.

Der Unfall, der diese Familie so quält, beginnt mit einem Spaziergang. Am Mittwoch um 23 Uhr schlendert Orhan S. mit seiner Frau Ülkü (66) und ihrer Freundin Adeviye R. über die Hansastraße – nicht weit entfernt von seiner Wohnung in der Ridlerstraße. Nur eine kleine Runde. Über die S-Bahn-Gleise und zurück.

Die drei gehen in Richtung Süden, hin zur Garmischer Straße. Auf Höhe der Hausnummer 24 steht ein Firmenfahrzeug auf dem Gehsteig. Rechts ist eine 80 Zentimeter breite Lücke zwischen der Hausmauer und dem Auto. Links: der Radweg.

„Rechts konnten sie nicht vorbei“, sagt Sohn Umut. „Der Außenspiegel hat ihnen den Weg versperrt.“ Das Auto war laut Polizei tatsächlich nicht ordnungsgemäß geparkt – der Fahrer hätte einen Abstand von 1,50 Meter zum Haus wahren müssen.

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Orhan S. entscheidet sich für den Radweg. Er schaut kurz nach hinten und geht links am Auto vorbei – da wird er von rechts gerammt. Mit voller Wucht. Ein Geisterradler: Er fährt in die falsche Richtung. „Und ohne Licht“, sagen Ülkü S. und ihre Freundin.

Orhan S. wird umgerissen, knallt mit dem Kopf aufs Pflaster und bricht sich mehrere Knochen. Der Radler fällt auf seinen schmalen Körper, auf sein grau-braunes Jackett, seinen orangefarbenen Pullover. Aus dem Kopf von Orhan S. strömt Blut auf den Asphalt.

Adeviye R. ruft den Krankenwagen. Der Radler wartet mit Ülkü S., Adeviye R. und Wachmännern der Firma, vor der der Unfall passiert ist. Die Polizei vermutet, dass der Radler sich bei dem Unfall leicht verletzt hat. Ülkü S. will seinen Ausweis sehen; er sagt: „Später.“ Ülkü S.: „Er hat mir gesagt, er fährt seit Jahren ohne Licht – und dass das nie ein Problem war.“

Als die Sanitäter kommen und Orhan S. versorgen, „hat er wohl gemerkt, wie ernst es ist“, sagt Sohn Gökhan. „Und dann hat er sich weggeschlichen.“ Adeviye R. und ein Wachmann versuchen noch, ihn aufzuhalten – zu spät. Er begeht Unfallflucht.

„Er ist einfach abgehauen“, sagt Cenk S. und kann seine Wut kaum zügeln. „Das ist so menschenverachtend. Er hatte nicht mal den Mut, dazu zu stehen. Er hat doch nicht irgendein Auto angefahren – sondern einen Menschen!“

Am Donnerstagnachmittag kommt die Polizei. Ülkü S. beschreibt ihnen den Radfahrer als 1,90 Meter großen und kräftigen 30-Jährigen. Er hat kurze schwarze, leicht krause Haare, keinen Bart und keine Brille. Er trug eine graue Hose und einen grauen Pulli. Das Rad war wohl ein schwarz-weißes Mountainbike (Hinweise: 089-6216 3322).

Vielleicht findet ihn die Polizei mit Hilfe eines DNA-Abgleichs. Beamte haben Jackett, Pullover, Hose und Schal von Orhan S. mitgenommen, um sie auf entsprechende Spuren des Radlers zu sammeln.

„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn kriegen, da bin ich sicher“, sagt Cenk S. „Er muss sich jetzt stellen – und endlich Verantwortung übernehmen.“

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